Erster Band, drittes Kapitel:
MAKROKOSMOS
II. Apollinische, faustische, magische Seele (Abschnitte 6 - 15)
(Hervorhebungen von ethos.at) / Sätze in […] sind im Buch Fußnoten von O.S.
Abschnitt 11 (zitiert nach Projekt Gutenberg)
So stammt die Erscheinung des großen Stils also aus dem Wesen des Makrokosmos, aus dem Ursymbol einer großen Kultur. Man wird, wenn man den Gehalt des Wortes zu würdigen weiß, das nicht einen Formbestand, sondern eine Formgeschichte bezeichnet, die fragmentarischen und chaotischen Kunstäußerungen des Urmenschentums nicht zu der umfassenden Bestimmtheit eines solchen Stils mit seiner Entwicklung über Jahrhunderte hin in Beziehung bringen. Erst die als Einheit nach Ausdruck und Bedeutung wirkende Kunst der großen Kulturen – und nun nicht mehr die Kunst allein – hat Stil.
Zur organischen Geschichte eines Stils gehört ein Vorher, Außerhalb und Nachher. Die »Stiertafel« aus der 1. ägyptischen Dynastie ist noch nicht »ägyptisch«. [H. Schäfer, Von ägyptischer Kunst I, S. 15 f.] Erst mit der 3. Dynastie erhalten die Werke, und zwar plötzlich und sehr bestimmt einen Stil. Ebenso steht die Karolingerkunst »zwischen den Stilen«. Man bemerkt ein Tasten, ein Ausprobieren verschiedener Formen, aber nichts von innerlich notwendigem Ausdruck. Der Schöpfer des Aachener Münsters »denkt sicher, baut sicher, aber er fühlt nicht sicher«. [Frankl, Baukunst des Mittelalters (1918), S. 16 ff.] Die Marienkirche auf der Feste Würzburg (um 700) hat ihr Seitenstück in Saloniki (St. Georg); die Kirche von Germigny des Près (um 800) ist mit Kuppeln und Hufeisenbögen fast eine Moschee. 850-950 besteht für das ganze Abendland eine Lücke. Ebenso steht die russische Kunst noch heute »zwischen den Stilen«. Auf den primitiven, von Norwegen bis zur Mandschurei verbreiteten Holzbau mit steilem, achteckigem Zeltdach dringen über die Donau byzantinische, über den Kaukasus armenisch-persische Motive ein.
Eine Wahlverwandtschaft zwischen der russischen und magischen Seele ist wohl zu fühlen, aber das Ursymbol des Russentums, die unendliche Ebene, [Vgl. Bd. II, S. 921 Anm. Der Mangel jeder Vertikaltendenz im russ. Lebensgefühl erscheint auch in der Sagengestalt des Jlja von Murom (Bd. II, S. 788). Der Russe hat nicht das geringste Verhältnis zu einem Vatergott. Sein Ethos ist nicht Sohnes-, sondern reine Bruderliebe, die allseitig in die Menschenebene ausstrahlt. Auch Christus wird als Bruder empfunden. Das faustische, ganz vertikale Streben nach persönlicher Vervollkommnung ist dem echten Russen eitel und unverständlich. Auch die russischen Ideen von Staat und Eigentum entbehren jeder Vertikaltendenz.] findet wie religiös, so auch architektonisch noch keinen sicheren Ausdruck. Das Kirchendach hebt sich hügelartig kaum von der Landschaft ab, und auf ihm sitzen die Zeltdachspitzen mit den »Kokoschniks«, welche das Aufstreben verschleiern und aufheben sollen. Sie steigen nicht auf wie gotische Türme und decken nicht zu wie die Kuppeln der Moschee, sondern sie »sitzen« und betonen damit das Horizontale des Baus, der lediglich von außen aufgefaßt sein will. Als der Synod um 1670 die Zeltdächer verbot und die orthodoxen Zwiebelkuppeln vorschrieb, wurden die schweren Kuppeln auf schlanke Zylinder aufgesetzt, die in beliebiger ZahlAuf der Friedhofskirche in Kishi sind es 22. auf der Dachebene »sitzen«. [J. Grabar, Gesch. der russ. Kunst (1911, russ.) I-III. A. Eliasberg, Russ. Baukunst (1922), Einleitung.] Das ist noch kein Stil, aber das Versprechen eines Stils, der erst mit der eigentlich russischen Religion erwachen wird.
Das Erwachen erfolgte im faustischen Abendlande kurz vor 1000. Mit einem Schlage ist der romanische Stil fertig. An Stelle der verschwimmenden Raumgliederung mit unsicherem Grundriß tritt plötzlich eine straffe Dynamik des Raumes. Von Anfang an sind Außen- und Innenbau in ein festes Verhältnis gesetzt, so daß die Wand von der Formensprache durchdrungen wird wie in keiner andern Kultur; von Anfang an ist die Bedeutung der Fenster und der Türme bestimmt. Die Idee der Form war unwiderruflich gegeben, nur die Entwicklung stand noch bevor.
Mit einem schöpferischen Akt von gleicher Unbewußtheit und symbolischer Wucht beginnt der ägyptische Stil. Das Ursymbol des Weges ist plötzlich ins Leben getreten, mit dem Beginn der 4. Dynastie (2550 v. Chr.). Das weltbildende Tiefenerlebnis dieser Seele empfängt seinen Gehalt vom Richtungsfaktor selbst: die Tiefe des Raumes als erstarrte Zeit, die Ferne, der Tod, das Schicksal selbst beherrschen den Ausdruck; die bloß sinnlichen Dimensionen der Länge und Breite werden zur begleitenden Fläche, die den Weg des Schicksals einengt und vorschreibt. Das ägyptische Flachrelief, auf Nahsicht berechnet und in seiner reihenweisen Anordnung den Betrachter zwingend, in vorgeschriebener Richtung die Wandflächen abzuschreiten, taucht ebenso plötzlich gegen Beginn der 5. Dynastie auf.
[Die Klarheit in der Anlage der ägyptischen und abendländischen Geschichte gestattet einen bis ins einzelne gehenden Vergleich, der wohl einer kunsthistorischen Untersuchung wert wäre. Die 4. Dynastie des strengen Pyramidenstils (2550-2450, Cheops, Chephren) entspricht der Romanik (980-1100); die 5. Dynastie (2450-2320, Sahu-rê) der Frühgotik (1100-1230); die 6. Dynastie, die Blütezeit der archaischen Bildniskunst (2320-2190, Phiops I. u. II.) der Hochgotik (1230-1400). (Siehe die Bemerkung auf Tafel I nach S. 70. H. K.)]
Die noch späteren Reihen von Sphinxen und Statuen, die Felsen- und Terrassentempel verstärken beständig die Tendenz auf die einzige Ferne, welche die Welt des ägyptischen Menschen kennt, das Grab, den Tod. Man bemerke wohl, wie schon die Säulenreihen der Frühzeit nach Durchmesser und Abstand der mächtigen Schäfte genau so gegliedert sind, daß sie jeden seitlichen Durchblick verdecken. Das hat sich in keiner andern Architektur wiederholt.
