Geheimnisse, Menschen, Machenschaften
23. Oktober 2023 - (Verlagsinformation des Brandstätter Verlages) Wenn Wände sprechen könnten, wüssten wir, was sich in der einstigen Döblinger Präsidentenvilla, im Palais Trautson, im Kriegsministerium am Stubenring, in der Herrengasse, im Winterpalais des Prinzen Eugen, am Ballhausplatz, in verborgenen Winkeln des Parlaments, in traditionsreichen Parteizentralen und staatlichen Schlössern rund um Wien alles abspielte. Denn wo Macht und Menschen zusammenkommen, sind kuriose Persönlichkeiten ebenso nah wie große Skandale, absurde Intrigen, revolutionärer Elan und schicksalhafte Begegnungen.
Mit Manfred Matzka, der Österreichs politischen Betrieb von innen kennt wie wenig andere, blicken wir nun durch Schlüssellöcher und durch verhängte Fenster hinter die Architektur der Macht – und begegnen jenen oft ganz speziellen Charakteren, die von hier aus mal besser, mal schlechter gewaltet und geschaltet haben. In diesem Buch kommen Geschichten an das Licht der Öffentlichkeit, die es in der Regel nicht tun: fundiert recherchierte, spannende und erhellende Einblicke hinter die Fassaden der Macht in Österreich, Zusammenhänge und Analysen, wie man sie bislang kaum kannte.
Manfred Matzka, langjähriger Präsidialchef des Bundeskanzleramtes, Minister- und Kanzlerberater, zuletzt auch von Bundeskanzlerin Bierlein, ist ein fundierter Kenner des wirklichen politischen Tagesgeschäfts in Österreich. Der promovierte Jurist arbeitete seit 1980 im Bundesdienst, war für Personal, Recht, Verwaltungsreform und Koordinierung zuständig, amtierte zehn Jahre im Innenministerium, war Kabinettschef, wurde von der Politik als Insider akzeptiert und respektiert und hält mit seiner stets ebenso gut begründeten wie pointierten Meinung nicht hinter dem Berg. Er ist Kunstliebhaber und Kulturmanager, hat zahlreiche Fachpublikationen verfasst und ist Autor der Bestseller „Die Staatskanzlei“ sowie „Hofräte, Einflüsterer, Spindoktoren“.
REZENSION (HTH, 25.11.23)
Der Untertitel "Geheimnisse, Menschen, Machenschaften" weckt Erwartungen, die der Verlag weiter schürt mit der Ankündigung: "In diesem Buch kommen Geschichten an das Licht der Öffentlichkeit, die es in der Regel nicht tun. [...] Manfred Matzka, langjähriger Präsidialchef des Bundeskanzleramtes, Minister- und Kanzlerberater, zuletzt auch von Bundeskanzlerin Bierlein, ist ein fundierter Kenner des wirklichen politischen Tagesgeschäfts in Österreich."
Wer nun Geheimnisse aus der 40-jährigen Karriere eines österreichischen Spitzenbeamten erwartet, Berichte über das politische "Tagesgeschäft" aus Sicht eines Insiders, der darf nicht enttäuscht sein, wenn ein vorbildlicher Beamter auch in Pension seiner Verschwiegenheitspflicht treu bleibt. Wer Einblicke (auch mal "durch Schlüssellöcher") in die jüngere politische Wirklichkeit sucht, findet diese im Buch "Politgebiete", das der Spitzenbeamte Karl Lengheimer 2012, zwei Jahre nach seiner Pensionierung, veröffentlicht hat.
