Die Geburt der österreichischen Nation aus dem Geist der Neutralität - 1. Nation als Zivilisation

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Teil 1: Mit Nation war ursprünglich Zivilisation gemeint

Zur Erinnerung: Europa wurde seit 962 vom Heiligen Römischen Reich beherrscht, das seit dem 15. Jahrhundert als "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" bezeichnet wurde. Die Betonung liegt dabei auf Deutsch, weniger auf Nation. Deutsch waren die Kaiser, Römisch die Päpste. Seit Maximilian I. (1508) nannte sich der neu gekürte König "Erwählter Römischer Kaiser", auf eine Krönung durch den Papst in Rom wurde danach verzichtet. Der Begriff "Nation" wurde in dieser Konstruktion nicht so verstanden, wie er sich im 19. Jahrhundert heraus gebildet hat, sondern eher im Sinne von "Zivilisation".

Großmächte (China, Osmanisches Reich, Hl Römisches Reich) werden bis heute als Zivilisationen bezeichnet, das impliziert, dass die Gebiete außerhalb der Zivilisationen in guter römischer Tradition als Barbarengebiete be-trachtet und oft auch ver-achtet werden. Ich will nicht weiter vertiefen, was eine Zivilisation ist, sondern nur darauf hinweisen, dass die Begriffe Zivilisation und Nation vor Jahrhunderten weitgehend gleichbedeutend waren, während heute Bücher über die Zivilisationsgeschichte eher die Kulturgeschichte zum Inhalt haben, als das Thema "Nation-Building". Beispiel: Niall Ferguson bezeichnet sein Buch "Der Westen und der Rest der Welt" im Untertitel als "Geschichte vom Wettstreit der Kulturen". Ferguson führt den Aufstieg der westlichen Zivilisation auf ihre Überlegenheit in den sechs Bereichen Wettbewerb, Wissenschaft, Eigentum, Medizin, Konsum und Arbeitsethik zurück. Zivilisatorische Errungenschaften sind in dem Sinne Ausdruck kultureller, nicht nationaler Überlegenheit.

Westen versus Osten, Abendland versus Morgenland - sind grobe Charakterisierungen von Zivilisationen, nicht von Nationen im heutigen Sinn.

Kurzer Wechsel der Perspektive: Aufgrund ihres Glaubens an den Mythos vom Himmelssohn und seine universelle Herrschaft hatte China der Dynastien kein eigenes Außenministerium, denn die Chinesen betrachteten alle Menschen als Untertanen ihres Kaisers. Dieses Weltbild konnte noch im Jahre 1860 nicht erschüttert werden, als der Sommerpalast des Kaisers von britischen Soldaten im Zuge des Opium-Krieges zerstört und geplündert wurde. "Vom chinesischen Standpunkt aus gab es keine unabhängigen fremden Nationen, sondern nur nicht-chinesische Völker, die mehr oder weniger in Abhängigkeit vom Kaiser standen", schreibt John Morris Roberts in seinem Buch "Der Triumph des Abendlandes", das 1985 erschienen ist.