Die Größe dieses Stils erscheint uns starr und unveränderlich. Er steht allerdings jenseits der Leidenschaft, die noch sucht und fürchtet und untergeordneten Einzelzügen damit eine rastlose persönliche Bewegtheit im Lauf der Jahrhunderte erteilt; aber sicherlich wäre dem Ägypter der faustische Stil – er bildet von der frühesten Romanik bis zum Rokoko und Empire ebenfalls eine Einheit – in seiner Unruhe und seinem ständigen Suchen nach einem Etwas viel gleichförmiger erschienen, als wir uns vorstellen können. Vergessen wir nicht, daß aus dem hier vorausgesetzten Begriff des Stils folgt, daß Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko nur Stufen ein und desselben Stils sind, an dem wir selbst naturgemäß vor allem das Wechselnde, das Auge anders gearteter Menschen das Bleibende bemerken. In der Tat beweisen zahllose Umbauten romanischer Werke im Barock-, spätgotischer im Rokokostil, die durch nichts auffallen, die innere Einheit der nordischen Renaissance und ebenso die der Bauernkunst, in welcher Gotik und Barock völlig identisch geworden ist, die Straßen alter Städte, deren Giebel und Fassaden aller Stilarten einen reinen Einklang bilden, und die Unmöglichkeit, Romanik und Gotik, Renaissance und Barock, Barock und Rokoko in einzelnen Fällen überhaupt zu unterscheiden, daß die »Familienähnlichkeit« dieser Abschnitte viel größer ist, als sie den Angehörigen erscheint.
Der ägyptische Stil ist rein architektonisch bis zum Erlöschen dieser Seele. Er ist der einzige, in welchem neben der Architektur ein verzierendes Ornament vollkommen fehlt. Er gestattet keine Abschweifung zu unterhaltenden Künsten, keine Tafelmalerei, keine Büste, keine weltliche Musik. In der Antike geht mit der Ionik der Schwerpunkt der Stilbildung von der Architektur zu einer von ihr unabhängigen Plastik über; im Barock geht er hinüber zur Musik, deren Formensprache ihrerseits die gesamte Baukunst des 18. Jahrhunderts beherrscht; im Arabertum löst seit Justinian und dem Perserkönig Chosru Nuschirwan die Arabeske alle Formen der Architektur, Malerei und Plastik zu Stileindrücken auf, die wir heute als kunstgewerblich bezeichnen könnten. In Ägypten bleibt die Herrschaft der Architektur unangefochten. Sie mildert lediglich ihre Sprache. In den Hallen der Pyramidentempel der 4. Dynastie (Pyramide des Chephren) stehen schmucklose, scharfkantige Pfeiler. In den Bauten der 5. Dynastie (Pyramide des Sahu-rê) erscheint die Pflanzensäule. Steingewordene Lotus- und Papyrusbündel wachsen riesenhaft aus dem Fußboden von durchscheinendem Alabaster auf, der das Wasser bedeutet, eingeschlossen von purpurnen Wänden. Die Decke ist mit Vögeln und Sternen geschmückt. Der heilige Weg vom Torbau zur Grabkammer, das Bild des Lebens, ist ein Strom. Es ist der Nil selbst, der mit dem Ursymbol der Richtung eins wird. Der Geist der mütterlichen Landschaft vereinigt sich mit der aus ihm entsprungenen Seele. In China tritt an die Stelle der mächtigen Pylonenwand, die mit der engen Pforte dem Nahenden entgegendroht, die »Geistermauer« (yin-pi), die den Eingang verdeckt. Der Chinese schlüpft in das Leben, wie er von da an das Tao des Lebenspfades verfolgt; und wie das Niltal zu den Hügelebenen der Landschaft am Hoangho, so verhält sich der steinumschlossene Tempelweg zu den verschlungenen Pfaden der chinesischen Gartenarchitektur. Ganz ebenso knüpft sich das euklidische Dasein der antiken Kultur in geheimnisvoller Weise an die vielen kleinen Inseln und Vorgebirge des Ägäischen Meeres, und die stets im Unendlichen schweifende Leidenschaft des Abendlandes an die weiten fränkischen, burgundischen, sächsischen Ebenen.
12
Der ägyptische Stil ist der Ausdruck einer tapferen Seele. Seine Strenge und Wucht ist vom ägyptischen Menschen selbst nie empfunden und betont worden. Man wagte alles, aber man schwieg darüber. In der Gotik und im Barock dagegen wird die Überwindung des Schweren zum stets bewußten Motiv der Formensprache. Das Drama Shakespeares redet laut von den verzweifelten Kämpfen zwischen Wille und Welt. Der antike Mensch war den »Mächten« gegenüber schwach. Die Katharsis von Furcht und Mitleid, das Aufatmen der apollinischen Seele im Augenblick der Peripetie war nach Aristoteles die beabsichtigte Wirkung der attischen Tragödie. Indem der Grieche das Schauspiel vor sich hatte, wie jemand, den er kannte – denn jeder kannte den Mythos und seinen Helden und lebte in ihm – vom Geschick sinnlos zertreten wurde, ohne daß ein Widerstand gegen die Mächte denkbar war, und in prachtvoller Haltung, trotzend, heroisch unterging, erfolgte in seiner euklidischen Seele eine wunderbare Erhebung. War das Leben nichts wert, so war es doch die große Geste, mit der man es verlor. Man wollte und wagte nichts, aber man fand eine berauschende Schönheit im Ertragen. Schon die Gestalt des Dulders Odysseus, in viel höherem Grade noch das Urbild des hellenischen Menschen, Achilles, zeugt davon. Die Moral der Cyniker, der Stoa, Epikurs, das allgemeine hellenische Ideal der Sophrosyne und Ataraxia, Diogenes in seinem Fasse, der δεωρια huldigend – das alles ist verkappte Feigheit vor allem Schweren und Verantwortungsvollen und sehr verschieden von dem Stolz der ägyptischen Seele; der apollinische Mensch geht dem Leben im Grund aus dem Wege, bis zum Selbstmord, der in dieser Kultur allein – wenn man wiederum von verwandten indischen Idealen absieht – den Rang einer hohen sittlichen Handlung erhielt und mit der Feierlichkeit eines sakralen Symbols behandelt wurde; der dionysische Rausch erscheint der gewaltsamen Übertäubung von etwas verdächtig, das die ägyptische Seele gar nicht kannte. Und deshalb ist diese Kultur die des Kleinen, Leichten, Einfachen. Ihre Technik ist, an der ägyptischen und babylonischen gemessen, ein geistvolles Nichts (Vgl. Bd. II, S. 1186 Anm. 1). Ihr Ornament ist so arm an Erfindung wie kein zweites. Der Typenschatz ihrer Plastik in Stand und Haltung läßt sich an den Fingern abzählen.