Geheimnisse
... die Manfred Matzka in "Schauplätze der Macht" preis gibt, kennen politische Beobachter schon längst, beispielsweise dass die österreichischen Regierungen verfilzt waren und bis heute sind: "Neben der formalen Organisation von Ministerien existiert noch eine informelle: Seilschaften aus politisch miteinander verbundenen Parteifreunden, verschworene Klubs aus CV-Bundesbrüdern oder aus Freimaurern, lose Klubs und Netze zur gegenseitigen Karrierehilfe, Gewerkschaftsgremien, Bundesländer-Kreise oder einfach nur gute kollegiale Freunde, die gerne, effektiv und intensiv in einer langjährig bewährten Gruppe zusammenarbeiten." (12)
Unter Bundeskanzler Josef Klaus, ab 1964, "wurde das Klima hier kälter, denn Kanzler und Vizekanzler konnten definitiv nicht miteinander. Die große Koalition hatte sich historisch überlebt und schlitterte in die Agonie. Am Ballhausplatz gab es aber eine Konstante: Präsidialchef Chaloupka. Es waren allerdings nicht nur die Funktion und lange Amtsdauer, die seine legendäre Stärke im Haus ausmachten, er war auch Vorsitzender des Österreichischen Cartellverbands. Die besondere Bedeutung, die der CV in der Personalrekrutierung der Republik in dieser Zeit erlangte, ging auf seine kompromisslose Personalpolitik zurück, die in alle Ressorts hineinwirkte." (38)
"Das Ressort [Anm: Außenministerium] ist nicht nur stark wegen seiner wohlorganisierten Zentrale am Minoritenplatz, seiner renommierten Akademie in der Favoritenstraße und seiner teilweise über Österreichs Bedeutung hinausgehenden imposanten rund 100 Botschaften und Vertretungen. [...] Es ist vor allem die sehr eng vernetzte soziale Gruppe der Diplomaten, die Stärke garantiert: alte Familien – man muss nur die Namenliste der Botschafter lesen – die seit Hunderten Jahren die auswärtigen Beziehungen dominierten, und deren Söhne und Töchter wie durch ein Wunder immer noch bei den Aufnahmeprüfungen besser abschneiden als andere." (68)
"Unter Molterer begann ein immer zäher werdendes Gerangel in der Regierung – nicht Kompromiss war das Ziel, sondern das Abschießen jeder Initiative des „Partners“. Die Macht des Finanzressorts wurde destruktiv eingesetzt,große Kabinette übten sich in Palastintrigen. [...] Den folgenden Finanzministern der ÖVP – Spindelegger, Schelling, Löger, Blümel – sind zwei Entwicklungen gemeinsam: einerseits die Festigung der Macht des Ressorts über die staatsnahen Unternehmen, Konzerne und Beteiligungen, andererseits aber das Ende der Kreativität und Reform des Finanzwesens – zeitlich zusammenfallend mit dem Abgang des legendären Budgetsektionschefs Steger. Noch größere Ministerbüros mit wechselnden, einander bekämpfenden parteiinternen Seilschaften sowie die Verselbstständigung einzelner Sekretäre tatenein Übriges. Dass ab etwa 2010 regelmäßig ganze Kohorten von Sekretären ins Haus hineingeschoben und mit Führungsfunktionen betraut wurden, hat der Qualität des Ministeriums nicht gutgetan." (101 f)
Zu den offenen Geheimnissen der Republik zählt die Tatsache, dass der Bundespräsident nichts zu sagen hat. "Glanz und Hilflosigkeit" trägt das Kapitel über die Präsidentschaftskanzlei in der Hofburg. Schwach agierten bereits die ersten Präsidenten der Ersten Republik, Karl Seitz und Michael Hainisch. "Ihm folgte 1928 der bisherige recht unscheinbare Nationalratspräsident Wilhelm Miklas, beruflich ein Hofrat im Unterrichtsministerium, dessen Posten er nie antrat. Er war von Anfang ein willfähriger Parteisoldat seiner Kanzler, was sich erstmals daran zeigte, dass er den Nationalrat sofort auflöste, als die bürgerliche Regierung Vaugoin 1930 in die Minderheit geriet. Er versagte dann kraftlos in der Phase der schrittweisen Aushöhlung der Demokratie. [...] Er war am Ballhausplatz politisch einfach nicht existent." (71)
Erst zu Beginn der Zweiten Republik, mit Karl Renner, belegte der Bundespräsident die Hofburg als Amtssitz. Laut Matzka "arbeiten Beamte der Präsidentschaftskanzlei in den wohl schönsten Büros der österreichischen Verwaltung, viel prächtiger, als es der Bedeutung des Amtes entspricht. Diese Kanzlei war immer primär auf Protokollarisches ausgerichtet, sie kennt die feinsten Feinheiten der Ordenshierarchie und niemals kommt es vor, dass jemand den falschen Titel zur falschen Zeit erhält. Als Stab eines politischen Funktionsträgers hat man sich hier nie verstanden. Das hat sich erst unter Van der Bellen etwas geändert, als der tagespolitische Druck zunahm und ein ganzer Schwung seiner Parteileute ins Haus kam. Heute hat er immerhin vier persönliche Mitarbeiter, zwei Sonderberater, vier Pressesprecher und zwölf Medienleute – neben den etwa 60 sonstigen Verwaltungsbediensteten." (77)
[Anm. HTH: Bundespräsidenten waren immer "Abgesandte" ihrer Parteien, doch kein einziger Bundespräsident war in seiner Amtsführung so parteiisch wie VdB. Die Grünen flogen nach der Wahl von VdB aus dem Parlament, so war es nur logisch, dass er die erste Gelegenheit nutzte, um den Grünen über Neuwahlen den Weg zurück ins Parlament zu eröffnen. Den Grünen zuliebe hat er ein zweites Mal Sebastian Kurz angelobt. Wider besseres Wissen, wie man angesichts der weiteren Turbulenzen am Ballhausplatz annehmen muss.]
