Burow Patrick: Inside Strafjustiz - Drei Fallbeispiele

Beitragsseiten

Drei Fallbeispiele

Fall 1: "Der 16-Jährige Syrer Mohammad A. und der 17-jährige Sebastian M. gerieten wegen eines Mädchens in Streit. Mohammad A. drohte dem Nebenbuhler an, ihn abzustechen. Wenige Tage später trafen die Kontrahenten auf dem Bahnhof Beucha aufeinander. Wieder kam es zum Streit. In dessen Verlauf zog der syrische Flüchtling ein Messer und stach mehrfach zu, unter anderem in den Hals. [...] Der Verletzte wurde sofort vor Ort notärztlich behandelt und dann in ein Krankenhaus gebracht. Sein Leben konnte gerettet werden. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Tötungsvorsatz und klagte die Tat vor dem Amtsgericht Leipzig an. Dieses Verhängte gegen Mohammad A. eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Trotz fast tödlicher Messerattacke muss Mohammad A. nicht hinter Gitter. Die Verneinung des Tötungsvorsatzes erscheint nicht nachvollziehbar." (212 f) (Siehe auch Bericht der lvz.de 14.62019)

Fall 2: "Als das Urteil fiel, zeigten die Angeklagten mit dem Daumen nach oben, und ihre Verwandten und Bekannten jubelten laut. Waren sie freigesprochen worden? Ein 14-jähriges Mädchen war im Februar 2016 in Hamburg Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden. Sie war von vier jungen Männern betrunken gemacht und vergewaltigt worden. [...] Schließlich warfen die Täter das verletzte Mädchen weg wie Müll. Sie ließen das nur leicht bekleidete Opfer bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einem Hinterhof zum Sterben liegen. Ein aufmerksamer Nachbar entdeckte sie und rief die Polizei, worauf das Mädchen in die Intensivstation gebracht wurde. Drei der angeklagten waren minderjährig, der vierte 21 Jahre alt. Das Landgericht Hamburg verurteilte drei der Vergewaltiger zu Bewährungsstrafen. Nur der 21-Jährige wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Jubel kam auf, weil drei der vier Vergewaltiger nicht ins Gefängnis mussten. Bewährung ist wie Freispruch." (227 f)

Fall 3 wurde dem Autor und Richter bald selbst zum Verhängnis. Am 15.10.2019 wurde aus einem Supermarkt eine Tüte Haribo-Milchbären im Wert von unter einem Euro gestohlen. "Bei der Tat führte der Beschuldigte in seiner rechten Hosentasche griffbereit ein Küchenmesser mit einer 9,5 cm langen stehenden Klinge sowie ein Teppichmesser, Klingenlänge 1 cm, mit. Die beiden Messer machten aus dem einfachen Ladendiebstahl einen Diebstahl mit Waffen mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe." Der Fruchtgummidieb kam in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage zum Schöffengericht. Die Hauptverhandlung sollte am 19.5.2020 sein, doch da regierte bereits Corona. Richter Burow konnte eine den Corona-Verordnungen entsprechende Verhandlung (fehlende Infektionsschutzmaßnahmen im Amtsgericht Dessau-Roßlau) nicht gewährleisten und setzte den Haftbefehl, nachdem der Beschuldigte fast ein halbes Jahr im Gefängnis war, außer Vollzug. "Viel länger wäre seine Strafe auch im Falle einer Verurteilung nicht ausgefallen. [...] Ein vom Jagdtrieb zerfressener Staatsanwalt bekam fast einen Herzinfarkt, als er von der Terminsaufhebung erfuhr. [...] Er leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung gegen mich ein. Das ist ein Verbrechen mit einem Strafrahmen von ein bis fünf Jahren. [...] Ich musste mir selber einen Strafverteidiger nehmen. [..] Schließlich stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung ein. Das Schreiben enthielt keine Begründung. Ich blieb auf den Anwaltskosten sitzen." (263 f)