»Bei der auffallenden Formenarmut des dorischen Stils, auch wenn sie zu Anfang der Entwicklung geringer gewesen sein sollte als späterhin, drehte sich alles um die Proportionen und um die Maße.« [Koldewey-Puchstein, Die griech. Tempel in Unteritalien und Sizilien I, S. 228.] Aber auch da welches Geschick im Vermeiden! Die griechische Architektur mit ihrem Gleichmaß von Stütze und Last und den ihr eigentümlichen kleinen Maßstäben wirkt wie eine ständige Ausflucht vor schwierigen tektonischen Problemen, die man am Nil und später im hohen Norden mit einer Art von dunklem Pflichtgefühl geradezu suchte und die man in der mykenischen Zeit gekannt und sicherlich nicht vermieden hat. Der Ägypter liebte das harte Gestein ungeheurer Bauten; es entsprach seinem Selbstbewußtsein, nur das Schwerste als Aufgabe zu wählen; der Grieche mied es. Erst suchte seine Baukunst kleine Aufgaben, dann hörte sie ganz auf. Vergleicht man sie in ihrem vollen Umfange mit der Gesamtheit der ägyptischen, mexikanischen oder gar abendländischen, so ist man über die Geringfügigkeit der Stilentwicklung erstaunt. Mit einigen Variationen des dorischen Tempeltyps ist sie erschöpft und mit der Erfindung des korinthischen Kapitäls (um 400) bereits abgeschlossen. Alles Spätere ist Abwandlung von Vorhandenem.
Das hat zu einer fast körperhaften Befestigung der Formtypen und Stilgattungen geführt. Man konnte zwischen ihnen wählen, aber ihre strengen Grenzen überschreiten durfte man nicht. Das wäre gewissermaßen die Anerkennung eines unendlichen Raumes von Möglichkeiten gewesen. Es gab drei Säulenordnungen und eine bestimmte Gliederung des Architravs für jede. Da bei dem Wechsel von Triglyphen und Metopen der schon von Vitruv behandelte Konflikt an den Ecken entstand, so wurden die letzten Interkolumnien schmaler gehalten, denn niemand dachte daran, hier neue Formen zu ersinnen. Wollte man größere Abmessungen, so wurde die Zahl der Elemente über, neben, hinter einander vermehrt. Das Kolosseum besitzt drei Ringe, das Didymaion in Milet drei Säulenreihen in der Front, der Gigantenfries von Pergamon eine endlose Folge unverbundener Einzelmotive. Ebenso steht es mit den Stilgattungen der Prosa und den Typen der Lyrik, Erzählung und Tragödie. Überall ist der Aufwand im Entwerfen der Grundform auf ein Minimum beschränkt und die Gestaltungskraft des Künstlers auf die Feinheit im einzelnen verwiesen: eine reine Statik der Gattungen, die im schärfsten Widerspruch zur faustischen Dynamik der Geburt immer neuer Typen und Formgebiete steht.
13
Der Organismus großer Stilfolgen wird nun übersehbar geworden sein. Der erste, dem dieser Blick aufging, war wiederum Goethe. In seinem »Winckelmann« sagt er von Vellejus Paterculus: »Auf seinem Standorte war es ihm nicht gegeben, die ganze Kunst als ein Lebendiges ζωον anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, ein langsames Wachstum, einen glänzenden Augenblick seiner Vollendung, eine stufenfällige Abnahme, wie jedes andere organische Wesen, nur in mehreren Individuen notwendig darstellen muß.« In diesem Satz ist die ganze Morphologie der Kunstgeschichte enthalten. Stile folgen nicht aufeinander wie Wellen und Pulsschläge. Mit der Persönlichkeit einzelner Künstler, ihrem Willen und Bewußtsein haben sie nichts zu schaffen. Im Gegenteil, der Stil ist es, welcher den Typus des Künstlers schafft. Der Stil ist wie die Kultur ein Urphänomen im strengsten Sinne Goethes, sei es der Stil von Künsten, Religionen, Gedanken oder der Stil des Lebens selbst. So gut »Natur« ein immer neues Erlebnis des wachen Menschen ist, als sein alter ego und Spiegelbild in der Umwelt, so der Stil. Deshalb kann es im historischen Gesamtbilde einer Kultur nur einen, den Stil dieser Kultur, geben. Es war falsch, bloße Stilphasen wie Romanik, Gotik, Barock, Rokoko, Empire als eigene Stile zu unterscheiden und mit Einheiten von ganz anderem Range wie dem ägyptischen, chinesischen Stil oder gar einem »prähistorischen Stil« gleichzusetzen.
Gotik und Barock: das ist Jugend und Alter desselben Inbegriffs von Formen, der reifende und der gereifte Stil des Abendlandes. Es fehlt unserer Kunstforschung in diesem Punkte an Distanz, an der Unbefangenheit des Blickes und dem guten Willen zur Abstraktion. Man hat es sich bequem gemacht und alle stark empfundenen Formgebiete unterschiedslos als »Stile« aufgereiht. Daß auch hier das Schema Altertum-Mittelalter-Neuzeit den Blick verwirrte, braucht kaum erwähnt zu werden. In der Tat steht selbst ein Meisterwerk der strengsten Renaissance wie der Hof des Palazzo Farnese der Vorhalle von St. Patroklus in Soest, dem Innern des Magdeburger Doms und den Treppenhäusern süddeutscher Schlösser des 18. Jahrhunderts unendlich viel näher als dem Tempel von Pästum oder dem Erechtheion. Dasselbe Verhältnis besteht zwischen Dorik und Ionik. Deshalb kann die ionische Säule mit dorischen Bauformen eine ebenso vollkommene Verbindung eingehen wie Spätgotik und frühes Barock in St. Lorenz zu Nürnberg oder späte Romanik mit spätem Barock in dem schönen Oberteil des Mainzer Westchores. Deshalb hat unser Auge noch kaum gelernt, im ägyptischen Stil die der dorisch-gotischen Jugend und dem ionisch-barocken Alter entsprechenden Elemente des Alten und des Mittleren Reiches zu unterscheiden, die seit der 12. Dynastie sich in der Formensprache aller größeren Werke mit vollkommener Harmonie durchdringen.
Der Kunstgeschichte steht die Aufgabe bevor, die vergleichenden Biographien der großen Stile zu schreiben. Sie haben alle, als Organismen derselben Gattung, eine Lebensgeschichte von verwandter Struktur.