Menschen
... die Matzka in das Rampenlicht rückt, sind hochrangige Politiker. Naturgemäß, würde Thomas Bernhard sagen (dazu später). Hier nochmals zu VdBs Errungenschaften: "Zwar war der Regierung Bierlein aus verfassungsrechtlichen Gründen keine lange Amtszeit gegönnt, doch die folgende Regierung Kurz II war danach so sehr von Skandalen geschüttelt, dass sie ein Machtvakuum öffnete, das noch einmal der Bundespräsident teilweise erfolgreich füllen konnte. Er tat dies, indem er seine ehemalige Partei, die Grünen, in der Regierung hielt, auch als die allgemeine Zustimmung der Bundesregierung ins Bodenlose fiel. Van das Bellen wird als der Präsident mit den meisten Ministerangelobungen in die Chronik eingehen, und als derjenige, der zeigte, dass das Amt und ein besonnener Träger einer Krisenzeit sehr wichtig sind. (84 f)
[Anm HTH: Warum die Regierung Bierlein "aus verfassungsrechtlichen Gründen keine lange Amtszeit gegönnt" war, bleibt unergründlich. Es entspricht zwar der Realverfassung, dass nach einer Nationalratswahl die stärkste Partei den Anspruch auf das Amt des Kanzlers erhebt, es entspricht der Realverfassung, dass die Regierung dem Parlament die Gesetze vorschreibt, es entspricht der Realverfassung, dass sich der Bundespräsident gerne zum "Präsident aller Menschen" stilisiert, de facto aber immer ein Parteifunktionär bleibt - doch all das hat nichts mit der Verfassung zu tun. Denn in der Verfassung, die hunderte Eventualitäten kasuistisch abhandelt, findet sich ausgerechnet über die Modalitäten der Regierungsbildung kein einziger Satz. Der Artikel 70 B-VG besagt lediglich: "Der Bundeskanzer und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt." In der Verfassung findet sich kein Satz über einen kausalen Zusammenhang zwischen Nationalratswahl und Regierungsbildung, kein Wort, dass irgendein Parteichef aus welchem Grund auch immer den Anspruch auf das Amt des Kanzlers erheben dürfte, sollte oder müsste. Geregelt ist im Artikel 70 aber auch gleich die Entlassung der Bundesregierung: "Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich; die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung erfolgt auf Vorschlag des Bundeskanzlers."
Die historische Bedeutung von VdB ist die Ernennung der "Expertenregierung". Damit hat er ein Exempel statuiert, wie der Artikel 70 jederzeit ausgelegt und exekutiert werden kann. Die Absetzung der Expertenregierung, nachdem die Grünen wieder in den Nationalrat eingezogen waren, war dagegen ein parteipolitischer Willkürakt des Präsidenten. Sachlich bestand dazu kein Grund, denn die Expertenregierung hat besser gearbeitet als jede zuvor und danach. Ganz einfach deshalb, weil diese Regierung - erstmals in der Geschichte der demokratischen Republik Österreich - den Artikel 19 B-VG ernst genommen und im Sinne des Wortlauts erfüllt hat: "Die obersten Organe der Vollziehung sind der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie die Mitglieder der Landesregierungen."
