Antisemitismus 2022: Studie unwissenschaftlich und manipulativ

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19. April 2023 - Die "Antisemitismusstudie 2022" wurden nach 2018 und 2020 zum dritten Mal "im Auftrag des österreichischen Parlaments durchgeführt". ORF.at berichtet darüber: Krisen befeuerten Verschwörungsmythen: "Die Folgen der vergangenen und aktuellen globalen Krisen haben antisemitische Verschwörungsmythen befeuert. Das belegt der am Dienstag präsentierte Antisemitismus-Bericht des Parlaments. So sagten etwa mehr als ein Drittel der Befragten, dass Juden und Jüdinnen die 'internationale Geschäftswelt' beherrschten."

ORF Antisemitismus 2023 04 18

Frage an Radio Jerewan und den ORF: Was genau ist hier antisemitsch?

a) die pauschale Meinung, dass Juden die 'internationale Geschäftswelt' beherrschen, obwohl sie nur einen Teil der internationalen Geschäftswelt beherrschen;

b) die Anerkennung, dass jüdische Geschäftsleute international erfolgreich sind;

c) die willkürliche Fragestellung "Die Juden beherrschen die Geschäftswelt" ohne Gegencheck mit Fragen wie: Die Amerikaner beherrschen die Geschäftswelt / Die Chinesen beherrschen die Geschäftswelt / Die Araber beherrschen die Geschäftswelt usw. 


Studienkritik aus philosophischer Sicht

SIEHE AUCH: Kommentare zu diesem Essay auf fischundfleisch

Philosophisch betrachtet kann man nur feststellen: Wer Antisemitismus sucht, wird Antisemitismus finden. Und wer nur Antisemitismus sucht, wird nur Antisemitismus finden. Genau das macht die "Antisemitismus 2022" -Studie, die somit von der Konzeption her unwissenschaftlich ist. Sie ist ein typisches Beispiel für eine "Studie", die im Interesse eines Auftraggebers erstellt wude und exakt die Ergebnisse liefert, die der Auftraggeber erwartet. Warum das Parlament, also unsere Volks-Vertreter als Auftraggeber dieses Interesse haben, wird noch zu klären sein. Im folgenden zwei Zitate aus der Studie, die zeigen, wie die Autoren den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit verloren haben:

"4.2 VERSCHWÖRUNGSANTISEMITISMUS

Alle Items, die dem Verschwörungsantisemitismus zuzurechnen sind, drücken antijüdische Verschwörungsmythen aus, die einen starken, aber nicht greifbaren Einfluss einer jüdischen Oberschicht – hier spielt die Phantasie von den stets reichen Juden und Jüdinnen herein – unterstellen. Diese Verschwörungsmythen werden in der Regel (vor anderen und vor sich selbst) so vorgebracht, als wären sie „vernünftige“ Argumente für das, was im Grunde nichts anderes als eine Abneigung ist. Der Verschwörungsantisemitismus wird also vom Vorschieben von vermeintlichen Argumenten geprägt.

Die folgenden Aussagen aus dem Fragebogen zu Antisemitismuserhebung 2022 sind dem Verschwörungsantisemitismus zuzuordnen:

• Item 1: 'Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt.'

• Item 2: 'In wachsendem Ausmaß zeigen sich heute wieder Macht und Einfluss der Juden in der internationalen Presse und Politik.'

• Item 3: 'Juden haben in Österreich zu viel Einfluss.'

• Item 4: 'Hinter aktuellen Preissteigerungen stehen oft jüdische Eliten in internationalen Konzernen.' "

All diese Fragen sind suggestiv darauf ausgerichtet, die Antworten zu erhalten, die bestätigen, was eingangs vorausgesetzt wurde: dass es einen "Verschwörungsantisemitismus" gibt. Insbesondere die erste Frage "Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt" ist - siehe oben - offenbar für die Autoren nicht ohne antisemitschen Kontext denkbar. Die gleiche Frage in Bezug auf Amerikaner, Chinesen oder gar Österreicher zu stellen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Aber nur ein Vergleich mit anderen Nationalitäten könnte eine wissenschaftliche Aussage darüber erlauben, ob in Bezug auf Juden eine besonders große Abweichung von den üblichen Einschätzungen besteht. 