Am Anfang steht der verzagte, demütige, reine Ausdruck einer eben erwachenden Seele, die noch nach einem Verhältnis zur Welt sucht, der sie, obwohl einer eigenen Schöpfung, doch fremd und befremdet gegenübersteht. Es liegt Kinderangst in den Bauten des Bischofs Bernward von Hildesheim, in der altchristlichen Katakombenmalerei und den Pfeilersälen zu Anfang der 4. Dynastie. Ein Vorfrühling der Kunst, ein tiefes Ahnen künftiger Gestaltenfülle, eine mächtige, verhaltene Spannung ruht über der Landschaft, die sich, noch ganz bäuerlich, mit den ersten Burgen und kleinen Städten schmückt. Dann folgt der jauchzende Aufschwung in der hohen Gotik, der konstantinischen Zeit mit ihren Säulenbasiliken und Kuppelkirchen, und den reliefgeschmückten Tempeln der 5. Dynastie. Man begreift das Sein; der Glanz einer heiligen, vollkommen gemeisterten Formensprache breitet sich aus und der Stil reift zu einer majestätischen Symbolik der Tiefenrichtung und des Schicksals heran. Aber der jugendliche Rausch geht zu Ende. Aus der Seele selbst erhebt sich Widerspruch. Renaissance, dionysisch-musikalische Feindschaft gegen die apollinische Dorik, der auf Alexandria blickende Stil im Byzanz von 450 gegenüber der heiter-lässigen antiochenischen Kunst bedeuten einen Augenblick der Auflehnung und der versuchten oder erreichten Zerstörung des Erworbenen, deren sehr schwierige Erörterung hier nicht am Platze ist. Damit tritt das Mannesalter der Stilgeschichte in Erscheinung. Die Kultur wird zum Geist der großen Städte, die jetzt die Landschaft beherrschen; sie durchgeistigt auch den Stil. Die erhabene Symbolik verblaßt; das Ungestüm übermenschlicher Formen geht zu Ende; mildere weltlichere Künste verdrängen die große Kunst des gewachsenen Steins; selbst in Ägypten wagen Plastik und Fresko sich etwas leichter zu bewegen. Der Künstler erscheint. Er »entwirft« jetzt, was bis dahin aus dem Boden wuchs. Noch einmal steht das Dasein, das sich selbst bewußt gewordne, vom Ländlich-Traumhaften und Mystischen gelöst, fragwürdig da und ringt nach einem Ausdruck seiner neuen Bestimmung: zu Beginn des Barock, wo Michelangelo in wildem Unbefriedigtsein und sich gegen die Schranken seiner Kunst bäumend die Peterskuppel auftürmt, zur Zeit Justinians I., wo seit 520 die Hagia Sophia und die mosaikgeschmückten Kuppelbasiliken von Ravenna entstehen, im Ägypten zu Beginn der 12. Dynastie, deren Blüte für die Griechen der Name Sesostris zusammenfaßte, und um 600 in Hellas, wo viel später noch Aischylos verrät, was eine hellenische Architektur in dieser entscheidenden Epoche hätte ausdrücken können und müssen.
Dann erscheinen die leuchtenden Herbsttage des Stils: noch einmal malt sich in ihm das Glück der Seele, die sich ihrer letzten Vollkommenheit bewußt wird. Die Rückkehr »zur Natur«, damals schon als nahe Notwendigkeit von Denkern und Dichtern, von Rousseau, Gorgias und den »Gleichzeitigen« der andern Kulturen gefühlt und angekündigt, verrät sich in der Formenwelt der Künste als empfindsame Sehnsucht und Ahnung des Endes. Hellste Geistigkeit, heitre Urbanität und Wehmut eines Abschiednehmens: von diesen letzten farbigen Jahrzehnten der Kultur hat Talleyrand später gesagt: » Qui n'a pas vécu avant 1789, ne connait pas la douceur de vivre.« [Jeder, der nicht vor 1789 gelebt hat, kennt die Süße des Lebens nicht.]
So erscheint die freie, sonnige, raffinierte Kunst zur Zeit Sesostris' III. (um 1850). Dieselben kurzen Augenblicke gesättigten Glücks tauchen auf, als unter Perikles die bunte Pracht der Akropolis und die Werke des Phidias und Zeuxis entstanden. Wir finden sie ein Jahrtausend später zur Ommaijadenzeit in der heitern Märchenwelt maurischer Bauten mit ihren fragilen Säulen- und Hufeisenbögen, die sich im Leuchten der Arabesken und Stalaktiten in die Luft auflösen möchten, und wieder ein Jahrtausend darauf in der Musik Haydns und Mozarts, den Schäfergruppen von Meißner Porzellan, den Bildern Watteaus und Guardis und den Werken deutscher Baumeister in Dresden, Potsdam, Würzburg und Wien.
Dann erlischt der Stil. Auf die bis zum äußersten Grade durchgeistigte, zerbrechliche, der Selbstvernichtung nahe Formensprache des Erechtheion und des Dresdner Zwingers folgt ein matter und greisenhafter Klassizismus, in hellenistischen Großstädten ebenso wie im Byzanz von 900 und im Empire des Nordens. Ein Hindämmern in leeren, ererbten, in archaistischer oder eklektischer Weise vorübergehend wieder belebten Formen ist das Ende. Halber Ernst und fragwürdige Echtheit beherrschen das Künstlertum. In diesem Falle befinden wir uns heute. Es ist ein langes Spielen mit toten Formen, an denen man sich die Illusion einer lebendigen Kunst erhalten möchte.
14
Erst wenn man sich von der Täuschung jener antiken Kruste befreit hat, die mit einer archaisierenden oder willkürlich eigne und fremde Motive mischenden Fortsetzung innerlich längst erstorbener Kunstübungen den jungen Osten in der Kaiserzeit überlagert; wenn man in der altchristlichen Kunst und in allem, was in der »spätrömischen« wirklich lebendig ist, die Frühzeit des arabischen Stils erkannt hat; wenn man in der Epoche Justinians I. das genaue Seitenstück des spanisch-venezianischen Barock wiederfindet, wie es unter den großen Habsburgern Karl V. und Philipp II. Europa beherrschte; in den Palästen von Byzanz mit ihren mächtigen Schlachtenbildern und Prunkszenen, deren längst untergegangene Pracht höfische Literaten wie Prokop von Cäsarea in schwülstigen Reden und Versen feiern, das Seitenstück der Paläste des frühen Barock in Madrid, Venedig und Rom und die dekorativen Riesengemälde von Rubens und Tintoretto: erst dann gewinnt das bisher als Einheit nicht begriffene Phänomen der arabischen Kunst – das volle erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung umfassend – Gestalt. Da es an entscheidender Stelle im Bilde der Gesamtkunstgeschichte steht, so hat das bisher waltende Mißverstehen die Erkenntnis der organischen Zusammenhänge überhaupt verhindert. [Zum folg. Bd. II, Kap. III.]
Merkwürdig und für den, der hier einen Blick für bisher unbekannte Dinge gewonnen hat, ergreifend ist es zu sehen, wie diese junge Seele, vom Geist der antiken Zivilisation in Fesseln gehalten, unter den Eindrücken vor allem der politischen Allmacht Roms es nicht wagte, sich frei zu regen, wie sie demütig sich veralteten und fremden Formen unterwarf und sich mit griechischer Sprache, griechischen Ideen und Kunstmotiven zu bescheiden suchte. Die inbrünstige Hingabe an die Mächte der jungen Tageswelt, wie sie die Jugend jeder Kultur bezeichnet, die Demut des gotischen Menschen in seinen frommen, hochgewölbten Räumen mit den Pfeilerstatuen und lichterfüllten Glasgemälden, die hohe Spannung der ägyptischen Seele inmitten ihrer Welt der Pyramiden, Lotossäulen und Reliefsälen mischt sich hier mit einem geistigen Niederknien vor erstorbenen Formen, die man für ewig hielt. Daß ihre Herübernahme und Weiterbildung trotzdem nicht gelang, daß wider Willen und unvermerkt, ohne den Stolz der Gotik auf das Eigne, das man hier, im Syrien der Kaiserzeit, fast beklagte und als Verfall empfand, eine geschlossene neue Formenwelt emporstieg und mit ihrem Geiste – unter der Maske griechisch-römischer Baugewohnheiten – selbst Rom erfüllte, wo syrische Meister am Pantheon und den Kaiserforen arbeiteten, das beweist wie kein zweites Beispiel die Urkraft eines jungen Seelentums, das seine Welt erst noch zu erobern hat.
