Weltkrieg 1 und Zwischenkriegszeit
„Seit dem Ersten Weltkrieg waren die Wirtschaftsbeziehungen nicht mehr von privaten Investitionen geprägt, sondern von den Schulden, die Staaten bei anderen Staaten hatten. Noch entscheidender als der Umfang dieser Schulden war die Konzentration des Kredits, der nun in den Händen eines einzigen Landes gebündelt war: der Vereinigten Staaten.“ (19)
Nach dem 1. Weltkrieg hatten die USA die genuine und geniale Idee, die Kriegsschulden von ihren Verbündeten einzutreiben. Genuin war diese, weil bis dahin Kriegsverbündete die Kosten ihrer Beteiligungen nach einem Krieg immer selbst getragen hatten. Genial war diese, weil die Forderungen so vorgebracht wurden, dass sich keine Kriegspartei wehren konnte. Gemäß Vertrag von Versailles (den der Kongresse nicht ratifizierte; die USA schlossen 1921 einen Separatfrieden mit Deutschland) sollten die Siegermächte die Reparationszahlungen von Deutschland kassieren. Die USA behaupteten, an der Kriegsbeute und den Reparationen kein Eigeninteresse zu haben, und hielten sich statt dessen bei ihren alliierten Partnern schadlos.
Die US-Regierung erklärte nachträglich, Amerika sei nie „Verbündeter“, sondern nur „Partner“ der Alliierten gewesen; ein Partner, der Anspruch auf volle Entschädigung habe. Das vormals finanzstarke Kolonialreich Großbritannien geriet in die Rolle des Haupt-Schuldners. Das durch Krieg und uneinbringliche Außenstände Russlands geschwächte Land hat dies kritiklos anerkannt (nach traditioneller britischer Gläubiger-Mentalität war die Begleichung jeglicher Schulden Ehrensache). Angesichts häufiger Zahlungsprobleme der Deutschen musste das Land den Gürtel enger schnallen. Anfang 1919 musste Großbritannien sogar eine monatliche Lebensmittelbestellung stornieren, was umgehend zu Panik bei amerikanischen Landwirten führte, die einen Preisverfall fürchteten, sowie auf vollen Lagerhallen sitzen zu bleiben. In Europa herrschte indessen Hunger und die Spanische Grippe.
Gespräche über humanere Regelungen der Nachkriegsschulden oder Schuldenerlass verweigerten die Amerikaner. Mehr noch, sie verhinderten den Export europäischer Waren in die USA; „anstatt die Zölle zu senken, erhöhten die USA sie zwischen 1921 und 1933 stetig, um die heimischen Produzenten vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen, insbesondere vor Konkurrenten aus Schuldnerländern, deren Produkte sich verbilligten, weil diese Länder in ihrem vergeblichen Bemühen, den Schuldendienst zu bewältigen, ihre Währungen abwerteten.“ (31 f)
Hudson zitiert das Council on Foreign Relations, das 1928 festhielt: „Im Jahr 1914 schuldeten wir Ausländern etwa 4,5 Mrd. Dollar, jetzt sind wir Gläubiger mit Forderungen über 25 Mrd. Dollar einschließlich der Kriegsschulden. Die Metamorphose in unserer finanziellen Beziehung zur übrigen Welt eröffnet der Bundesregierung die Chance zur Intervention.“ (32) Die Alliierten hatten untereinander 28 Mrd. Dollar verliehen, davon waren 12 Mrd. Schulden bei den Vereinigten Staaten. „Davon entfielen 4,7 Mrd. Dollar auf Großbritannien, das seinerseits Forderungen von 11 Mrd. Dollar an seine europäischen Verbündeten hatte. Einen großen Teil dieses Geldes hatten die Briten an Russland verliehen. Diese Schulden waren nach der Revolution […] nicht mehr einzutreiben.“ (35)
Der britische Schatzkanzler Philip Snowden kommentierte die Doppelmoral der Verbündeten: „Es läuft also darauf hinaus, dass die gesamten deutschen Reparationen und vermutlich nochmals derselbe Betrag obendrauf nach Amerika fließen werden. Das ist kein schlechtes Geschäft für ein Land, das mit der Losung ‚Keine Entschädigungen, kein materieller Gewinne‘ in den Krieg eintrat.“ (36) Hudson resümiert: „In der kapitalistischen Welt erwies sich die Übernahme der Funkion des Geldgebers durch einen einzigen Nationalstaat als ebenso revolutionär wie die Oktoberrevolution.“ (41) Die Folgen sind bekannt: „der Zusammenbruch des globalen Gleichgewichts (1921-1933)“ und der Aufstieg der nationalistischen Bewegungen in ganz Europa; nicht nur in Deutschland.