Aus Sicht der Studien-Autoren besteht die Welt nur aus Antisemiten und "Nicht-Antisemiten", d.h. die Einstelllung der Menschen wird ausschließlich über den Antisemitismus definiert, wie die groteske Wortschöpfgung "Non-Antisemitismus" belegt:

"4.1 NON-ANTISEMITISMUS

Der Non-Antisemitismus bildet eine unbefangene Haltung gegenüber Juden und Jüdinnen ab und vereint die positiv formulierten Items des Fragebogens. Jedes Item kann aber auch – wenn man es ablehnt – für antisemitische Haltungen konstitutiv sein. Deshalb kommen die positiven Items mehrmals vor: einmal (bejaht) hier im Rahmen des Non-Antisemitismus und dann noch einmal bei jenen Erscheinungsformen von Antisemitismus, mit denen ihre Ablehnung statistisch eng korrelieren.

Die folgenden Aussagen aus dem Fragebogen zu Antisemitismuserhebung 2022 sind dem Non-Antisemitismus zuzuordnen:

• Item 1: 'Wegen der Verfolgung der Juden während des Zweiten Weltkrieges haben wir heute eine

moralische Verpflichtung, den Juden in Österreich beizustehen.'

• Item 2: 'Juden haben viel zum kulturellen Leben und zur Wissenschaft in Österreich beigetragen.'

• Item 3: 'Juden werden ungerechtfertigt angefeindet, wenn es Krisen gibt.'"

Auch in diesen Fragen finden sich nicht nur "non-antisemitische" Vor-Urteile, sondern bei genauer Betrachtung subkuntane antisemitische Einstellungen. Wer nicht nur der Gruppe "70 Jahre und älter", sondern auch der dritten und vierten Nachkriegsgeneration suggeriert, sie habe wegen der Judenverfolgungen im Zweiten Weltkrieg eine "moralische Verpflichtung" den Juden heute "in Österreich beizustehen" (was immer das genau bedeuten soll, denn Fälle der moralischen Beistandspflicht werden nicht konkretisiert), der vertritt offenbar die antisemitische Einstellung, die Juden seien ihrerseits bis in die dritte und vierte Nachkriegsgeneration Hilfsempfänger mit einem "ererbten" Anspruch auf Wiedergutmachung. Der selbstbewusste, emanzipierte Jude existiert in den Vorstellungen der Studien-Autoren, die derartige Fragestellungen zusammentragen, offenbar nicht.

Dass die Studie nicht wissenschaftlich ist, sondern manipulativ - nicht nur im Ergebnis, sondern offensichtlich in manipulativer Absicht erstellt wurde- zeigen die Überschriften, die von der Parlamentskorrespondenz (= vom Parlamentspräsidium) formuliert,  via APA OTS verschickt und dem entsprechend von den Massenmedien unkritisch übernommen und multipliziert wurden:

- Verschwörungsmythen und Bildungsniveau beeinflussen antisemitische Einstellungen

- Sobotka: Antisemitismus ist eine Gefahr für die Demokratie

- Einflussfaktoren auf Antisemitismus

- Antisemitismus in fünf Erscheinungsformen

- Unter-25-Jährige und Menschen mit Migrationsgeschichte im Fokus

- Über die Antisemitismusstudie 2022

Ein Item der Studie lautetete: "Juden haben viel zum kulturellen Leben und zur Wissenschaft in Österreich beigetragen." Gesamtergebnis: 65 Prozent aller Österreicher und Österreicherinnen sagen: "das trifft zu / das trifft eher zu". Mehr noch: 85 Prozent in der Altersgruppe 70+ kommen zu diesem positiven Ergebnis. Ein Zeugnis von Prosemitismus, das von Politikern, die das Volk, die Menschen lieben, als erstes und wichtigstes Ergebnis der Studie präsentiert worden wäre. Doch der Begriff "Prosemitismus" existiert gar nicht gemäß dieser Studie, sondern lediglich der skurrile Begriff "Non-Antisemitismus". Somit existiert auch das Phänomen gemäß Studie und gemäß Denkungsart der Auftraggeber (unsere Parlamentarier!) nicht, denn: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" (Ludwig Wittgenstein).

Eine wissenschaftliche Studie müsste zunächst einmal erklären, was sie unter "Antisemitismus" versteht. Die willkürlich vorgegebenen Aussagen (Items) hat in der Form kein normaler Mensch in seinem geistigen Repertoir verinnerlicht. Diese Items als Teil einer "Einstellung" (ein sehr komplexer philosophischer Begriff, der nicht weiter erklärt wird) auszumachen, nachdem man keine intelligenteren Aussagen und keine bessere Methode gefunden hat, die Einstellungen der Menschen zu ergründen, ist unwissenschaftlich.