Wie jede Frühzeit, so sucht auch diese den Ausdruck ihres Seelentums in eine neue Ornamentik, vor allem in deren Gipfel, eine religiöse Architektur zu legen. Aber von dieser ganzen reichen Formenwelt ist bis vor kurzem nur die des westlichen Randes beachtet und deshalb als Heimat und Sitz der magischen Stilgeschichte aufgefaßt worden, obwohl – wie in Religion, Wissenschaft, sozialem und politischem Leben – nur Ausstrahlungen über die Ostgrenze des römischen Imperiums nach Westen drangen.
[Vgl. Bd. II, S. 798f. Riegl Stilfragen: Grundlagen zu einer Geschichte der Ornamentik (1893). Spätrömische Kunstindustrie (1901). und Strzygowski Amida (1910).Die bildende Kunst des Ostens (1916). Altai-Iran (1917). Die Baukunst der Armenier und Europa (1918).]
Riegl und Strzygowski haben diese Lage erkannt, aber um darüber hinaus zu einem vollständigen Bilde der arabischen Kunstentwicklung zu gelangen, muß man sich gleichmäßig von philologischen und religiösen Vorurteilen befreien. Es ist ein Unglück, daß die Kunstforschung religiöse Grenzen wenn auch nicht mehr anerkennt, so doch unbewußt zugrunde legt. Denn es gibt weder eine spätantike noch eine altchristliche noch eine islamische Kunst in dem Sinne, daß die Gemeinschaft der Bekenner in ihrer Mitte einen eignen Stil ausgebildet hätte. Vielmehr besitzt die Gesamtheit dieser Religionen von Armenien bis nach Südarabien und Axum und von Persien bis Byzanz und Alexandria hin trotz aller Gegensätze im einzelnenSie sind nicht größer als die zwischen dorischer, attischer und etruskischer Kunst und wohl geringer als die, welche um 1450 zwischen florentinischer Renaissance, nordfranzösischer, spanischer und ostdeutscher (Backstein-)Gotik bestanden. einen künstlerischen Ausdruck von großer Einheitlichkeit. Alle diese Religionen, die christliche, jüdische, persische, manichäische, synkretistische [Vgl. Bd. II, S. 862ff.] besaßen Kultbauten und, zum wenigsten in der Schrift, ein Ornament vom höchsten Range; und mochten ihre Lehren im einzelnen noch so verschieden sein, so geht doch eine gleichartige Religiosität durch alle hindurch und fand in einem gleichartigen Tiefenerlebnis mit daraus folgender Raumsymbolik ihren Ausdruck. Es gibt etwas in den Basiliken der Christen, hellenistischen Juden und Baalskulte, in den Mithräen, mazdaischen Feuertempeln und Moscheen, was von einem gleichen Seelentum spricht: das Höhlengefühl.
Die Forschung muß entschieden den Versuch machen, die bis jetzt vollkommen vernachlässigte Architektur der südarabischen und persischen Tempel, der syrischen wie der mesopotamischen Synagogen, der Kultbauten im östlichen Kleinasien und selbst in AbessinienDie ältesten christlichen Anlagen im Reich von Axum stimmen sicherlich mit den heidnischen der Sabäer überein. festzustellen, und von den christlichen Kirchen nicht nur die des paulinischen Westens zu begreifen, sondern auch die des nestorianischen Ostens vom Euphrat bis nach China, wo man sie vielsagend in alten Berichten als »persische Tempel« bezeichnet hat. Wenn von all diesen Bauten sich bis jetzt so gut wie nichts dem Blick aufgedrängt hat, so kann der Grund sehr wohl auch darin liegen, daß mit dem Vordringen erst des Christentums und dann des Islams die Kultstätten die Religion gewechselt haben, ohne daß Anlage und Stil dem widersprechen. Von spätantiken Tempeln wissen wir das, aber wie viele Kirchen Armeniens mögen einst Feuertempel gewesen sein?
Der künstlerische Mittelpunkt dieser Kultur liegt entschieden, wie Strzygowski richtig erkannt hat, in dem Städtedreieck Edessa-Nisibis-Amida. Von hier aus herrscht nach Westen die »spätantike« Pseudomorphose: [Vgl. Bd. II, S. 784.] das paulinische, auf den Konzilen von Ephesus und Chalcedon [Vgl. Bd. II, S. 874, 923.] siegreiche, in Byzanz und Rom geltende Christentum, das westliche Judentum und die Kulte des Synkretismus. Der Bautypus der Pseudomorphose ist die Basilika, auch für Juden und Heiden. [Kohl und Watzinger, Antike Synagogen in Galiläa (1916).] Basiliken sind die Baalheiligtümer in Palmyra, Baalbek und zahlreichen andern Orten, zum Teil älter als das Christentum und vielfach später in dessen Gebrauch übergegangen. Sie drückt mit den Mitteln der Antike deren Gegensatz aus, ohne sich von den Mitteln befreien zu können: das ist das Wesen und die Tragik der Pseudomorphose. Je mehr im »antiken« Synkretismus der euklidische Ort, an welchem ein Kult zu Hause ist, in die örtliche unbestimmte Gemeinde übergeht, welche sich zu dem Kult bekennt, [Vgl. Bd. II, S. 801.] desto wichtiger wird das Tempelinnere gegenüber der Außenseite, ohne daß Grundriß, Säulenordnung und Dach sich viel zu ändern brauchen.
Das Raumgefühl wird anders, nicht – zunächst – die Ausdrucksmittel. Im heidnischen Kultbau der Kaiserzeit führt ein deutlicher, aber heute noch unbeachteter Weg von den ganz körperhaften Tempeln augusteischen Stils, deren Cella architektonisch nichts bedeutet, zu solchen, deren Inneres allein Bedeutung besitzt. Zuletzt ist das Außenbild des dorischen Peripteros auf die vier Innenwände übertragen. Die Säulenreihe vor der fensterlosen Wand verleugnet den dahinter liegenden Raum, aber dort für den Betrachter draußen, hier für die Gemeinde im Innern. Es ist demgegenüber von geringerer Bedeutung, ob der ganze Raum zugedeckt ist, wie in der eigentlichen Basilika, oder nur das Allerheiligste wie im Sonnentempel von Baalbek mit dem gewaltigen Vorhof,Frauberger, Die Akropolis von Baalbek, Tf. 22. der später stets zur Anlage der Moschee gehört und vielleicht südarabischer Herkunft ist. [Diez, Die Kunst der islamischen Völker, S. 8 f. In altsabäischen Tempeln liegt vor der Orakelkapelle (makanat) der Altarhof (mahdar).] Für die Bedeutung des Mittelschiffs als ursprünglichem Hallenhof spricht nicht nur die besondere Entwicklung des basilikalen Typus in der ostsyrischen Steppe, vor allem im Hauran, sondern auch die Anordnung in Vorhalle, Schiff und Altarraum, wobei zu diesem als dem eigentlichen Tempel Stufen hinaufführen und die Seitenschiffe als ursprüngliche Hallen eines Hofes blind endigen, so daß die Apsis allein dem Mittelschiff entspricht. In S. Paolo zu Rom ist dieser Ursinn der Anlage sehr deutlich; aber trotzdem hat die Pseudomorphose – die Umkehrung des antiken Tempels – die Ausdrucksmittel bestimmt: Säule und Architrav. Wie ein Symbol wirkt der christliche Umbau des Tempels von Aphrodisias in Karien, bei welchem innerhalb der Säulenstellung die Cella beseitigt und dafür außerhalb eine neue Wand errichtet wurde. [Wulff, Altchristl. und byz. Kunst, S. 227.]
