Matzka Manfred: Schauplätze der Macht - Resümee

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Resümee

Wenn man Mamfred Matzkas Ausführungen folgt, dann sind Machenschaften - nicht erst seit Kurz & Co - keine Randerscheinungen der Macht Made in Austria, sondern das Machtprinzip der Alpenrepublik schlechthin. Doch mit Ausbruch der Corona-Herrschaft haben Filz und Machenschaften der Herrschaften dieses Landes eine neue Qualität erreicht, die erstmals seit der Friedensbewegung in den 1980ern wieder tausende Menschen regelmäßig auf die Straße getrieben hat, um dagegen zu demonstrieren.

"Die Sozialminister der Grünen, die ab 2019 in kurzer Folge wechselten, waren objektiv eigentlich weit mächtiger als viele ihrer Vorgänger, weil ihnen im Rahmen der Corona-Gesetzgebung ein bislang undenkbares Maß an Eingriffsrechten in die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben eingeräumt wurde. Das Ressort war allerdings in der Zwischenzeit durch die vielen Ministerwechsel im Gesundheitsbereich mit daraus resultierenden Umfärbungen in der Führungsmannschaft in einen derart schlechten qualitativen Zustand manövriert worden, dass sich der Vollzug dieser Macht alles andere als überzeugend darstellte. Schwere Organisationsfehler wie die mehrjährige Vakanz von gleich drei Sektionsleitern, die faktische Suspendierung des Obersten Sanitätsrates, die sträfliche Vernachlässigung der Kommunikation mit den Ländern und den vollziehenden Bezirksbehörden im Sanitätswesen trugen ebenso dazu bei wie die offensichtliche Kuratel des Bundeskanzlers über die Minister und deren mangelnde Politikerfahrung, Stressresistenz und Managementfähigkeit." (188)

[Anmerkung: Noch deutlicher wird Matzka in einem Kommentar, den er am 7. April 2020 (nur wenige Wochen nach Ausbruch der Corona-Herrschaft) in DerStandard.at veröffentlicht hat: Husch-pfusch-Gesetze, zahllose Erlässe: Das Virus im Maßnahmengesetz]

Anschober, Mückstein und Rauch werden in dem Zusammenhang namentlich nicht genannt. Für ein historisches Werk erscheint es  salopp, Politiker, wie in der Umgangssprache üblich, oft nur mit Nachnamen anzuführen ("Sektionschef Chaloupka", "Budgetsektionschef Steger"). Das ist die einzige Nachlässigkeit, die man dem Buch vorhalten kann. Kein Manko, sondern die wohl feinste Spitze, die der stets diplomatisch formulierende Autor des öfteren einsetzt, liegt darin, Namen von Politikern, über die er schreibt, gar nicht zu erwähnen, beispielsweise: "... als das Ressort durch eine von der FPÖ nominierte Außenpolitik-Expertin und Journalistin geführt wurde...", oder: "Nach dem abermaligen Gang in die Opposition 2018 ist die Bedeutung der Löwelstraße [für die SPÖ] klein geworden. [...] Die Parteivorsitzende selbst bezog hier keinen Arbeitsplatz mehr." Die Namen Karin Kneissl und Pamela Rendi-Wagner kommen im ganzen Buch nicht vor.

Bei aller Kritik, die Matzka übt, sieht er eine positive Klammer, die die Zweite Republik zusammenhält: "Trotz aller Turbulenzen, dramatischen Wechsel und ganz und gar unterschiedlichen politischen Konturen und Ausrichtungen ist in der Zweiten Republik am Ballhausplatz ein Unterschied zur Ersten Republik erkennbar: das klare Bekenntnis zur Demokratie und zur Einhaltung ihrer geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln.

- Wahlergebnisse wurden akzeptiert, auch wenn sie den Verlust der eigenen Position bedeuteten.

- In den wichtigsten Fragen der Politik wurden Kompromisse gesucht und um Kooperation gerungen.

- Für ganz große Entscheidungen suchte man breitestmögliche Mehrheiten.