Eine wissenschaftliche Studie müsste zunächst erklären, ob "Antisemitismus" 1. als Form von Rassismus, 2. als Ablehnung einer Religion oder 3. als Minderheitenproblematik betrachtet wird.

ad 1: Vergleichsthemen wären dann Antiamerikanismus, Antirussismus, Antigermanismus usw

ad 2: Vergleichsgruppen wären dann Christen, Muslime, Atheisten usw.

ad 3: Vergleichsgruppen wären dann Frauen in Führungspositionen, Kinder von Geringverdienern, Wirtschaftsflüchtlinge oder andere.

In jedem einzelnen Fall müsste man die Einstellung zu entsprechenden Vergleichsgruppen abfragen, um daraus eine Schlussfolgerung ziehen zu können, ob die Einstellung zu Juden bzw. Semiten markant von den Vergleichsthemen und Vergleichsgruppen abweicht. Das macht die Antisemitismusstudie nicht! Sie erforscht damit nicht "die Einstellung" der Menschen, sondern sucht lediglich nach Bestätigungen für das in der Studie vorausgesetzte Vor-Urteil, dass und wie stark Antisemitismus die Einstellung der Menschen beherrscht. Die Wiederholung dieses Prozederes alle zwei Jahre macht das Verfahren nicht besser, weil man dadurch "mehr Datenmaterial" erhält, sondern schlechter, weil man lediglich immer mehr vom immer gleichen Fehlern produziert. Das immer Gleiche der Antisemitismusstudien ist vom Ansatz, von der Methode und deshalb auch vom Ergebnis her falsch! Die Antisemitismusstudie 2022 ist unwissenschaftlich und nicht geeignet, tatsächliche Quellen von Rassismus, Gefährdung der Religionsfreiheit, oder Diskriminierung von Minderheiten aufzudecken.

Am 14.2.2023 schreibt die Autoren der Parlamentskorrespondenz: "Zahlreiche Maßnahmen der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus umgesetzt. Bericht des Bundeskanzleramts zeigt Erfolge bei der Bekämpfung von Antisemitismus." Selbst die "Stabstelle Österreichisch-Jüdisches Kulturerbe im BKA" ist unter ferner liefen für " jüdischen Kultur- und Gemeindelebens in Österreich zuständig". Im Mittelpunkt stehen ihrer Tätigkeit stehen "die operative Koordinierung und Evaluierung der Maßnahmen zur Umsetzung der NAS ( Nationale Strategie gegen Antisemitismus", die Verstärkung der Koordination zwischen den einzelnen Akteurinnen und Akteuren in den Bereichen Gedenken, Antisemitismusaufklärung und Antisemitismusprävention."

ethos.at empfiehlt den Studienautoren sowie allen "Volksvertretern" den Essay von Rudolf Burger aus dem Jahr 2001: "Die Irrtümer der Gedenkpolitik" (derStandard, 20.6.2001) (siehe Interview zu dem Thema in der Wiener Zeitung am 25.7.2001 Zitat Rudolf Burger: "Der Holcaust ist zu einem Atout in jeder politischen Auseinandersetzung geworden. Ich halte das für eine schamlose moralische Sekundärausbeutung der Opfer.")

Nachsatz: Die erste Ausstellung "100 Missverständnisse über und unter Juden" der neuen Direktorin des Jüdischen Museum, Wien, habe "Missverständnisse um den Begriff Missverständnis" ausgelöst, erklärt Barbara Staudinger (Interview mit derStandard.at 1.2.23). Siehe auch Ausstellungsbericht auf ORF.at (6.12.22)

Ergänzung 20. September 2023 - Was ist eine "Gestenzahlung"? Und wer hat Anspruch darauf? ORF.at (20.9.23) weiß Bescheid: "Wir sind uns auch unserer finanziellen Verantwortung sehr bewusst", so der Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Neben der Gestenzahlung von knapp über 5.000 Euro, die noch heuer automatisch an alle Holocaust-Überlebenden ausgezahlt werden soll, werden derzeit bis zu 350 im Ausland lebende Menschen aus dem Hilfsfonds bedacht.


ethos.at hat an die Parlamenspräsidenten Sobotka / Hofer / Bures Fragen gestellt, über die Journalisten von Massenmedien normaler Weise nicht nachdenken:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage wurde dieser Auftrag erteilt?

