Blom Philipp: Die zerrissenen Jahre - Grenzüberschreitung

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ad Grenzüberschreitung

"'Der Kubismus beginnt in den Schützengräben', sinniert der französische Maler Fernand Léger in einem Brief von der Front, in dem er schilderte, wie er um sich herum verstreute Gliedmaßen in den Bäumen hängen oder in Bombentrichtern vermodern sah." (43)

Einen "poetischen Staatsstreich" vollbrachte der Dichter Gabriele D'Annunzio "am 12. September 1919, als ein Konvoi von Lastwagen voller Freiwilliger in Phantasieuniformen unter dem Jubel der 30.000 Bewohner in die kleine Hafenstadt Fiume an der Adria rollte. [...] Sogar seine größten Widersacher mussten zugeben, dass seine Dichtung außergewöhnlich war: sinnlich sensibel und stark, und gleichzeitig völlig amoralisch. [...] Der Dichter als Diktator schuf in Fiume eine neue Staatsform, die er entgegen dem Willen seiner Mitverschwörer nicht Republik, sondern impresa nannte - ein Abenteuer, ein Unternehmen, einen Coup - die Impresa die Fiume. [...] Diese Revolution erfolgte als Reaktion auf die Unordnung und die Enttäuschung, auf Streiks und Straßenschlachten, auf die Bedrohung des Bolschewismus, auf die endlos trivialen Kompromisse der Demokratie und auf einen scheinbaren Niedergang der Werte. [...] D'Anunzio und andere konservativer Revolutionäre waren entschlossen, das heroische Individuum gegen die kalte Herrschaft der Technologie und der Technokraten zu verteidigen, die sich seit 1900 ausgebreitet hatte und die mit dem Krieg vollkommen manifest geworden war." (55ff)

"Für Ärzte und Apotheker war die Prohibition [Anm. in den USA ab 1919] eine großartige Geschäftsgelegenheit. Schon bald wurden pro Jahr rund 300.000 Rezepte für Whisky ausgestellt [...] Auch Weinproduzenten waren auf ähnliche Weise gesegnet. Nie zuvor war bei ihnen so viel Kommunionwein bestellt worden [...] Schon bald wurde deutlich, dass die Prohibition eine Farce war, eine enorm teure noch dazu, die Gerichte wurden von Prozessen überschwemmt ...(84f)

"Paris war billig. Ein schwacher Franc machte es zum idealen Ort für amerikanische Künstler, die mit relativ wenig Geld auskommen mussten, und sie kamen in Horden... (94)

Die Entdeckung des Astronomen Edwin Hubble, dass die Milchstraße nur eine von zahllosen Galaxien ist, "revolutionierte die Vorstellung vom Platz de Menschheit im Universum [....] Es war schwer, diese Randposition mit der Vorstellung zu verbinden, der Mensch, ein winziger Organismus auf einem Trabanten einer relativ kleinen Sonne inmitten von zahllosen anderen Sonnensystemen und Galaxien, sei die Krone der Schöpfung." (152)

"Viele Angehörige der gesellschaftlichen Eliten in den Ländern des Westens waren begeisterte Eugeniker. In Großbritannien zählte das Galton Institute, benannt nach dem Eugeniker Sir Francis Galton, nicht nur den Ökonomen John Maynard Keyens zu seinen Mitgliedern, sondern auch den zukünftigen Premierminister Arthur Neville Chamberlain [...] George Bernard Shaw, Virginia Woolf, der Philosoph Bertrand Russel, der Schriftstellen H.G Wells und viele weitere, eine Liste, die sich wie das Who's Who des britischen intellektuellen Lebens liest." (208)

"Die Movies waren zu einer Industrie geworden. Mitte der 1920er Jahre wurden allein in den Vereinigten Staaten 50 Millionen Kinokarten pro Woche verkauft, um 1929 waren es schon 80 Millionen. [...] Die Hollywood-Studios betrachteten Schauspieler, die sie unter Vertrag hatten, als glamouröse Arbeitssklaven, ... " (273f)

"George Bernard Shaw wurde ebenfalls zum prominenten Apologeten der sowjetischen Diktatur. ... Er sah überhaupt keinen Grund, sowjetische Verbrechen besonders zu rechtfertigen - er erklärte sie einfach für gerecht und notwendig." (305)

"Die carusi in Sizilien waren Kinder, die, weil sie klein genug waren, um in die engen Schächte zu klettern, in Schwefelminen arbeiteten. 1910 besuchte der afroamerikanische Bürgerrechtsaktivist Booker T. Washington diese Bergwerke, die er als 'den llischsten Ort auf Erden' bezeichnete." (337)