Außerdem hat die Expertenregierung in einem Dreiviertel Jahr vier Milliarden Euro eingespart! Die Chance, diese Regierung weiter arbeiten zu lassen, und die Mandatare des Nationalrat aufzufordern, das zu tun, wozu sie gewählt wurden - nämlich Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung in Erfüllung der Gewaltenteilung - diese einmalige Chance hat der Parteisoldat VdB ungenutzt gelassen. Naturgemäß, wie Thomas Bernhard sagen würde.
Weiters regelt der Artikel 29 B-VG: "Der Bundespräsident kann den Nationalrat auflösen, er darf dies jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass verfügen." Die Verfassung gibt dem Bundespräsidenten also mehr Macht als es dem üblichen Bild des bloßen Repräsentanten entspricht, der Festspiele eröffnet und moralinsaure Neujahrsansprachen hält. Seine prächtigen Büros entsprechen demnach durchaus "der Bedeutung des Amtes".]
Matzka erzählt Geschichten von Menschen, die in den Schauplätzen der Macht seit Beginn der Ersten Republik tätig waren. Das sind in mehr als einem Dutzend Schauplätzen und in über 100 Jahren hunderte Namen von Politikern. In der Beschreibung der Palais, ehemaligen Schlösser und Tintenburgen, werden zahlreiche Architekten genannt, doch nur ein Schriftsteller findet seinen Weg in das Buch: Thomas Bernhard.
"4. März 1968. Beim Festakt am Minoritenplatz hielt zuerst der Minister die Laudatio. Es folgte Thomas Bernhards Rede: „Es ist nichts zu loben, nichts zu verdammen, nichts anzuklagen, aber es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich.“ Im Folgenden „begann Bernhard Österreich zu schmähen“, empfand der Minister: „Man geht durch das Leben, beeindruckt, unbeeindruckt, durch die Szene, alles ist austauschbar, im Requisitenstaat besser oder schlechter geschult: ein Irrtum! Man begreift: ein ahnungsloses Volk, ein schönes Land – es sind tote oder gewissenhaft gewissenlose Väter, Menschen mit der Einfachheit und der Niedertracht, mit der Armut ihrer Bedürfnisse. Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben, wir sind in dem Prozess der Natur der Größenwahn-Sinn der Zukunft. Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts und wir verdienen nichts als das Chaos.“ Die kaum 300 Wörter zählende Rede wurde höflich beklatscht. Nachdem sich der Autor gesetzt hatte, folgte ein Streichquartett. Danach trat Minister Piffl-Percevic– außer Programm – nochmals ans Mikrofon und sagte fuchsteufelswild: „Wir sind trotzdem stolze Österreicher“, schloss die Feier und verließ den Saal, ohne beim anschließenden Buffet zu bleiben."
Auch Menschen, die nicht nur Parteisoldaten, sondern auch herausragende Persönlichkeiten waren, findet man - selten, aber doch, in Matzkas Buch. Das "zusammengewürfelte Sozialministerium residierte am Beginn der Ersten Republik in der damaligen Hofgartengasse 3, dem heutigen Hanuschhof in der Goethegasse, nahe der Staatsoper mit Blick auf Hofburg und Burggarten. [...] Der erste republikanische Ressortchef in dem schmucklosen Bau wurde der 52-jährige Ferdinand Hanusch, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen schlesischer Weber – er konnte mit elf Jahren kaum lesen und schreiben, weil er statt der Schule arbeiten musste. Trotz zahlloser Verhaftungen wegen Landstreicherei und Agitation hatte er es in langen Jahren unermüdlichen Engagements noch in der Monarchie zu einem weithin bekannten Gewerkschaftsführer und Abgeordneten gebracht.