2. ethos.at beschäftigt sich als einziges Medium Österreichs mit dem Zeitgeist. Zum Verständnis der Antisemitismus-Problematik bitten wir um die Einstufung folgender Gefahren für die Demokratie unseres Landes (1 unproblematisch/irrelevant - 10 sehr problematisch / hohes Risiko für unsere Demokratie)

- Antisemitismus

- Diffamierung Andersdenkender

- Diskriminierung von Minderheiten

- Einschränkungen der Freiheits- und Grundrechte

- Gleichschaltung der Medien

- Klimawandel

- Korruption

- Machtmissbrauch

- Migration

- Rassismus

3. Wie viel hat die Erstellung der Antisemitismusstudien 2022 / 2020 / 2018 gekostet und wie wurden diese finanziert?

4. Haben Ausschreibung vor der Vergabe der Studien stattgefunden?

5. Welche Studien, Untersuchungen, Gutachten und sonstigen externen Aufträge hat das Parlament in diesem Jahr bereits vergeben und welche sollen noch vergeben werden? Wie hoch ist das Auftragsvolumen? Wie hoch ist das Budget des Parlaments für externe Aufträge?

REPLY Am 24. April 2023

Sehr geehrter Herr Mag. Thurnhofer,

danke für Ihre Anfrage. Da die Studie seitens der Parlamentsdirektion in Auftrag gegeben wurde, erhalten Sie Antworten darauf von der Parlamentsdirektion:

1. Rechtsgrundlage des Handelns der Parlamentsdirektion bildet der Artikel 30 Bundes-Verfassungsgesetz.

2. Ich darf auf die Studie selbst verweisen (https://www.parlament.gv.at/fachinfos/rlw/Antisemitismus-2022)

3. Aus dem Budget der Parlamentsdirektion wurden für die Antisemitismusstudie 2022 insgesamt 189.900 Euro bezahlt, für die Studie 2020 178.000 Euro und für die Studie 2018 191.295 Euro.

4. Der Betrag setzt sich aus einer Beauftragung an das IFES-Institut und Braintrust zusammen. Beim Auftrag an das IFES-Institut handelt es sich um den Ausnahmetatbestand einer "Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung". Solche Aufträge sind gem. § 9 Z 12 BVergG vom Geltungsbereich des Bundesvergabegesetzes ausgenommen. Der Auftragswert von Braintrust liegt unterhalb der Direktvergabeschwelle von 100.000 Euro. Somit erging der Auftrag an Braintrust als Direktvergabe.

5. Der Parlamentsdirektion steht für Studien, Gutachten und Beratungsleistungen ein grundlegendes Budget von bis zu 500.000 Euro jährlich zur Verfügung. Abruf, Verausgabung/Vergabe erfolgen nach Notwendigkeit und Bedarf

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Gerhard Brenner

Parlamentsdirektion

Leiter der Abteilung 4.1

Pressedienst & Crossmedia-Redaktion


Berichte der Leitmedien

DiePresse.com: Krisen befeuern antisemitische Verschwörungsmythen

Kurier.at: Krisen haben Verschwörungsmythen und Antisemitismus befeuert

DerStandard.at: Ein Drittel in Österreich findet, dass Juden einen Vorteil aus der Nazi-Zeit zu ziehen versuchen

ORF.at: Krisen befeuerten Verschwörungsmythen

Die weitgehend gleichlautenden Titel (und Inhalte) der Medienberichte sind kein Zufall, sondern basieren ganz einfach auf den vorgegebenen Inhalten der Parlamentskorrespondenz (für die letztlich das Parlamentspräsidium verantwortlich ist): Verschwörungsmythen und Bildungsniveau beeinflussen antisemitische Einstellungen 

RANDBEMERKUNG: Nachdem die Regierung keinen akuten Vorwand mehr hat, die Medien mit dreistelligen Corona-Propaganda-Budgets anzufüttern, beginnen die ersten Leitmedien Speck abzubauen. Kurier und Kleine Zeitung haben bereits Kündigungsmaßnahmen eingeleitet. Umgehend schreien alle Chefredakteure, dass die Unabhängigkeit der Medien gefährdet sei und "Qualitätsjournalismus" künftig nicht mehr möglich.

ethos.at bringt im folgenden die ungekürzte Pressemitteilung des Pressedienstes der Parlamentsdirektion, publiziert via Original Text Service (OTS) der APA (Austria Presse Agentur). Für alle Leser, die keine Medien-Insider sind: es gehört zu den Usancen des Journalismus unseres Jahrhunderts, dass Pressemitteilungen von Organisationen, Parteien oder Unternehmen von den Medien ohne Verpflichtung die Quelle zu nennen oder den Text zu redigieren (oder gar in Frage zu stellen!) als redaktionielle Meldung übernehmen. Allenfalls schreiben die Medien unter so einen Artikel als Quelle "APA".

