Matzka Manfred: Schauplätze der Macht - Menschen

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... die Matzka in das Rampenlicht rückt, sind hochrangige Politiker. Naturgemäß, würde Thomas Bernhard sagen (dazu später). Hier nochmals zu VdBs Errungenschaften: "Zwar war der Regierung Bierlein aus verfassungsrechtlichen Gründen keine lange Amtszeit gegönnt, doch die folgende Regierung Kurz II war danach so sehr von Skandalen geschüttelt, dass sie ein Machtvakuum öffnete, das noch einmal der Bundespräsident teilweise erfolgreich füllen konnte. Er tat dies, indem er seine ehemalige Partei, die Grünen, in der Regierung hielt, auch als die allgemeine Zustimmung der Bundesregierung ins Bodenlose fiel. Van das Bellen wird als der Präsident mit den meisten Ministerangelobungen in die Chronik eingehen, und als derjenige, der zeigte, dass das Amt und ein besonnener Träger einer Krisenzeit sehr wichtig sind. (84 f)

[Anm HTH: Warum die Regierung Bierlein "aus verfassungsrechtlichen Gründen keine lange Amtszeit gegönnt" war, bleibt unergründlich. Es entspricht zwar der Realverfassung, dass nach einer Nationalratswahl die stärkste Partei den Anspruch auf das Amt des Kanzlers erhebt, es entspricht der Realverfassung, dass die Regierung dem Parlament die Gesetze vorschreibt, es entspricht der Realverfassung, dass sich der Bundespräsident gerne zum "Präsident aller Menschen" stilisiert, de facto aber immer ein Parteifunktionär bleibt - doch all das hat nichts mit der Verfassung zu tun. Denn in der Verfassung, die hunderte Eventualitäten kasuistisch abhandelt, findet sich ausgerechnet über die Modalitäten der Regierungsbildung kein einziger Satz. Der Artikel 70 B-VG besagt lediglich: "Der Bundeskanzer und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt." In der Verfassung findet sich kein Satz über einen kausalen Zusammenhang zwischen Nationalratswahl und Regierungsbildung, kein Wort, dass irgendein Parteichef aus welchem Grund auch immer den Anspruch auf das Amt des Kanzlers erheben dürfte, sollte oder müsste. Geregelt ist im Artikel 70 aber auch gleich die Entlassung der Bundesregierung: "Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich; die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung erfolgt auf Vorschlag des Bundeskanzlers."

Die historische Bedeutung von VdB ist die Ernennung der "Expertenregierung". Damit hat er ein Exempel statuiert, wie der Artikel 70 jederzeit ausgelegt und exekutiert werden kann. Die Absetzung der Expertenregierung, nachdem die Grünen wieder in den Nationalrat eingezogen waren, war dagegen ein parteipolitischer Willkürakt des Präsidenten. Sachlich bestand dazu kein Grund, denn die Expertenregierung hat besser gearbeitet als jede zuvor und danach. Ganz einfach deshalb, weil diese Regierung - erstmals in der Geschichte der demokratischen Republik Österreich - den Artikel 19 B-VG ernst genommen und im Sinne des Wortlauts erfüllt hat: "Die obersten Organe der Vollziehung sind der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie die Mitglieder der Landesregierungen."

Außerdem hat die Expertenregierung in einem Dreiviertel Jahr vier Milliarden Euro eingespart! Die Chance, diese Regierung weiter arbeiten zu lassen, und die Mandatare des Nationalrat aufzufordern, das zu tun, wozu sie gewählt wurden - nämlich Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung in Erfüllung der Gewaltenteilung - diese einmalige Chance hat der Parteisoldat VdB  ungenutzt gelassen. Naturgemäß, wie Thomas Bernhard sagen würde.

Weiters regelt der Artikel 29 B-VG: "Der Bundespräsident kann den Nationalrat auflösen, er darf dies jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass verfügen." Die Verfassung gibt dem Bundespräsidenten also mehr Macht als es dem üblichen Bild des bloßen Repräsentanten entspricht, der Festspiele eröffnet und moralinsaure Neujahrsansprachen hält. Seine prächtigen Büros entsprechen demnach durchaus "der Bedeutung des Amtes".]