Jenseits des Bereichs der Pseudomorphose aber konnte das Höhlengefühl seine Formensprache frei entfalten, und hier wurde deshalb der Deckenabschluß betont, während man dort aus Protest gegen das antike Fühlen das bloße »Innen« hervorhob. Wann und wo die verschiedenen Möglichkeiten der Wölbung, Kuppel, Gurttonnen, Kreuzgewölbe, technisch entstanden sind, ist, wie schon gesagt wurde, ohne Bedeutung. Entscheidend bleibt, daß um Christi Geburt mit dem Aufschwung des neuen Weltgefühls die neue Raumsymbolik begonnen haben muß, sich dieser Formen zu bedienen und sie auf den Ausdruck hin weiter zu entwickeln. Es läßt sich vielleicht noch nachweisen, daß die Feuertempel und Synagogen Mesopotamiens Kuppelbauten gewesen sind, vielleicht auch die Tempel des Attar in Südarabien. [Auf dessen Reichtum an Tempeln Plinius hinweist. Von einem südarabischen Tempeltypus stammt wahrscheinlich auch die Basilika als Querhaus – mit dem Eingang an der Langseite –, wie sie im Hauran vorkommt und im quergeteilten Altarraum von S. Paolo in Rom deutlich ausgeprägt ist.]
Sicher war es der heidnische Marniontempel in Gaza; und lange bevor unter Konstantin das Christentum paulinischer Richtung sich dieser Formen bemächtigte, sind sie von Baumeistern morgenländischer Herkunft in alle Teile des Imperiums getragen worden, wo sie für den weltstädtischen Geschmack einen ungewohnten Reiz bedeuteten. Unter Trajan hat sie Apollodor aus Damaskus für die Wölbung des Venus- und Romatempels verwendet. Die Kuppelräume der Caracallathermen und die unter Gallienus entstandene Minerva medica sind von Syrern gebaut. Das Meisterwerk aber, die früheste aller Moscheen, ist der Neubau des Pantheon durch Hadrian, der hier sicherlich, wie es seinem Geschmack entsprach, Kultbauten nachahmen wollte, die er im Orient gesehen hatte. [Mit den etruskischen Rundbauten (Altmann, Die ital. Rundbauten, 1906) hat dieses Stück reiner Innenarchitektur weder technisch noch dem Raumgefühl nach irgend etwas zu tun. Dagegen entspricht es den Kuppeln in Hadrians tiburtinischer Villa.]
Der Zentralkuppelbau, in welchem das magische Weltgefühl am reinsten zum Ausdruck gelangt, hat sich jenseits der römischen Grenze entwickelt. Für die Nestorianer wurde er die einzige Form, die sie von Armenien bis nach China hin verbreitet haben, in Gemeinschaft mit Manichäern und Mazdaisten. Aber mit dem Verfall der Pseudomorphose und dem Verschwinden der letzten synkretistischen Kulte dringt sie siegreich auch auf die Basilika des Westens ein. In Südfrankreich, wo es noch zur Zeit der Kreuzzüge manichäische Sekten gab, wurde die Form des Ostens heimisch. Unter Justinian vollzog sich in Byzanz und Ravenna die Durchdringung beider zur Kuppelbasilika. Die reine Basilika wurde in das germanische Abendland verdrängt, wo sie später durch die Energie des faustischen Tiefendranges zum Dom umgestaltet worden ist; die Kuppelbasilika breitete sich von Byzanz und Armenien nach Rußland aus, wo sie langsam wieder als Außenbau empfunden wurde, dessen Dachgestaltung der Schwerpunkt des Symbolischen ist. In der arabischen Welt aber führte der Islam als Erbe des monophysitischen und nestorianischen Christentums und der Juden wie der Perser die Entwicklung zu Ende. Als er die Hagia Sophia in eine Moschee verwandelte, nahm er ein altes Eigentum wieder in Besitz. Der islamische Kuppelbau ist dem mazdaischen und nestorianischen auf den gleichen Bahnen nach Schantung und Indien gefolgt; im fernen Westen entstanden Moscheen in Spanien und Sizilien und zwar, wie es scheint, eher von ostaramäisch-persischem als von westaramäisch-syrischem Stil.
[Vielleicht sind Synagogen als Kuppelbauten lange vor dem Islam dorthin und nach Marokko gelangt, und zwar durch das Mission treibende mesopotamische Judentum (Bd. II, S. 811), das dem persischen Geschmack näherstand, während das Judentum der Pseudomorphose Basiliken baute und auch in seinen römischen Katakomben dem westlichen Christentum künstlerisch völlig gleichsteht. Von Spanien aus ist der jüdisch-persische Stil für die Synagogen des Abendlandes vorbildlich geworden, eine Entwicklung, die der Kunstforschung bis jetzt noch völlig entgangen ist.]
Und während Venedig auf Byzanz und Ravenna blickte (San Marco), lernten seit der Glanzzeit der normannischen Stauferherrschaft in Palermo die Städte längs der italischen Westküste, auch Florenz, diese maurischen Bauten bewundern und nachahmen. Mehr als ein Motiv, das der Renaissance als antik galt, wie der Hallenhof und die Verbindung von Bogen und Säule, stammt von dort.
Was von der Architektur, gilt in erhöhtem Maße von der Ornamentik, die in der arabischen Welt sehr früh alle Figurenbildnerei überwunden und in sich aufgenommen hat. Als Arabeskenkunst trat sie dann in verführerischem Reiz dem jungen Kunstwollen des Abendlandes entgegen.
Die frühchristlich-spätantike Kunst der Pseudomorphose zeigt dieselbe ornamentale und figürliche Mischung von ererbtem Fremdem und eben geborenem Eignem wie die karolingisch-frühromanische vor allem in Südfrankreich und Oberitalien. Dort mischt sich Hellenistisches mit Frühmagischem, hier Maurisch-Byzantinisches mit Faustischem. Der Forscher muß Linie für Linie, Ornament für Ornament auf das Formgefühl hin untersuchen, um die beiden Schichten voneinander zu trennen. In jedem Architrav, jedem Fries, jedem Kapitäl findet ein heimliches Ringen zwischen den gewollten alten und den ungewollten, aber siegreichen neuen Motiven statt. Überall wirkt das Durchdringen späthellenistischen und früharabischen Formgefühls verwirrend, in den Bildnisbüsten der Stadt Rom, wo oft nur die Haarbehandlung der neuen Ausdrucksweise angehört, in den Akanthusranken oft ein und desselben Frieses, wo die Arbeit des Meißels und des Tiefbohrers nebeneinander stehen, an den Sarkophagen des 3. Jahrhunderts, wo eine kindliche Stimmung in der Art Giottos und Pisanos sich mit einem gewissen späten großstädtischen Naturalismus kreuzt, bei dem man etwa an David oder Carstens denkt, und an Bauten wie der Basilika des Maxentius und manchen noch sehr antik empfundenen Teilen der Thermen und Kaiserfora.