ethos.at bringt fallweise unredigierte Pressemitteilungen (als solche gekennzeichnet), da es nicht unsere Absicht ist, journalistische Leistungen vorzutäuschen, wo es keine gibt. Die vorliegende Pressemitteilung über die Antisemitismusstudie bringt ethos.at als Lehrbeispiel. Alle Leser können damit vergleichen, welche "journalistischen" Leistungen ORF, Standard, Presse und Co erbringen, wenn sie dem Leser suggerieren, sie würden Objektivität, Unabhängigkeit und Meinungsvielfalt gewährleisten.

OTS0105, 18. April 2023, 12:13

Parlament: Antisemitismusstudie 2022 präsentiert

Verschwörungsmythen und Bildungsniveau beeinflussen antisemitische Einstellungen

Wien (PK) - Der Glaube an Verschwörungsmythen, Bildung und Wissen über Jüdinnen und Juden sind wesentliche Einflussfaktoren auf Antisemitismus. Das hat die Antisemitismusstudie 2022 ergeben, die das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) gemeinsam mit Demox Research im Auftrag des österreichischen Parlaments durchgeführt hat. Die heute präsentierte Studie stellt eine Fortsetzung der Antisemitismusstudien 2018 und 2020 dar und liefert so Daten, die einen Zeitvergleich zulassen.

Sobotka: Antisemitismus ist eine Gefahr für die Demokratie

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka betonte bei der Präsentation der Studienergebnisse, dass Antisemitismus ein Jahrtausende altes Phänomen sei, das aus der Mitte der Gesellschaft komme. Heute zeige sich Antisemitismus verstärkt im Internet. All das mache es herausfordernd, antisemitische Einstellungen zu bekämpfen. Es brauche daher eine gute Datenbasis, um geeignete Maßnahmen zu setzen, sagte der Nationalratspräsident. Die Antisemitismusstudie soll dazu einen Beitrag leisten.

Die Forschung habe bisher klar gezeigt, dass Antisemitismus auch eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Der Zugang des österreichischen Parlaments sei daher, antisemitische Einstellungen zu bekämpfen und so die Demokratie zu stärken. Sobotka führte Gedenkveranstaltungen, den Simon-Wiesenthal-Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und Workshops in der Demokratiewerkstatt des Parlaments als Beispiele für weitere Initiativen in diesem Bereich an.

Einflussfaktoren auf Antisemitismus

Als wesentliche Einflussfaktoren auf Antisemitismus hat die Studie den Glauben an Verschwörungsmythen, Bildungsunterschiede und das Wissen über Jüdinnen und Juden identifiziert, fasste Studienleiterin Eva Zeglovits (IFES) die Ergebnisse zusammen. Auch das Alter und die Migrationsgeschichte der befragten Personen haben teilweise Auswirkungen auf ihre antisemitischen Einstellungen.

Je mehr die Befragten an Verschwörungsmythen glauben, desto stärker sind sie antisemitisch eingestellt, brachte die Studie hervor. Das trifft auch dann zu, wenn die Verschwörungsmythen per se nichts mit Jüdinnen und Juden zu tun haben. Menschen mit höherem Bildungsgrad drücken deutlich weniger Zustimmung zu antisemitischen Aussagen aus, wobei häufig die Matura den entscheidenden Unterschied macht. Noch mehr als der formale Bildungsabschluss wirkt sich die informelle Bildung bzw. das Wissen über Jüdinnen und Juden auf antisemitische Einstellungen aus. Menschen mit Basiswissen - etwa zur Anzahl der im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden, zu jüdischen religiösen Festen oder zur Fläche Israels - sind deutlich seltener antisemitisch eingestellt als jene, die nicht über dieses Wissen verfügen.

Antisemitismus in fünf Erscheinungsformen

In der Studie wurde die Zustimmung zu bestimmten, auf Jüdinnen und Juden bezogenen Aussagen abgefragt und so Antisemitismus in fünf verschiedenen Erscheinungsformen ermittelt. Beim sogenannten Verschwörungsantisemitismus erhalten Verschwörungsmythen, die die Existenz weltweiter jüdischer Netzwerke unterstellen, die höchste Zustimmung: 36 % der Befragten fanden die Aussage "Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt" sehr oder eher zutreffend. Der Schuldumkehr-Antisemitismus erhielt eine ähnliche Zustimmung: 36 % fanden die Aussage "Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit Opfer gewesen sind" zutreffend. Niedriger lag die Zustimmung zu den Aussagen des rassistischen Antisemitismus (10 bis 21 %).