In den nur zwei Jahren seiner Ministerschaft erwies er sich als ein wahrer Gigant der Sozialpolitik. Er nutzte die Gunst der Stunde und brachte die Regelung der Sozialversicherung, Urlaubsanspruch, Mindestlohn, Kollektivvertragsgesetz, Acht-Stunden-Tag, 48-Stunden-Woche, Verbot der Kinderarbeit, Betriebsrätegesetz, Arbeitslosenunterstützung, Arbeiterkammergesetz zustande. Daneben fand er noch Zeit für theoretische Schriften und Belletristik. Und all das, obwohl er beim Amtsantritt sofort einen bremsenden „Aufpasser“ der Christlichsozialen, den späteren Minister Resch zur Seite gestellt bekam. Er erkannte sein window of opportunity und die Macht der sozialrevolutionären Demonstranten, die Druck hinter seine Pläne setzten: „Es wäre kein guter Sozialpolitiker, der es nicht verstünde, Machtverhältnisse zum Vorteil der Arbeiterklasse auszunützen“, meinte er, und verleibte sich gleich einmal das Personal aus dem Fürsorgeamt des Kriegsministeriums zur Verstärkung seiner Beamtenschaft ein. [...] Obwohl er schon krebskank war, schien seine Energie unerschöpflich: Mitunter mussten Verordnungen in wenigen Stunden fertig vorliegen – und sie waren von besserer Qualität als viele Jahre später etwa die Corona-Verordnungen." (182 f)
Machenschaften
... findet Matzka in allen Hinterzimmern der Macht seit der Ersten Republik. Aber seit rund zwei Jahrzehnten sind Machenschaften zum Herrschaftsprinzip der Machtzentralen geworden. Im Kapitel "Krisen und Korruption" beleuchtet der Autor einige Highlights, beginnend mit dem Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, in dem 1946 der 40-jährige Anwalt Peter Krauland das Steuer übernahm.
"Er [Krauland] organisierte nicht nur rasch und effizient, sondern er sorgte auch mit krimineller Energie und Machenschaften im Ressort für „seine“ ÖVP – und ließ daneben für die anderen politischen Lager dann auch noch Brosamen abfallen. Krauland steuerte die Geldflüsse in Millionenhöhe mit einer eigenen „politischen Abteilung“ und teilte bedeutende Vermögenswerte und Unternehmen im Proporz auf ÖVP und SPÖ, Kammern und Gewerkschaften auf, die dafür nichts oder nur geringe Preise zu zahlen hatten. [...] insgesamt 10.000 Einzelvermögen, die zum Teil auch wieder in den Besitz der NS-Straftäter gelangten. Für sich selbst erwarb Krauland ein Viertel einer Fabrik mit einer Million Jahresgewinn um 12.500 Schilling. Die Restituierung der jüdischen Industrieunternehmen legte er ausgerechnet in die Hände eines Mitarbeiters und Beraters, der 1938 der führende NS-Jurist bei der „Arisierung“ dieser Unternehmen gewesen war – Walther Kastner, den er persönlich aus dem Vollzug der Strafarbeit herausholte, zu der ihn die Besatzungsmächte wegen seiner NS-Übeltaten verdonnert hatten. Kastner stellte somit genau jene Unternehmen wieder zurück oder behielt sie ein, die er selbst ein paar Jahre vorher weggenommen hatte. Diese Arbeit dürfte sein Schaden nicht gewesen sein, konnte er sich doch in dieser Zeit eine bedeutende Kunstsammlung schaffen, die er nach seinem Tod, jetzt hochgeachteter Professor, seinem Heimatland Oberösterreich vermachte." (200)
"Die großen Skandalgeschichten rund um Krauland und Intertrading waren allerdings keine Einzelfälle für Machenschaften an der Schnittstelle zwischen Ministerien und Wirtschaft. Eine lange Liste von Skandalen und Affären reicht bis in die Gegenwart: Noricum, die WBO-Involvierung Niederösterreichs und des Burgenlandes, die endlosen Unzukömmlichkeiten bei den Eurofighter-Ausschreibungen, das Aufsichtsversagen bei der Hypo Alpe Adria, der Klagenfurter Stadionbau, die Telekom-Affäre und die Geschäfte rund um Blaulichtfunk und Tetron, der BUWOG-Verkauf, die Ibiza-Pläne, die Casinos-Affäre, merkwürdige Corona-Masken-Ankäufe, Inseraten-Missbrauch … sind die aus den Medien, Untersuchungsausschüssen und Gerichtsakten bekannten Schlagworte. Die Liste ist nicht vollständig. (203)
Resümee
Wenn man Mamfred Matzkas Ausführungen folgt, dann sind Machenschaften - nicht erst seit Kurz & Co - keine Randerscheinungen der Macht Made in Austria, sondern das Machtprinzip der Alpenrepublik schlechthin. Doch mit Ausbruch der Corona-Herrschaft haben Filz und Machenschaften der Herrschaften dieses Landes eine neue Qualität erreicht, die erstmals seit der Friedensbewegung in den 1980ern wieder tausende Menschen regelmäßig auf die Straße getrieben hat, um dagegen zu demonstrieren.