Trotzdem ist das arabische Seelentum um seine Blüte betrogen worden, wie ein junger Baum, den ein gestürzter Urwaldstamm im Wachstum hindert und verkümmern läßt. Hier findet sich keine leuchtende Epoche, die als solche gefühlt und erlebt wurde wie damals, als mit den Kreuzzügen zugleich die Holzdecken der Dome sich zu steinernen Kreuzgewölben schlossen und die Idee des unendlichen Raumes durch ihr Inneres verwirklicht und vollendet wurde. Die politische Schöpfung Diokletians – des ersten Kalifen – wurde durch die Tatsache in ihrer Schönheit gebrochen, daß es die ganze Masse stadtrömischer Verwaltungsgewohnheiten war, die er, auf antikem Boden, als gegeben anerkennen mußte und die sein Werk zu einer bloßen Reform verjährter Zustände herabsetzte. Und doch tritt mit ihm die Idee des arabischen Staates hell ans Licht. Erst aus der diokletianischen Gründung und der etwas älteren und in jeder Hinsicht für diese vorbildlichen des Sassanidenreiches läßt sich das Ideal ahnen, das hier zur Entfaltung hätte kommen sollen. Und so war es überall. Man hat bis zum heutigen Tage als letzte Schöpfungen der Antike bewundert, was sich selbst nicht anders aufgefaßt wissen wollte: Das Denken Plotins und Marc Aurels, die Kulte der Isis, des Mithras, des Sonnengottes, die diophantische Mathematik und endlich die gesamte Kunst, welche von der Ostgrenze des Imperium Romanum herüberstrahlte und in Antiochia und Alexandria nur Stützpunkte fand.
Dies allein erklärt die ungeheure Vehemenz, mit welcher die durch den Islam auch künstlerisch endlich befreite und entfesselte arabische Kultur sich auf alle Länder warf, die ihr seit Jahrhunderten innerlich zugehörten, das Zeichen einer Seele, die fühlt, daß sie keine Zeit zu verlieren hat, die voller Angst die ersten Spuren des Alters bemerkt, bevor sie eine Jugend hatte. Diese Befreiung des magischen Menschentums ist ohnegleichen. Syrien wird 634 erobert, man möchte sagen erlöst; Damaskus fällt 635, Ktesiphon 637. 641 wird Ägypten und Indien erreicht, 647 Karthago, 676 Samarkand, 710 Spanien; 732 stehen die Araber vor Paris. So drängt sich hier in der Hast weniger Jahre die ganze Summe ausgesparter Leidenschaft, verspäteter Schöpfungen, zurückgehaltener Taten zusammen, mit denen andre Kulturen, langsam aufsteigend, die Geschichte von Jahrhunderten füllen konnten. Die Kreuzfahrer vor Jerusalem, die Hohenstaufen in Sizilien, die Hansa in der Ostsee, die Ordensritter im slawischen Osten, die Spanier in Amerika, die Portugiesen in Ostindien, das Reich Karls V., in dem die Sonne nicht unterging, die Anfänge der englischen Kolonialmacht unter Cromwell – das alles sammelt sich in der einen Entladung, welche die Araber nach Spanien, Frankreich, Indien und Turkestan führte.
Es ist wahr: alle Kulturen mit Ausnahme der ägyptischen, mexikanischen und chinesischen haben unter der Vormundschaft älterer Kultureindrücke gestanden; fremde Züge erscheinen in jeder dieser Formenwelten. Die faustische Seele der Gotik, schon durch die arabische Herkunft des Christentums in der Richtung ihrer Ehrfurcht geleitet, griff nach dem reichen Schatz spätarabischer Kunst. Das Arabeskenwerk einer unleugbar südlichen, ich möchte sagen Arabergotik umspinnt die Fassaden der Kathedralen von Burgund und der Provence, beherrscht die äußere Sprache des Straßburger Münsters, mit einer Magie in Stein und führt überall, an Statuen und Portalen in Gewebemustern, Schnitzereien, Metallarbeiten, nicht zum wenigsten in den krausen Figuren des scholastischen Denkens und einem der höchsten abendländischen Symbole, der Sage vom heiligen Gral,Die Gralssage enthält neben altkeltischen starke arabische Züge; aber die Gestalt Parzivals dort, wo Wolfram von Eschenbach über sein Vorbild Chrestien von Troyes hinausgeht, ist rein faustisch. einen stillen Kampf mit dem nordischen Urgefühl einer Wikingergotik, wie sie im Innern des Magdeburger Domes, der Spitze des Freiburger Münsters und der Mystik Meister Eckarts herrscht. Der Spitzbogen droht mehr als einmal seine bindende Linie zu sprengen und in den Hufeisenbogen maurisch-normannischer Bauten überzugehen.
Die apollinische Kunst der dorischen Frühzeit, deren erste Versuche fast verschollen sind, hat ohne Zweifel ägyptische Motive in großer Zahl herübergenommen, um an ihnen und durch sie zu einer eignen Symbolik zu gelangen. Nur die magische Seele der Pseudomorphose wagte es nicht, die Mittel sich anzueignen, ohne sich ihnen hinzugeben, und das macht die Physiognomik des arabischen Stils so unendlich aufschlußreich.
15
So erwächst aus der Idee des Makrokosmos, die im Stilproblem vereinfacht und faßlicher vor Augen tritt, eine Fülle von Aufgaben, deren Lösung noch der Zukunft angehört. Die Formenwelt der Künste für eine Durchdringung des Seelischen ganzer Kulturen nutzbar zu machen, indem man sie durchaus physiognomisch und symbolisch auffaßt, ist ein Unternehmen, dessen bisher gewagte Versuche von unverkennbarer Dürftigkeit sind. Man weiß kaum etwas von einer Psychologie der metaphysischen Grundformen aller großen Architekturen. Man ahnt nicht, welche Aufschlüsse in dem Bedeutungswandel liegen, den eine Gestaltung des reinen Ausgedehnten bei ihrer Übernahme durch eine andere Kultur erfährt. Die Geschichte der Säule ist noch nicht geschrieben worden. Man hat keinen Begriff von der Tiefe einer Symbolik der Kunst mittel, der Kunst werkzeuge.
Da sind die Mosaiken, die in hellenischer Zeit aus Marmorstücken, undurchsichtig, leibhaft-euklidisch gebildet wie die berühmte Alexanderschlacht in Neapel den Fußboden verzierten, die aber mit dem Erwachen der arabischen Seele, nunmehr aus Glasstiften zusammengesetzt und mit einer Unterlage von Goldschmelz, die Wände und Decken der Kuppelbasiliken gleichsam verhüllen. Diese früharabische, von Syrien ausgehende Mosaikmalerei entspricht durchaus der Stufe nach den Glasgemälden gotischer Dome; es sind zwei frühe Künste im Dienste der religiösen Architektur. Die eine weitet den Kirchenraum durch das einströmende Licht zum Weltraum, die andere verwandelt ihn in jene magische Sphäre, deren Goldflimmer aus der irdischen Wirklichkeit zu den Visionen Plotins, des Origenes, der Manichäer, Gnostiker und Kirchenväter und der apokalyptischen Dichtungen entrückt.