„Was auch immer der Charakter des neuen Systems war, es wurde nicht länger vom privaten Finanzkapital beherrscht.“ (49) Doch auch das private Finanzkarussell begann sich wieder zu drehen, so dass sich die Staaten bei US-Banken Kredite aufnehmen konnten um ihre Schulden beim US-Staat zu bezahlen. Hudson erklärt: „Die Amerikaner setzten die globalen Schulden als Werkzeug gegen ihren einzigen Rivalen ein, um auf Kosten des britischen Weltreichs ihre Macht zu vergrößern.“ (62) Wohl gemerkt: Nicht die SU war in den 1920er Jahren der entscheidende US-Rivale (politisch betrachtet ein Feind), sondern GB, das im Zerfall begriffene Weltreich Großbritannien (kapitalistisch betrachtet ein Konkurrent).
„Der Crash im Jahr 1929 löschte gewaltige Mengen an Finanzkapital aus, weshalb die internationalen Kreditquellen austrockneten. […] Infolge des Verfalls der Weltmarktpreise stieg die Nettobelastung durch die Kriegsschulden, denn die für den Schuldendienst erforderlichen Transferleistungen gemessen in Rohstoffpreisen stiegen, als die Dollarpreise dieser Rohstoffe fielen.“ (62) Die Schulden der Europäer gegenüber den Amerikanern haben sich damit über Nacht de facto verdoppelt.
Und wieder spielen die USA ihr falsches Spiel: „Am 10. Dezember 1931 versicherte Präsident Hoover dem Kongress: ‚Die Reparationen sind ein rein europäisches Problem, mit dem wir nichts zu tun haben.‘“ (63) Trotzdem gewährte das Hoover-Moratorium den Europäern – verknüpft mit Erhöhung der Zinsen – bis Juni 1932 Zahlungsaufschub. „Europa wollte nicht wahrhaben, welches das eigentliche Ziel der – noch nicht vollkommene entwickelten – amerikanischen Politik war.“ (65)
Dem Präsidenten Roosevelt wurden bei Amtsantritt 1932 die wahren Zahlen präsentiert: „Bis 15. Juni 1931 hatten wir 750 Millionen Dollar an Tilgungsraten und 1,9 Milliarden Dollar an Zinsen erhalten.“ Hudson rechnet nach: „Die Zinszahlungen überstiegen die Tilgungsraten also um das Zweieinhalbfache. Europa schien in einer finanziellen Tretmühle zu laufen.“ (72) Hoover hat seinem Nachfolger, der Andeutungen von Zugeständnissen machte, vor Amtsübergabe die bisherige amerikanische Linie eingeschärft. Diese blieb somit bis Ende der 1930er Jahre aufrecht. Sogar zu Friedenstauben haben sich die Amerikaner stilisiert: „Sie meinten, ein Forderungsverzicht der Vereinigten Staaten werde Europa in die Lage versetzen, seine Wiederbewaffnung zu finanzieren.“ (75)
Die globalen Konsequenzen laut Hudson: „Der Zweite Weltkrieg wurde nicht vom privaten Finanzkapital heraufbeschworen, sondern war das Ergebnis eines globalen Bankrotts, der in erster Linie von den gegenseitigen finanziellen Forderungen der Staaten herbeigeführt wurde.“