Beim holocaustbezogenen Antisemitismus lag die Zustimmung zur Extremposition der Holocaustverharmlosung ähnlich niedrig (11 %). Die Abwehr des Gedenkens an Opfer des Nationalsozialismus erhielt hingegen mehr Zustimmung: 34 % bejahten die Aussage "Ich bin dagegen, dass man immer wieder die Tatsache aufwärmt, dass im Zweiten Weltkrieg Juden umgekommen sind". Der israelbezogene Antisemitismus erhielt ebenfalls unterschiedlich hohe Zustimmung. 30 % fanden die Aussage "Die Israelis behandeln die Palästinenser im Grunde auch nicht anders als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden" zutreffend. Dem Satz "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, herrscht Frieden im Nahen Osten" stimmten 14 % zu.

Die unbefangene Grundeinstellung zu Jüdinnen und Juden, in der Studie "Non-Antisemitismus" genannt, ist weiter verbreitet als der Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (42 bis 65 %).

Projektkoordinator Thomas Stern (Braintrust) fasste die Ausprägungen von Antisemitismus in drei Gruppen zusammen: den manifesten, den latenten und den Non-Antisemitismus. Laut der Antisemitismusstudie 2022 sind 15 % der Befragten manifest antisemitisch eingestellt, bei 32 % konnte latenter Antisemitismus festgestellt werden. 54 % weisen keine antisemitischen Einstellungen auf.

Unter-25-Jährige und Menschen mit Migrationsgeschichte im Fokus

Bei den Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ließ sich kein durchgängiges Muster erkennen. Sie zeigen sich manchmal stärker antisemitisch als die Über-25-Jährigen (etwa bei den Holocaust verharmlosenden Aussagen), manchmal aber auch gleich oder weniger stark. Bildungsinstitutionen, insbesondere durch die Thematisierung im Unterricht, können dazu beitragen, antisemitische Haltungen zu reduzieren, war eine wichtige Erkenntnis der Studie. Aufklärung in der Schule sei wichtig, weil diese Aktivitäten einen starken Einfluss auf die Einstellungen der Befragten haben, betonte Eva Zeglovits.

Die in der Aufstockungsgruppe befragten Personen mit familiärer Migrationsgeschichte aus der Türkei oder aus einem arabischsprachigen Land legten durchgehend eine deutlich stärkere antisemitische Einstellung an den Tag als die österreichische Gesamtbevölkerung. Am deutlichsten wurde das beim israelbezogenen Antisemitismus. Thomas Stern betonte, dass es sich bei den befragten Personen um keinen "monolithischen Block", sondern eine vielfältige Gruppe handle, die differenzierte Antworten gegeben habe.

Über die Antisemitismusstudie 2022

Die Antisemitismusstudie 2022 will einerseits mit den Vorgängerstudien vergleichbare Daten liefern und andererseits aktuellen Entwicklungen Rechnung tragen. Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag daher erneut auf dem Einfluss von Verschwörungsmythen auf antisemitische Haltungen, dieses Mal mit Bezug auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und andere aktuelle Herausforderungen wie die Teuerung, den Klimawandel und die Energieknappheit. Von besonderem Interesse waren die Gruppe der jungen Menschen unter 25 Jahren sowie Personen mit familiärer Migrationsgeschichte.

Für die Studie wurde eine für Österreich repräsentative Stichprobe von 2.000 Personen über 16 Jahren befragt. Unter-25-Jährige wurden mit einer Fallzahl von 400 bewusst übergewichtet. Zusätzlich erfolgte eine Aufstockung durch Personen mit familiärer Migrationsgeschichte aus der Türkei (491 Personen) bzw. aus einem arabischsprachigen Land (483 Personen). Insgesamt wurden also 2.974 Personen österreichweit mittels computergestützten Telefon- bzw. Web-Interviews befragt. Der Befragungszeitraum erstreckte sich von Mitte Oktober bis Ende November 2022. Die Studie ist abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/fachinfos/rlw/Antisemitismus-2022 (Schluss) kar

HINWEIS: Fotos von dieser Pressekonferenz finden Sie im Webportal des Parlaments.

Rückfragen & Kontakt: Pressedienst der Parlamentsdirektion, Parlamentskorrespondenz

Tel. +43 1 40110/2272

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