Hudson Michael: Finanzimperialismus - WK II & Nachkriegszeit

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Weltkrieg 2 und Bretton Woods

Das Leitmotiv der österreichischen Geschichtsschreibung nach 1945 ist der Wiederaufbau dank Marshallplan. Hudson erwähnt diesen in seiner an historisch umfang- und detailreichen Untersuchung genau einmal: „Nachdem sich die Vereinigten Staaten die Europäer durch die Marshallplan-Hilfe und militärische Ressourcen der NATO gefügig gemacht hatten, wurden sie zum Initiator einer breiten Ausbeutungsoffensive der Industriestaaten gegen die Entwicklungsländer, welche diese dazu zwang, ihre Volkswirtschaften auf die Handels-, Rohstoff- und strategischen Bedürfnisse der Industrieländer auszurichten.“ (237). Damit widerspricht Hudson dem Mythos von den hilfsbereiten Amerikanern, denn US-„Hilfe“ war nie selbstlos, sondern – wie der Name „Marschall-Plan“ schon sagt – ein Plan mit genauen Zielvorgaben.

Innenpolitisches Ziel jeglicher US-Hilfe war immer der Rückfluss von „Hilfsgeldern“ in die amerikanische Wirtschaft. Außenpolitisches Ziel war und ist die imperiale, amerikanische Weltordnung. Die Basis dafür war nicht Amerika als größter Gläubiger der Welt, sondern der Dollar als Leitwährung der Welt. Die Macht des Dollars erwies sich schließlich als so stark, dass Amerika das in der Zwischenkriegszeit gelegte Fundament auch dann stärken konnte, als es zum größten Schuldner wurde. Mehr noch: erst die Position des größten Schuldners verlieh den USA nach dem zweiten Weltkrieg die Macht auf unserem Planeten, die sie heute monopolistisch für sich allein beanspruchen. Hudson erzählt, wie das gelingen konnte.

„In den Jahren 1944 und 1945 gestand die amerikanische Politik ein, dass die Regierung ihre Verbündeten nach dem Ersten Weltkrieg ruiniert hatte, indem sie die Rückzahlung der interalliierten Schulden verlangt und die eigenen Einfuhrzölle erhöht hatte. Es bestand Einigkeit darüber, dass sich das nicht wiederholen durfte.“ (132) Die Einigkeit hielt nicht lang an, oder war – gemäß amerikanischer Doppelmoral – vielleicht nur vorgetäuscht. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die gleichen Methoden angewandt, die die Amerikaner schon nach dem Ersten entwickelt hatten. Wieder ging es um Vereinbarungen, „mit denen die Alliierten regelten, was Europa den Vereinigten Staaten für den Wiederaufbau schuldete. [… es] begann eine Auseinandersetzung zwischen den Alliierten, aus der die Vereinigten Staaten als Sieger hervorgingen.“ (134)

Die Grundlagen für diesen Sieg wurden 1944 auf der Konferenz in Bretton Woods gelegt, und zwar mit der Gründung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF, englisch: IMF International Monetary Fund), die von Anfang an von Amerikanern geleitet wurden und deren Interessen dienten. „Die Ansprüche der amerikanischen Regierung wurden in einer stabilen institutionellen Konstruktion verankert, welche die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA festigte.“ (137) Im Unterschied zu den Regelungen nach dem 1. Weltkrieg wurden immerhin „die Europäischen Rückzahlungen so gestaltet, dass sie die internationale Liquidität nicht erschöpften. […] So wurde ein Reservoir an zwischenstaatlichem Kapital erhalten, das als internationales Kreditkonsortium eine tragende Rolle in der Weltdiplomatie übernahm. Die amerikanische Regierung verwendete diese Institution, um weltweit eine Politik der ‚offenen Tür‘ durchzusetzen und in die kolonialen Einflusssphären vorzudringen.“ (137) Am Anfang stand Europa – mit scheinbar friedlichen Methoden. Dann folgte Asien mit US-Militäraktionen in Korea, Vietnam, Kambodscha und Laos. Aufgrund der Kosten dieser Kriege vollzog die USA eine weitere „Metamorphose“ vom Gläubiger zum Schuldner; wie es einer Großmacht ansteht vom weltgrößten Gläubiger zum weltgrößten Schuldner.

Wieder gelang es dem Amerikanern, ihr Problem mit einem gleichermaßen genuinen wie genialen Schachzug zum Problem der Europäer zu machen. Plötzlich stellten sie die Schuldner-Interessen nicht nur innen- sondern auch außenpolitisch über die Gläubigerinteressen. Das war u.a. dadurch möglich, dass sie Deutschland mit dem Abzug von damals 300.000 stationierten Soldaten drohten. Damit wäre nach damaliger, durchaus berechtigter Auffassung die BRD der SU und der DDR schutzlos ausgeliefert gewesen. Solche relativ primitive Erpressungen (Schutz vor dem Kommunismus) rechtfertigten auch alle Militäreinsätze in Asien, sowie die Forderungen an die Europäer, diese zu bezahlen. Dieses vorgehen war genuin, bislang einmalig in der Geschichte von Kolonialismus und Imperialismus.