"Die Sozialminister der Grünen, die ab 2019 in kurzer Folge wechselten, waren objektiv eigentlich weit mächtiger als viele ihrer Vorgänger, weil ihnen im Rahmen der Corona-Gesetzgebung ein bislang undenkbares Maß an Eingriffsrechten in die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben eingeräumt wurde. Das Ressort war allerdings in der Zwischenzeit durch die vielen Ministerwechsel im Gesundheitsbereich mit daraus resultierenden Umfärbungen in der Führungsmannschaft in einen derart schlechten qualitativen Zustand manövriert worden, dass sich der Vollzug dieser Macht alles andere als überzeugend darstellte. Schwere Organisationsfehler wie die mehrjährige Vakanz von gleich drei Sektionsleitern, die faktische Suspendierung des Obersten Sanitätsrates, die sträfliche Vernachlässigung der Kommunikation mit den Ländern und den vollziehenden Bezirksbehörden im Sanitätswesen trugen ebenso dazu bei wie die offensichtliche Kuratel des Bundeskanzlers über die Minister und deren mangelnde Politikerfahrung, Stressresistenz und Managementfähigkeit." (188)
[Anmerkung: Noch deutlicher wird Matzka in einem Kommentar, den er am 7. April 2020 (nur wenige Wochen nach Ausbruch der Corona-Herrschaft) in DerStandard.at veröffentlicht hat: Husch-pfusch-Gesetze, zahllose Erlässe: Das Virus im Maßnahmengesetz]
Anschober, Mückstein und Rauch werden in dem Zusammenhang namentlich nicht genannt. Für ein historisches Werk erscheint es salopp, Politiker, wie in der Umgangssprache üblich, oft nur mit Nachnamen anzuführen ("Sektionschef Chaloupka", "Budgetsektionschef Steger"). Das ist die einzige Nachlässigkeit, die man dem Buch vorhalten kann. Kein Manko, sondern die wohl feinste Spitze, die der stets diplomatisch formulierende Autor des öfteren einsetzt, liegt darin, Namen von Politikern, über die er schreibt, gar nicht zu erwähnen, beispielsweise: "... als das Ressort durch eine von der FPÖ nominierte Außenpolitik-Expertin und Journalistin geführt wurde...", oder: "Nach dem abermaligen Gang in die Opposition 2018 ist die Bedeutung der Löwelstraße [für die SPÖ] klein geworden. [...] Die Parteivorsitzende selbst bezog hier keinen Arbeitsplatz mehr." Die Namen Karin Kneissl und Pamela Rendi-Wagner kommen im ganzen Buch nicht vor.
Bei aller Kritik, die Matzka übt, sieht er eine positive Klammer, die die Zweite Republik zusammenhält: "Trotz aller Turbulenzen, dramatischen Wechsel und ganz und gar unterschiedlichen politischen Konturen und Ausrichtungen ist in der Zweiten Republik am Ballhausplatz ein Unterschied zur Ersten Republik erkennbar: das klare Bekenntnis zur Demokratie und zur Einhaltung ihrer geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln.
- Wahlergebnisse wurden akzeptiert, auch wenn sie den Verlust der eigenen Position bedeuteten.
- In den wichtigsten Fragen der Politik wurden Kompromisse gesucht und um Kooperation gerungen.
- Für ganz große Entscheidungen suchte man breitestmögliche Mehrheiten.
