Anders Günther: Die Antiquiertheit des Menschen

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Einer der Pioniere im Kampf gegen die Atombombe und gegen Atomkraftwerke ist der Philosoph Günther Anders (1902-1992). Die Atombombe ist das zentrale Thema seines Buches "Die Antiquiertheit des Menschen". Der erste Teil, erschienen 1956, handelt "Über die Seele im Zeitalter der Zweiten Industriellen Revolution". Der zweite Teil besteht aus Essays, Analysen, Diagnosen und Prognosen, die Anders nach dem II. Weltkrieg sukzessive bis zum Erscheinungsdatum 1979 geschrieben hat. Hier einige Zitate aus dem Teil II mit dem Titel: "Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der Dritten Industriellen Revolution", eine "Anthropologie im Zeitalter der Technokratie".

Anders G Vita

Vita (c) Internationale Günther Anders Gesellschaft, Nationalbibliothek Wien

Siehe auch: Der Begriff der Geschichte bei Günther Anders
Diplomarbeit von Philippe Armand Rene Mosshammer, Download als pdf auf dem Server der UNI Wien

Atombombe

Friedliche Kernkraft ist nicht möglich

"Unter 'Technokratie' verstehe ich nicht die Herrschaft von Technokraten (...), sondern die Tatsache, daß die Welt, in der wir heute leben und die über uns befindet, eine technische ist - was so weit geht, daß wir nicht mehr sagen dürfen, in unserer geschichtlichen Situation gebe es u.a. auch Technik, vielmehr sagen müssen: in dem 'Technik' genannten Weltzustand spiele sich nun die Geschichte ab, bzw. die Technik ist nun zum Subjekt der Geschichte geworden, mit der wir nur noch 'mitgeschichtlich' sind." (317)

"Nun gilt aber nicht nur, daß alles Machbare gesollt ist, sondern auch, daß jede dem Gemachten zugedachte Verwendung auch wirklich durchgeführt werden soll; nicht nur, daß keine Waffe je erfunden worden ist, die nicht auch effektiv hergestellt worden wäre; sondern daß auch keine je hergestellt worden ist, die nicht auch effektiv eingesetzt worden wäre. Nicht nur ist das Gekonnte das Gesollte, sondern auch das Gesollte das Unvermeidliche." (325)

"'Verwendet' sind auch diejenigen von A produzierten Waffen, deren Einsatz in Bedrohung bzw Erpressung besteht, die aber den virtuellen Gegner zur Waffenverbesserung seinerseits zwingt, auf die A nun wiederum mit der Herstellung 'noch besserer' Waffen reagieren muß. Seit 1945 haben die Vereinigten Staaten die Sowjetunion benötigt, um diese Lizitierung durchzuführen und dadurch die Steigerung der eigenen Waffenproduktion aufrechtzuerhalten. Wenn es die Sowjetunion nicht gegeben hätte, die Vereinigten Staaten hätten sie erfinden müssen." (326)

"Nicht also, weil sie physikalisches Novum ist - das ist sie auch - ist die Kernkraft das Symbol der dritten industriellen Revolution, sondern deshalb, weil ihr möglicher oder wahrscheinlicher Effekt - was von keinem früheren menschlichen Effekt je hatte behauptet werden können - metaphysischer Natur ist. 'Metaphysisch' nenne ich den Kernkraft-Effekt deshalb, weil das Beiwort 'epochal' noch das Weitergehen der Geschichte und die Nachfolge weiterer Epochen als Selbstverständlichkeit unterstellt - eine Unterstellung, die uns Heutigen nicht mehr erlaubt ist. ... Diese dritte Revolution ist die letzte." (328) Innerhalb dieser endgültigen industriellen Revolution gibt es allerdings noch eine Reihe von "Binnenrevolutionen", wie Günther Anders weiter ausführt.

"Das Wesen der Konsumwaren besteht darin, daß sie da sind, um nicht dazusein. Sie werden hergestellt, um im Gebrauch so rasch wie möglich verbraucht zu werden. ... Auch die Waffen gehören in diese Klasse der idealen Gegenstände, der Gegenstände, die durch (den ersten) Gebrauch verbraucht werden sollen. Eine Napalm-Bombe kann man so wenig zweimal werfen, wie man eine Semmel zweimal essen kann." (355)

"Wer einmal eine Atombombenexplosion als ins Haus geliefertes Bild, also in Form einer tanzenden Postkarte, in seinem wohlgeheizten Zimmer konsumiert hat, der wird nunmehr alles, was er sonst über die Atomsituation hören mag, mit diesem einmal gesehenen nippes-artigen Heimereignis assoziieren und damit der Fähigkeit beraubt sein, die Sache selbst aufzufassen und zu dieser eine angemessene Stellung zu beziehen. Was geliefert wird, und zwar in flüssigem Zustand, das heißt: so, daß es unmittelbar geschluckt werden kann, macht Auseinandersetzungen unmöglich, weil überflüssig." (553)

"Unvergeßlich für mich, daß in New York bereits eine Woche nach der Verwüstung von Hiroshima ein Burlesque Theatre mit den Worten: 'Sensational An-atomic Bombs! Step Inside!' die Passanten hereinzulocken versuchte. Duch diese fünf Wörter war nach der Auslöschung der Stadt auch die Tatsache dieser Auslöschung ausgelöscht." (610)

"Carter erklärte laut Herald Tribune, die nuklearen Aufbereitungsanlagen könnten in 'falsche Hände', in die von 'Kriminellen' fallen. Welche Naivität! So als wenn es 'richtige Hände', nichtkriminelle Eigentümer des Monströen gäbe! Wird nicht jede Hand, die solche Installationen 'hält', eben durch dieses ihr Halten, bereits zur 'falschen', zur kriminiellen Hand? War etwa Trumans Hand und seine Verwendung der zwei Bomben im Jahre 1945 deshalb weniger 'falsch', weil er erbärmlicherweise Präsident der USA war?" (634)