Da ist das prachtvolle Motiv der Verbindung des Rundbogens mit der Säule, ebenfalls eine syrische, wenn nicht nordarabische Schöpfung des 3. – »hochgotischen« – Jahrhunderts.Das Verhältnis von Säule und Bogen entspricht seelisch dem von Wandung und Kuppel. Sobald sich zwischen Viereck und Kuppel der Tambour einschiebt, entsteht auch zwischen Kapital und Bogenfuß der Kämpfer. Die umwälzende Bedeutung dieses spezifisch magischen Motivs, das allgemein als antik gilt und für die meisten von uns die Antike geradezu repräsentiert, ist bisher nicht im entferntesten erkannt worden. Der Ägypter hatte seine Pflanzensäulen ohne tiefere Beziehung zur Decke gelassen. Sie stellen das Wachstum dar, nicht die Kraft. Die Antike, für welche die monolithe Säule das stärkste Symbol euklidischen Daseins war, ganz Körper, ganz Einheit und Ruhe, verband sie in strengem Gleichmaß von Vertikale und Horizontale, von Kraft und Last, mit dem Architrav. Hier in Syrien aber – das von der Renaissance mit tragikomischem Irrtum als ausdrücklich antik bevorzugte Motiv, das die Antike gar nicht besaß und nicht besitzen konnte! – wächst unter Verleugnung des körperhaften Prinzips der Last und Trägheit der lichte Bogen aus schlanken Säulen auf; die hier verwirklichte Idee der Lösung von aller Erdenschwere unter gleichzeitiger Bindung des Raumes ist mit der gleichbedeutenden der frei über dem Boden schwebenden und dennoch die Höhle verschließenden Kuppel aufs tiefste verwandt, ein magisches Motiv von stärkster Kraft des Ausdrucks, das seine Vollendung folgerichtig im »Rokoko« maurischer Moscheen und Schlösser fand, wo überirdisch zarte Säulen, oft ohne Basis aus dem Boden wachsend, nur durch einen geheimen Zauber fähig erscheinen, diese ganze Welt zahlloser gekerbter Bögen, leuchtender Ornamente, Stalaktiten und farbensatter Gewölbe zu tragen. Man kann, um die ganze Bedeutung dieser architektonischen Grundform der arabischen Kunst herauszuheben, die Verbindung von Säule und Architrav das apollinische, die von Säule und Rundbogen das magische, die von Pfeiler und Spitzbogen das faustische Leitmotiv nennen.
Nehmen wir ferner die Geschichte des Akanthusmotivs. [A. Riegl, Stilfragen (1893), S. 248 ff., 272 ff.] In der Form, wie es z. B. am Lysikratesdenkmal erscheint, ist es eines der bezeichnendsten der antiken Ornamentik. Es hat Körper. Es bleibt Einzelding. Es ist mit einem Blick in seiner Struktur zu erfassen. Schon in der Kunst der römischen Kaiserfora (des Nerva, des Trajan), am Mars-Ultortempel erscheint es schwerer und reicher. Die organische Gliederung wird so verwickelt, daß sie in der Regel studiert sein will. Die Tendenz, die Fläche zu füllen, tritt hervor. In der byzantinischen Kunst – von deren »latentem sarazenischen Zuge« schon Riegl spricht, ohne den hier aufgedeckten Zusammenhang zu ahnen – wird das Akanthusblatt in ein unendliches Rankenwerk zerlegt, das wie in der Hagia Sophia völlig unorganisch ganze Flächen deckt und überzieht. Zu dem antiken Motiv treten die altaramäischen des Weinlaubs und der Palmette, die schon im jüdischen Ornament eine Rolle spielen. Die Flechtbandmuster »spätrömischer« Mosaikfußböden und Sarkophagkanten, auch geometrische Flächenmuster werden aufgenommen, und endlich entsteht in der ganzen persisch-vorderasiatischen Welt bei steigender Bewegtheit und mit verwirrender Wirkung die Arabeske. Sie ist, antiplastisch bis zum Äußersten, dem Bilde wie dem Körperhaften gleich feindlich, das eigentlich magische Motiv. Selbst unkörperlich, entkörpert sie den Gegenstand, den sie in endloser Fülle überzieht. Ein Meisterwerk dieser Art, ein Stück Architektur, das völlig in Ornamentik aufgegangen ist, stellt die Fassade des von den Ghassaniden erbauten Wüstenschlosses M'schatta dar. Ein über das ganze frühe Abendland verbreitetes und das Karolingerreich völlig beherrschendes Kunstgewerbe byzantinisch-islamitischen Stils – das man bis jetzt lombardisch, fränkisch, keltisch oder altnordisch nannte – wird größtenteils von orientalischen Künstlern gepflegt oder als Vorbild – an Geweben, Metallarbeiten, Waffen – importiert.Dehio, Geschichte der deutschen Kunst I, S. 16 ff. Ravenna, Lucca, Venedig, Granada, Palermo sind die Wirkungszentren dieser damals hochzivilisierten Formensprache, die in Italien noch nach 1000 ausschließlich herrschte, als im Norden die Formen einer neuen Kultur schon fertig und gefestigt waren.
Endlich die veränderte Auffassung des menschlichen Körpers. Sie erfährt mit dem Siege des arabischen Weltgefühls eine völlige Umkehrung. Fast in jedem Römerkopf der vatikanischen Sammlung, der zwischen 100 und 250 entstanden ist, läßt sich der Gegensatz zwischen apollinischem und magischem Gefühl, zwischen der Fundamentierung des Ausdrucks in der Lagerung der Muskelpartien oder im »Blick« feststellen. Man arbeitet – in Rom selbst seit Hadrian – vielfach mit dem Steinbohrer, einem Werkzeug, das dem euklidischen Gefühl dem Stein gegenüber völlig widerspricht. Das Körperhafte, Stoffliche des Marmorblocks wird durch die Arbeit mit dem Meißel, der die Grenzflächen heraushebt, bejaht, durch den Bohrer, der die Flächen bricht und damit Helldunkelwirkungen schafft, verneint. Dementsprechend erlischt, gleichviel ob bei »heidnischen« oder christlichen Künstlern, der Sinn für die Erscheinung des nackten Körpers. Man betrachte die flachen und leeren Antinousstatuen, die doch entschieden antik gemeint waren. Hier ist nur der Kopf physiognomisch bemerkenswert, was in der attischen Plastik nie der Fall ist. Die Gewandung erhält einen ganz neuen Sinn, der die Erscheinung schlechthin beherrscht. Die Konsulstatuen des kapitolinischen MuseumsWulff, Altchristl.-byz. Kunst, S. 153 ff. sind auffallende Beispiele. Durch die gebohrten Pupillen der ins Weite gerichteten Augen wird der gesamte Ausdruck dem Körper entzogen und in jenes »pneumatische«, magische Prinzip gelegt, das der Neuplatonismus und die Beschlüsse der christlichen Konzile nicht weniger als die Mithrasreligion und der Mazdaismus im Menschen voraussetzen. Um 300 schrieb der heidnische »Kirchenvater« Jamblich sein Buch über die Götterstatuen,Vgl. Bd. II, S. 872 f. Geffcken, Der Ausgang des griech.-röm. Heidentums (1920), S. 113. in denen das Göttliche substantiell anwesend ist und auf den Beschauer einwirkt. Gegen diese, der Pseudomorphose angehörende Idee des Bildes hat sich dann von Osten und Süden her der Bildersturm erhoben, der eine Auffassung der künstlerischen Schöpfung voraussetzt, die uns kaum zugänglich ist.