- Man bemühte sich um die Akzeptanz und das Vertrauen von Bevölkerung und Medien." (53)
Das mag im direkten Vergleich der Ersten und Zweiten Republik eine Errungenschaft sein, doch angesichts der fortlaufenden, völlig offenen Demontage unserer Grundrechte und aller demokratischen Prinzipien, für die in der Ersten Republik noch gekämpft wurde, ist das "Bekenntnis zur Demokratie" gut für Sonntagspredigten, aber kein Beitrag zu einer gelebten Demokratie, kein Beitrag zur Aufrechterhaltung oder gar Weiterentwicklung demokratischer Prinzipien. Und bei der "Einhaltung der ungeschriebenen Spielregeln" muss man sogar darauf hinweisen, dass diese Praxis unsere Demokratie in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv beschädigt hat.
Politiker, die sich als "Macher" statt als "oberste Organe der Vollziehung" (Artikel 19 B-VG) betrachten, die längst nicht mehr für die besten Ideen streiten (weil sie gar keine haben), sondern nur noch für die Aufrechterhaltung ihrer Pfründe kämpfen, diese Politiker halten ihre Machenschaften (im Sinne der ungeschriebenen Spielregeln) für legitime und notwendige Aktionen zur Aufrechterhaltung des Staates. Und das sind sie auch. Denn der Staat ist der Selbstbedienungsladen, den sich die Parteien in der Zweiten Republik eingerichtet haben. (Das ist nicht nur das Urteil eines entrüsteten Moralphilosophen. Sogar der Demokratiemonitor verwendet diesen Begriff bereits in seinen Untersuchungen.)
Diesen Staat erhalten die Herrschaften unseres Landes (egal ob in Regierung oder Opposition) mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Zur Verfügung stehen beispielsweise Parteienförderungen von rund 240 Millionen Euro. Jährlich! Damit nicht genug. Zusätzlich 10 Millionen für die Parteiakademien. Jährlich! Als "gewählte Repräsentanten" des Volkes halten sich Politiker für legitimiert, sich solche Beträge zu bewilligen, und, sobald sie in Regierungsfunkton kommen, Steuergeld mit vollen Händen zu verschleudern. Das Volk bekommt auch was ab: Zwangsbeglückung durch Regierungspropaganda, die dreistellige Euro-Millionenbeträge kostet. Jährlich!
Die derzeitigen Herrschaften am Ballhausplatz, in der Hofburg und in allen von Manfred Matzka geschilderten Ministerien, haben in den vergangenen drei Jahren die Gesellschaft gespalten. Dabei geht es nicht um Gräben zwischen Geimpft-Ungeimpft, Nato-Befürworter und -Gegner, Neutralität Ja oder Nein, Klimamaßnahmen zu viel oder zu wenig. Über all diese Themen könnte man diskutieren, wenn es noch eine Kultur des Diskurses geben würde. Doch die größte Spaltung seit Einführung der Republik ist die Spaltung zwischen Staat und Gesellschaft. Demos (das Volk) als Souverän gemäß Artikel 1 B-VG hat in den Machenschaften der "staatstragenden Parteien" keinen Platz mehr, sondern ist nur noch Objekt der Politpropaganda (Neudeutsch: message control, dirty compaigning, framing). "Man bemühte sich um die Akzeptanz und das Vertrauen von Bevölkerung und Medien." Der Satz könnte aus der Propaganda-Abteilung des BKA stammen.
Damit genug; ethos.at publiziert täglich kritische Artikel über die Machenschaften unsere Herrschaften. Das letzte Wort soll Manfred Matzka haben - doch vorher muss ich festhalten: in diesem Punkt bin ich nicht seiner Meinung. "Auch wenn der Ballhausplatz vielleicht die Qualität der Demokratie des Landes nicht weiterentwickelt hat, selbst wenn einzelne seiner Chefs ihr sogar Schaden zufügten, blieb insgesamt das Verfassungsgefüge intakt..." (53)
P.S. "Eine Geschichte zieht sich ganz besonders auffällig durch alle Schauplätze der Macht, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin: die Verbrennung von Akten am Vorabend eines Ministerwechsels." (238)