Genial dagegen war – frei nach Nietzsche – die Umwertung der Werte: die US-Schulden bei den Europäern wurden einfach in Währungsreserven umgedeutet. Seit den 1950er Jahren hat sich das Zahlungsbilanzdefizit der USA Jahr für Jahr erhöht, „ohne dass diese Entwicklung die Amerikaner selbst oder die Welt beunruhigt hätte.“ (162)

Statt Kredite bei den Verbündeten aufzunehmen, „pumpten sie Dollarnoten in die Weltwirtschaft; auf diese Weise verschuldeten sie sich, gleichzeitig taten sie aber alles, um diese Schulden nicht zurückzuzahlen.“ (324) Unter Präsident Kennedy bröckelte die Fähigkeit und die Bereitschaft, die Dollar-Schulden wie vereinbart in Gold zu tauschen. „Mit Hilfe bilanzkosmetischer Tricks sollte der Eindruck erweckt werden, die Regierung führe das US-Zahlungsbilanzdefizit zurück. Eine dieser Finessen war die Ausgabe nicht börsenfähiger, nicht konvertierbarer, mittelfristiger US-Schuldtitel an ausländische Zentralbanken anstelle von Gold.“ (327). Man nannte sie euphemistisch „Schatzpapiere“, frei nach dem Titel des US-Finanzministeriums: United States Department of the Treasury.

Durch diesen Transfer wurden die US-Schulden gleichsam bei den europäischen Zentralbanken eingefroren. Positiver Nebeneffekt: „Es wurde für eine einzige Nation, die Vereinigten Staaten, möglich, ihre Inflation zu exportieren, indem sie ihr Zahlungsbilanzdefizit mit US-Papieren statt mit Gold ausglich.“ (352) Aber der Hauptzweck war die Umdeutung dieser „Schatzpapiere“ in Währungsreserven der europäischen Zentralbanken. US-Regierungen bezeichneten die Ignoranz der eigenen Zahlungsbilanzdefizite bis dahin als „wohlwollende Vernachlässigung“. Nun wurde es notwendig, die neue neue Dollar-Ideologie zu begründen. Dies Aufgabe übernahmen renommierte Wirtschaftswissenschafter.

US-Defizite, so gab man zu verstehen, seien eine Begleiterscheinung der Tatsachen, „dass Amerika ein florierender Absatzmarkt für ausländische Produkte bleibe, und sie seien daher notwendig für ein anhaltendes reibungsloses Funktionieren der Weltwirtschaft und ihres Kreditsystems. […] Diese Argumentation führte zu der sogenannten Hypothese von der Internationalen Finanzintermediation (IFI), wonach das US-Zahlungsbilanzdefizit lediglich eine Illusion sei.“ (362 f) So wurde das „Zahlungsbilanzdefizit neu definiert: von einem Maß des ökonomischen Ungleichgewichts in den internationalen US-Transaktionen zu einer vagen Kategorie, die das Handelsministerium definierte als ‚Transaktion in US-amerikanischen monetären Aktiva‘“. (369) Anders gesagt: die US-Zahlungsbilanz wurde per definitionem immer als positiv festgesetzt.

Bei all diesen Manipulationen wurde die Illusion der Deckung des Dollars durch Gold aufrechterhalten. Erst unter Präsident Nixon, „im Jahr 1971 erkannten die Vereinigten Staaten förmlich Goldforderungen gegen ihre Währungsreserven nicht mehr an.“ (346) Der Goldpreis, der seit den 1930er Jahren über drei Jahrzehnte stabil bei 35 Dollar pro Unze gehalten wurde, schnellte auf 700 Dollar je Unze in die Höhe. „Das monetäre Eigeninteresse der Vereinigten Staaten löste einen weltweiten Anstieg der Rohstoff- und Goldpreis aus.“

Die OPEC-Staaten schauten nicht tatenlos zu, sondern vervierfachten die Ölpreise. Darüber hinaus zwangen die USA die Europäer, ihre Währungen abzuwerten. Die erste Wirtschaftskrise nach den Nachkriegsjahren wurde damit losgetreten und auf dem Rücken der Europäer ausgetragen. Der Finanzimperialismus hat sich damit endgültig etabliert. Das gleichnamige Buch von Michael Hudson erörtert im Schlusskapitel die monetäre Frühjahrsoffensive von 1973. Aber es gibt eine Fortsetzung:Der Sektor. Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört“, erschienen 2016.