- Man bemühte sich um die Akzeptanz und das Vertrauen von Bevölkerung und Medien." (53)

Das mag im direkten Vergleich der Ersten und Zweiten Republik eine Errungenschaft sein, doch angesichts der fortlaufenden, völlig offenen Demontage unserer Grundrechte und aller demokratischen Prinzipien, für die in der Ersten Republik noch gekämpft wurde, ist das "Bekenntnis zur Demokratie" gut für Sonntagspredigten, aber kein Beitrag zu einer gelebten Demokratie, kein Beitrag zur Aufrechterhaltung oder gar Weiterentwicklung demokratischer Prinzipien. Und bei der "Einhaltung der ungeschriebenen Spielregeln" muss man sogar darauf hinweisen, dass diese Praxis unsere Demokratie in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv beschädigt hat.

Politiker, die sich als "Macher" statt als "oberste Organe der Vollziehung" (Artikel 19 B-VG) betrachten, die längst nicht mehr für die besten Ideen streiten (weil sie gar keine haben), sondern nur noch für die Aufrechterhaltung ihrer Pfründe kämpfen, diese Politiker halten ihre Machenschaften (im Sinne der ungeschriebenen Spielregeln) für legitime und notwendige Aktionen zur Aufrechterhaltung des Staates. Und das sind sie auch. Denn der Staat ist der Selbstbedienungsladen, den sich die Parteien in der Zweiten Republik eingerichtet haben. (Das ist nicht nur das Urteil eines entrüsteten Moralphilosophen. Sogar der Demokratiemonitor verwendet diesen Begriff bereits in seinen Untersuchungen.)

Diesen Staat erhalten die Herrschaften unseres Landes (egal ob in Regierung oder Opposition) mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Zur Verfügung stehen beispielsweise Parteienförderungen von rund 240 Millionen Euro. Jährlich! Damit nicht genug. Zusätzlich 10 Millionen für die Parteiakademien. Jährlich! Als "gewählte Repräsentanten" des Volkes halten sich Politiker für legitimiert, sich solche Beträge zu bewilligen, und, sobald sie in Regierungsfunkton kommen, Steuergeld mit vollen Händen zu verschleudern. Das Volk bekommt auch was ab: Zwangsbeglückung durch Regierungspropaganda, die dreistellige Euro-Millionenbeträge kostet. Jährlich!

Die derzeitigen Herrschaften am Ballhausplatz, in der Hofburg und in allen von Manfred Matzka geschilderten Ministerien, haben in den vergangenen drei Jahren die Gesellschaft gespalten. Dabei geht es nicht um Gräben zwischen Geimpft-Ungeimpft, Nato-Befürworter und -Gegner, Neutralität Ja oder Nein, Klimamaßnahmen zu viel oder zu wenig. Über all diese Themen könnte man diskutieren, wenn es noch eine Kultur des Diskurses geben würde. Doch die größte Spaltung seit Einführung der Republik ist die Spaltung zwischen Staat und Gesellschaft. Demos (das Volk) als Souverän gemäß Artikel 1 B-VG hat in den Machenschaften der "staatstragenden Parteien" keinen Platz mehr, sondern ist nur noch Objekt der Politpropaganda (Neudeutsch: message control, dirty compaigning, framing). "Man bemühte sich um die Akzeptanz und das Vertrauen von Bevölkerung und Medien." Der Satz könnte aus der Propaganda-Abteilung des BKA stammen.

Damit genug; ethos.at publiziert täglich kritische Artikel über die Machenschaften unsere Herrschaften. Das letzte Wort soll Manfred Matzka haben - doch vorher muss ich festhalten: in diesem Punkt bin ich nicht seiner Meinung. "Auch wenn der Ballhausplatz vielleicht die Qualität der Demokratie des Landes nicht weiterentwickelt hat, selbst wenn einzelne seiner Chefs ihr sogar Schaden zufügten, blieb insgesamt das Verfassungsgefüge intakt..." (53)

P.S. "Eine Geschichte zieht sich ganz besonders auffällig durch alle Schauplätze der Macht, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin: die Verbrennung von Akten am Vorabend eines Ministerwechsels." (238)