Lissitsa Alex: Meine wilde Nation - Korruption

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1. Korruption

„Als ich 2012 damit begann, das Unternehmen zu leiten, stellte ich rasch fest, dass ich einen innerlich verkrusteten, in unproduktiven Abläufen erstarrten und von Korruption geplagten Koloss übernommen hatte. … Zuerst habe ich auf einen Schlag eintausend Mitarbeiter entlassen. Die Entlassungen betrafen vor allem Pensionäre, die zusätzlich noch vom Unternehmen versorgt wurden. Wir schickten sie ganz in Rente. Dann kamen die Direktoren an die Reihe. Vor allem standen all jene Betriebsleiter zur Disposition, die noch aus der Sowjetzeit übriggeblieben waren. Sie wussten alles besser und bestanden darauf, sich nirgends reinreden zu lassen. Von zeitgemäßer Unternehmensführung hatten sie keine Ahnung, aber sie hielten sich trotzdem für unersetzlich.“ (83)

„Mit dem neuen Management wurden nicht nur die Betriebsabläufe verbessert. Es traten auch tief verwurzelte und seit Jahren laufende Korruptionsgeschäfte zutage. … Innerbetriebliche Korruption ist ein riesiges Problem, gerade für große Unternehmen. Viel davon bestand noch als Erbe aus Sowjetzeiten fort. Dort war sie geradezu endemisch und zerfraß von innen heraus das gesamte Wirtschaftssystem.“ (84)

„Der Kampf gegen die betriebsinterne Korruption zog sich über vier Jahre hin. Es ging um Millionen. Und es war nicht ganz ungefährlich. Es gab Zeiten, in denen ich nur mit Bodyguards unterwegs war. Der Schnitt und die Verjüngung haben jedenfalls dafür gesorgt, dass im Unternehmen nun ein ganz neuer Geist herrscht.“ (86)

„Anfang 2021 bekamen wir unerwarteten Besuch einer Abordnung der Tschernihiwer Polizei. Wir hätten gegen die geltenden Bestimmungen verstoßen und nun werde eine Strafe fällig. Die offizielle Begründung lautete, dass wir 0,6 Hektar Land ohne Erlaubnis landwirtschaftlich nutzen würden. Auf diesem Stück Land, so der Vorwurf, befänden sich historische Grabstätten, weshalb Ackerbau dort nicht zulässig sei. Dazu muss man wissen, dass Tschernihiw nach Kyjiw die zweitälteste Großstadt der Ukraine ist. In manchen alten Landkarten sind etliche Friedhöfe und Begräbnisstätten verzeichnet, auf deren Gelände schon seit mehr als hundert Jahren Landwirtschaft betrieben wird. Trotzdem gelten sie formal noch immer als Friedhöfe. Diesen Umstand haben die lokalen Ordnungshüter irgendwann als Geschäftsmodell entdeckt. Sie haben eine ganze Reihe möglicher Straftaten und Anklagepunkte aufgelistet. Dann kamen sie auf mich zu, um mir das Angebot zu unterbreiten, die Angelegenheit unter bestimmten Umständen unter den Tisch fallen zu lassen. Ich warf die Jungs raus.“ (147 f)

„Ich hatte von derartigen Vorfällen schon gehört. Etliche meiner Kollegen hatten Ähnliches erlebt. Das Problem geht von den Geheimdiensten und deren lokalen Behörden aus. Von Anfang an wurde dieser Sicherheitsdienst falsch aufgesetzt. Zwar hat man nach dem Zerfall der Sowjetunion den damaligen Geheimdienst des Landes, den KGB, aufgelöst. Aber dann wurde als Nachfolgeorganisation der SBU gegründet, kurz für Sluschba Bespeky Ukrajiny, Sicherheitsdienst der Ukraine. Dort haben sich die alten KGB-Leute umfassende Rechte im Bereich der Wirtschaftskontrolle gesichert. Obwohl die internationalen Handelspartner das sehr schnell als Problem wahrgenommen haben, sind alle Reformversuche gescheitert. Nach dem Maidan wollte man im Jahr 2014 eine Institution aufbauen, die der SBU die Aufsicht über Wirtschaftsaktivitäten entzieht. Aber am Ende hat das bisher noch jede ukrainische Regierung blockiert, auch unter den Präsidenten Poroschenko und Selenskyj.“ (148)

„Große Teile unserer Ländereien sind [nach dem Rückzug der Russen] vermint, gut 30 000 Hektar in der Oblast Tschernihiw, und noch einmal so viel weiter östlich um Sumy. Wir müssen sie so schnell wie möglich von allen Kriegsresten säubern, um überhaupt an die Aussaat denken zu können. Die größten Sorgen mache ich mir um meine Mitarbeiter. Die Leute haben keine Erfahrung mit Minen. Sie können das Risiko nicht einschätzen. Mit dem Entminen sind wir immerhin auf unseren Ackerflächen recht schnell vorangekommen. Zum Glück kenne ich den Gouverneur der Region Tschernihiw gut und habe mich gleich Mitte April [2022] mit ihm in Verbindung gesetzt. Er hat versprochen, mir beim Räumen und Reinigen der Felder zu helfen. Jetzt ist parallel auch noch der Innenminister auf mich und andere betroffene Landwirte zugekommen, … allerdings würde das 500.000 Dollar kosten. … Letztlich habe ich dem Innenminister einen Korb gegeben. Das Hilfsangebot des Gouverneurs erweist sich nicht nur als unkomplizierter und schneller, es kommt uns auch viel günstiger. Wir haben den ganzen in Mitleidenschaft gezogenen Grund und Boden für gerade einmal eine Million Hrywnja entmint, also etwa 30.000 Dollar.“ (150 f)