7. Mai 2024 - Der Rechtsanwalt Roman Schiessler publiziert seit Anfang 2019 Blogs, genauer gesagt juristisch fundierte Analysen und Sachverhaltsdarstellungen, garniert mit Kommentaren, auf seiner Webseite ra-dr-schiessler.at Nun sind diese Beiträge im Verlag für chronische Gesundheit VfcG als Buch erschienen, gegliedert in drei Themenblöcke: Missbrauch (vorwiegend durch Kleriker), Corona und Ukrainekonflikt
Ukrainekonflikt
Der letzte Teil enthält nur acht Artikel, die als Einführung in das Völkerrecht gelesen werden können, siehe: Der Ukrainekonflikt in völkerrechtlicher Hinsicht
Wichtig auch der Artikel Der Ukrainekonflikt und die österreichische Neutralität. Scheinbar widerspricht der Anwalt Gruppierungen wie „Selbstbestimmtes Österreich (Sebö)“ und „Gewerkschafter:innen gegen Atomkrieg und Krieg“, die sich für Frieden und Neutralität einsetzen. Diese argumentieren, dass die Neutralität (im Gegensatz zum „Skyshield“) der wahre Schutzschirm Österreichs sei und kritisieren u.a. die Durchfahrtsbewilligungen für Kriegsmaterial der Nato in Richtung Ukraine als verfassungswidrig.
Schiessler argumentiert, die vom Neutralitätsgesetz gebotene „Bündnis- und Stützpunktfreiheit wird derzeit eingehalten. Die seit 1994 bestehende Mitgliedschaft bei der NATO-Partnerschaft für den Frieden ist allerdings kritisch zu sehen, denn heutzutage haben die im Neutralitätsgesetz genannten militärischen Verpflichtungen kaum noch Bedeutung. Stützpunkte auf österreichischem Boden sind militärisch so gut wie sinnlos und auch das Gebot der Bündnisfreiheit spielt eine untergeordnete Rolle.Was militärisch bedeutsam ist, sind Waffentransporte durch Österreich in Kriegsgebiete. Die Donau von Rotterdam bis zum Schwarzen Meer ist ein beliebter und weidlich genutzter Transportweg, der von der Bevölkerung, anders als die Transporte auf dem Landweg, kaum wahrgenommen wird. Daraus ist abzuleiten, dass die Neutralität, so wie sie derzeit definiert ist, militärisch völlig zahnlos ist. Kritisiert werden die fortlaufenden Militärtransporte durch Österreich, die fälschlicherweise als Neutralitätsverletzung dargestellt werden. Dies ist rechtlich unzutreffend, selbst wenn das Transportziel in einem Kriegsgebiet liegt.“
Der Rechtsanwalt geht in seiner Argumentation immer von der geltenden Rechtslage aus, sieht aber auch den Handlungsbedarf: „Somit erhebt sich die dringende Forderung zur Erweiterung des Neutralitätsgesetzes um ein generelles Durchfuhrverbot von Waffen von Drittstaaten durch das Bundesgebiet. Die Regelung über die Durchfuhr von Kriegsmaterial selbst, ist im Kriegsmaterialgesetzt geregelt. Die Durchfuhr bedarf der Zustimmung des Innen- und des Außenministers, der Verteidigungsminister muss lediglich gehört werden. Laut dem Gesetz soll kein Transport in kriegführende Länder genehmigt werden. Diese Tatsachen wirken sich im internationalen politischen Geschehen negativ auf den Neutralitätsstatus aus. Wenn man bedenkt, dass sich die NATO-Staaten bezüglich ihrer Sichtweise auf den Ukrainekonflikt global gesehen in der Minderheit befinden, so besteht die Gefahr, dass die Neutralität an Bedeutung oder gar gänzlich ihre völkerrechtliche Wirksamkeit verliert. Da in der österreichischen Bevölkerung die Neutralität sehr geschätzt wird, stellen u.a. die Waffentransporte unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten ein veritables Problem, nämlich die Missachtung des Wählerwillens dar. Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird, verkommt Österreich wahrscheinlich zu einem Vasallenstaat ohne die Möglichkeit einer eigenständigen Politik.“
Der größte Teil des Buches behandelt andauernde kirchliche Gewalt und
Missbrauch
Schiessler vertritt als Anwalt Mitglieder der Plattform gegen kirchliche Gewalt. So hat er in vielen Fällen selbst erlebt, dass Kleriker im Strafrecht eine Sonderstellung einnehmen: „Die derzeitige Rechtslage in Österreich schreibt Vernehmungsverbote vor. (§ 155 StPO - Verbot der Vernehmung als Zeuge und § 320 ZPO). Durch diese prozessuale Regelung ist es dem jeweiligen Kleriker möglich, jedes kriminelle Treiben in der katholischen Kirche völlig legal im Rahmen eines Gerichtsverfahrens im Verborgenen zu halten und die Aussage zu verweigern. Er braucht sich nur auf das Beichtgeheimnis und somit auf das gesetzliche Vernehmungsverbot zu berufen und die Angelegenheit ist für ihn mehr oder weniger erledigt. Ob sein Wissen aus einer Beichte stammt oder nicht, spielt dabei ohnehin keine wesentliche Rolle, da es nicht überprüft wird und nicht überprüft werden kann. Eine diesbezügliche Kontrolle ist schon aus logischen Gründen auch nicht denkbar, da eine solche das Beichtgeheimnis und somit das Vernehmungsverbot selbst in Frage stellen würde. Eine Überprüfung ist somit unmöglich.