Matzka erzählt Geschichten von Menschen, die in den Schauplätzen der Macht seit Beginn der Ersten Republik tätig waren. Das sind in mehr als einem Dutzend Schauplätzen und in über 100 Jahren hunderte Namen von Politikern. In der Beschreibung der Palais, ehemaligen Schlösser und Tintenburgen, werden zahlreiche Architekten genannt, doch nur ein Schriftsteller findet seinen Weg in das Buch: Thomas Bernhard.

"4. März 1968. Beim Festakt am Minoritenplatz hielt zuerst der Minister die Laudatio. Es folgte Thomas Bernhards Rede: „Es ist nichts zu loben, nichts zu verdammen, nichts anzuklagen, aber es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich.“ Im Folgenden „begann Bernhard Österreich zu schmähen“, empfand der Minister: „Man geht durch das Leben, beeindruckt, unbeeindruckt, durch die Szene, alles ist austauschbar, im Requisitenstaat besser oder schlechter geschult: ein Irrtum! Man begreift: ein ahnungsloses Volk, ein schönes Land – es sind tote oder gewissenhaft gewissenlose Väter, Menschen mit der Einfachheit und der Niedertracht, mit der Armut ihrer Bedürfnisse. Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben, wir sind in dem Prozess der Natur der Größenwahn-Sinn der Zukunft. Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts und wir verdienen nichts als das Chaos.“ Die kaum 300 Wörter zählende Rede wurde höflich beklatscht. Nachdem sich der Autor gesetzt hatte, folgte ein Streichquartett. Danach trat Minister Piffl-Percevic– außer Programm – nochmals ans Mikrofon und sagte fuchsteufelswild: „Wir sind trotzdem stolze Österreicher“, schloss die Feier und verließ den Saal, ohne beim anschließenden Buffet zu bleiben."

Auch Menschen, die nicht nur Parteisoldaten, sondern auch herausragende Persönlichkeiten waren, findet man - selten, aber doch, in Matzkas Buch. Das "zusammengewürfelte Sozialministerium residierte am Beginn der Ersten Republik in der damaligen Hofgartengasse 3, dem heutigen Hanuschhof in der Goethegasse, nahe der Staatsoper mit Blick auf Hofburg und Burggarten. [...] Der erste republikanische Ressortchef in dem schmucklosen Bau wurde der 52-jährige Ferdinand Hanusch, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen schlesischer Weber – er konnte mit elf Jahren kaum lesen und schreiben, weil er statt der Schule arbeiten musste. Trotz zahlloser Verhaftungen wegen Landstreicherei und Agitation hatte er es in langen Jahren unermüdlichen Engagements noch in der Monarchie zu einem weithin bekannten Gewerkschaftsführer und Abgeordneten gebracht.

In den nur zwei Jahren seiner Ministerschaft erwies er sich als ein wahrer Gigant der Sozialpolitik. Er nutzte die Gunst der Stunde und brachte die Regelung der Sozialversicherung, Urlaubsanspruch, Mindestlohn, Kollektivvertragsgesetz, Acht-Stunden-Tag, 48-Stunden-Woche, Verbot der Kinderarbeit, Betriebsrätegesetz, Arbeitslosenunterstützung, Arbeiterkammergesetz zustande. Daneben fand er noch Zeit für theoretische Schriften und Belletristik. Und all das, obwohl er beim Amtsantritt sofort einen bremsenden „Aufpasser“ der Christlichsozialen, den späteren Minister Resch zur Seite gestellt bekam. Er erkannte sein window of opportunity und die Macht der sozialrevolutionären Demonstranten, die Druck hinter seine Pläne setzten: „Es wäre kein guter Sozialpolitiker, der es nicht verstünde, Machtverhältnisse zum Vorteil der Arbeiterklasse auszunützen“, meinte er, und verleibte sich gleich einmal das Personal aus dem Fürsorgeamt des Kriegsministeriums zur Verstärkung seiner Beamtenschaft ein. [...] Obwohl er schon krebskank war, schien seine Energie unerschöpflich: Mitunter mussten Verordnungen in wenigen Stunden fertig vorliegen – und sie waren von besserer Qualität als viele Jahre später etwa die Corona-Verordnungen." (182 f)