Solche Regelungen, in Anbetracht der weltweit bekannten Sexualverbrechen innerhalb der katholischen Kirche, aufrecht zu erhalten, dies auch bei Verfahren, welche Sexualverbrachen an Minderjährigen zum Gegenstand haben, ist in jeder Hinsicht verantwortungslos und ist nichts anderes als eine weitere gesetzliche Unterstützungsleistung für diese Straftaten. Es ist das Gleiche, wie bei der Verjährungsfrage. Auch hier werden diese Verbrechen durch das derzeit geltende Recht in diesem Bereich geschüzt und wird auf diese Weise ein rechtsfreier Raum geschaffen.
Bedauerlicher Weise ist aber festzuhalten, daß es keine einzige, seriöse, offizielle legistische Initiative gibt, diese Vernehmungsverbote neu zu definieren und aufgrund der offenkundigen Sexualverbrechen, begangen durch Kleriker, zu ändern.“ (Das Beichtgeheimnis und Sexualverbrechen).
In memoriam Sepp Rothwangl
Ein Missbrauchsopfer, das der Anwalt namentlich nennt, ist Sepp Rothwangl. „Eine Österreichische Familiengeschichte von Wiedergutmachung [genauer gesagt: fehlender Wiedergutmachung!]“ Die Großeltern wurden Opfer der NS-Euthanasie, Sepp selbst wurde im katholischen Internat Opfer sexueller Übergriffe von Klerikern! Die perfide Verlogenheit der Kleriker hat zur Entfremdung mit seiner alleinerziehenden Mutter geführt. Als Eigentümer eines Waldgrundstücks hat er später auf die Verbrechen der Kirche hingewiesen. DerStandard.at (16.5.2011) berichtet: „Von Geistlichen geführte Jugendgruppen dürfen nicht mehr ohne Eltern durch einen steirischen Wald nach Mariazell wallfahren.“
Sepp Rothwangl hat sich im Jänner dieses Jahres das Leben genommen. Der Artikel von Roman Schiessler ist bereits 2019 erschienen, kann aber als Nachruf gelesen werden: Die „Aufarbeitungs- und Bewältigungsindustrie [Anm. HTH: dazu zählt auch die „Klasnic-Kommission“, die nur die Interessen der Kirche vertritt] nimmt für sich in Anspruch eine Art Aufarbeitungs- und Bewältigungsmonopol zu besitzen für geschichtliche und/oder auch gegenwärtige Ereignisse, welche für eine Reihe von Personen massive persönliche Schäden nach sich gezogen haben. Die Geschädigten selbst spielen dabei aber keine Rolle. Sie sind Objekte dieser Selbstdarstellung Einzelner. Entschädigungen für die Opfer gemäß den allgemeinen privatrechtlichen Bestimmungen gibt es jedenfalls keine. Dies ist insofern wesentlich, denn im anderen Fall würde auch ein Stück der Macht dieses Aufarbeitungs- und Bewältigungsmonopols, welches man für sich beansprucht, aus der Hand gegeben wird. Die Macht und dieses Monopol reklamiert man ja für sich.“ Ausführlicher Nachruf siehe betroffen.at: Humanist, Aufklärer, Kalenderforscher: Sepp Rothwangl ist tot.
Sepp Rothwangl und Roman Schiessler waren Kritiker der Corona-Maßnahmenpolitik der ersten Stunde. Dem entsprechend zahlreich sind Blogs zu
Corona
Knapp einen Monat nach Ausbruch der Corona-Herrschaft, Anfang April 2020 hat der Anwalt einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgrund folgender Rechtsgrundlagen eingebracht: „Es sind diverse Grundrechte betroffen: Art. 2 StGG, Art. 7 B-VG, Art. 5 StGG, Art 6 StGG und Art 12 StGG. Auf die entsprechenden Bestimmungen der EMRK wird verwiesen. Ferner findet Art 18 B-VG keine Beachtung.“ Nicht unerwartet wurde die Beschwerde vom VfGH zurückgewisen, „da die direkte Betroffenheit des antragstellers nicht so dargetan wurde, wie sich der VfGH dies vorstellt, dies, obwohl die direkte Betroffenheit für jeden klar ersichtlich ist. Dass solche Entscheidungen mit einem Rechts- und Verfassungsstaat nicht verinbar sind, ist evident“, kommentiert Schiessler abschließend.
Im Kapitel Eilantrag beim VfGH analysiert er die Schwächen der Verfassungsgesetzgebung: „Derzeit gibt es mehrere Eingaben beim VfGH, sogenannte Individualanträge, welche darauf abzielen die Coronamaßnahmen in Bezug auf COVID-19 einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Dies ist in Zeiten wie diesen umso wichtiger, da die gesamte Justiz zum Stillstand gebracht wurde und der Rechtsstaat komplett ausgeschaltet und lahmgelegt ist. Niemanden ist es möglich, nur irgendein gerichtliches Verfahren, egal in welchem Bereich in Gang zu setzen um bei Gericht dagegen vorgehen zu können.
Weder im Bereich des Zivilrechts noch im Bereich des Strafrechts ist es möglich, diese Maßnahmen, gleich welcher Art, einer Überprüfung zu unterziehen. Dies gilt nicht nur aber vor allem auch für Seniorenheime bzw. Seniorenresidenzen, wo man glaubt offenbar tun und lassen zu können, was einem beliebt. Dies vorgeblich natürlich nur zum Schutz der Bewohner oder besser jetzt Insassen; dies zumal man gerade diese Gruppe von Menschen für besonders schutzwürdig erklärt und in der Folge auch komplett entmündigt hat.
Dies in Zeiten wie diesen, in der wir eine Regierung haben, welche losgelassen von allen demokratischen Kontrollmaßnahmen fortlaufend immer wieder neue Begründungen und sogenannte Strategien nachliefert um die Maßnahmen in aller Form und unter allen Umständen aufrecht zu erhalten und eine Gesellschaft so weiter schädigt und der Grundrechte beraubt.
Resümee aus moralphilosophischer Sicht
Aus moralphilosophischer Sicht ist dieses Buch ein wertvolles Dokument. Gerade in Zeiten, in denen sich jeder Mann und jede Frau berufen fühlt, gesammelte Belanglosigkeiten zwischen zwei Buchdeckel pressen zu lassen, gewährleistet die gedruckte Zusammenfassung dieser fundierten Online-Blogs, dass die Chronik der Ereignisse nicht verloren geht. Ob Historiker (keine „Historiker-Kommissionen“!) diese Zeit der Corona-Herrschaft (Monika Donner: „Corona-Diktatur“) in zehn oder erst in fünfzig Jahren seriös und unabhängig aufarbeiten werden, ist nicht vorhersehbar. Aber mit Büchern wie diesem von Roman Schiessler, die auch an Universitätsbibliotheken auffindbar bleiben, gibt es dauerhafte Belege, dass die Gleichschaltung der Menschen nicht vollständig gelungen ist und – hoffentlich – niemals vollständig gelingen kann.
Roman Schiessler will aber nicht nur Beiträge für die Forschung der Zukunft oder den (kaum noch existierenden) akademischen Diskurs der Gegenwart liefern, sondern auch Beiträge für eine bessere Zukunft leisten. Deshalb hat er mit der Ärztin Konstantina Rösch die Partei Bündnis Grundrechte gegründet. Es scheint eine Mission Impossible, angesichts von rund 1.300 Parteien, die in Österreichs Innenministerium registriert sind, mit einer weiteren Neugründung reüssieren zu wollen. Was politisch als Zersplitterung den Altparteien in die Hände spielt, könnte aber dialektisch umschlagen und zur Kraft der Zivilgesellschaft werden. Allerdings nur dann, wenn diese Kleingruppen immer dann zusammenarbeiten, wenn sich Türen öffnen, und gemeinsam marschieren mit dem einzigen Ziel, die Mauern der Systemerhalter zu überwinden und resiliente, unkorrumpierbare Systemkritiker ins System zu bringen. Schiessler scheint in dem Punkt eher fatalistisch, wenn er schreibt, die demokratischen Defizite würden quasi von selbst „zu massiven politischen Umwälzungen, insbesondere in Europa, führen, weil sich die Menschen nicht weiter bieten lassen werden, von der ihnen zustehenden Mitbestimmung ausgeschlossen zu werden.“ (S. 390)
Wie Corona gezeigt hat, lassen sich die Menschen als Masse mehr bieten, als einzelne Menschen ertragen können, und vergessen die Menschen als Masse schneller, als einzelne Menschen die Ereignisse überhaupt rational verarbeiten können. Der Umschwung wird nicht durch die „Dialektik der Geschicchte“ passieren, sondern nur, mit dialektischer Strategie von Aktivisten, die es schaffen müssen, gemeinsam auf offene Türen (z.B. Präsidentschafts-, Nationalrats-, Landtagswahlen) zu marschieren, statt einzeln mit dem Kopf gegen die Betonmauern des Systems zu rennen.
Grundlage dieses dialektischen Prozesses muss die Erkenntnis sein, dass unsere österreichische Demokratie schon längst keine offene Gesellschaft mehr ist, sondern eine geschlossene Anstalt, in der die Altparteien sich als einzig legitime Hüter der Demokratie gerieren. Einen herausragenden Beitrag zum Verständnis des bestehenden, korrupten politischen Systems liefert Schiessler mit dem Kapitel bzw Leitmotiv des Buches:
Dieser Artikel sollte zum Manifest aller systemkritischen Kräfte werden!