Die Rituale der Beschwörung von Gott im Mittelalter und der Beschwörung des Geldes in unserer Zeit sind nicht ähnlich. Es sind vielmehr dieselben Rituale, denn Geld hat Gott vom Thron gestoßen. Geld ist heute das einzige Wesen mit universeller Gültigkeit, es ist geistig und materiell gleichzeitig.
Über die Metaphysiker, jene Philosophen, die endlos über geistige Dinge und Wesen spekulierten, machte Immanuel Kant (1724-1804) sich lustig: wann immer sie den Schaum ihrer Weisheiten abschöpften, der sofort zerging, zeigte sich neuerlich Schaum auf der Oberfläche, „den immer einige begierig aufsammleten, wobei andere, anstatt in der Tiefe die Ursache dieser Erscheinung zu suchen, sich damit weise dünkten, daß sie die vergebliche Mühe der Ersteren belachten.“ (Prolegomena, 20) Kant kritisiert an der Schulmetaphysik (Scholastik) insbesondere den „Dogmatismus, der uns nichts lehrt“ (P, 23) sowie „mystische Schwärmerei und Hirngespinste“ (P, 47) und entwickelt daher die Kritik der reinen Vernunft als „Gegenmittel“.
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Kants Gegenmittel liegt in der kritischen Methode, er konstituiert die Metaphysik als Wissenschaft. Er vergleicht seine Transformation der Metaphysik mit der kopernikanischen Wende in der Physik. Mit heutigen Begriffen: Kant hat einen Paradigmenwechsel vollzogen.
Der in Vergessenheit geratene Begriff „Transsubstantiation“ hilft uns, die Denkungsart der vor-kritischen, dogmatischen Metaphysik zu verstehen. Es geht dabei nicht um „Subtraktion“ oder um „Subordination“, sondern um Substanz, die transzendiert. Dieser Begriff, den nur noch wenige Theologen kennen, bezeichnet die Wandlung von Brot in den Leib Christi. Wenn man heute Christen, die der Eucharistie beiwohnen, fragt, ob die Wandlung ein symbolischer Akt sei, oder ob sich Christus tatsächlich (physisch!) in jeder Hostie befinde, so werden fast alle Christen von einem symbolischen Akt sprechen. So gut wie alle Katholiken widersprechen damit der immer noch gültigen Glaubenswahrheit ihrer Theologie. So zeigt sich: Schulmetaphysik und Theologie haben aufgehört die Menschen zu beherrschen.
Wahrscheinlich kennen heute nur noch einzelne Priester den Ursprung dieser Glaubenswahrheit. Die Idee der Transsubstantiation stammt aus dem Mittelalter, das von Gottesfurcht (im besten Falle Ehrfurcht vor Gott, im schlimmsten Falle Angst vor den Drohungen der Kirche) gezeichnet war. Zweifel an Gott war ausgeschlossen. Seine Allmacht war ebenso unbestritten wie seine Existenz. Wenn der Priester auf die Hostie verweist mit den Worten „das ist der Leib Christi“, so ist dieses Wort Gottes unmittelbare Realität, d.h. in der Hostie ist der Leib Christi tatsächlich anwesend. Diese für den aufgeklärten Christen nicht mehr nachvollziehbare Idee, war für den Christen vor der Aufklärung eine selbstverständliche Vorstellung. Die Hostie war nicht bloß ein Symbol, nicht bloß Stellvertreter für den in Wirklichkeit abwesenden Gott.
Die metaphysische Formel „universalia sunt realia“ charakterisiert die Geisteshaltung (die Denkungsart) des Mittelalters. Universalbegriffe wie Gott, Mensch, Stand, Gattung sind Realität, d.h. sie entsprechen der Wirklichkeit und der Wahrheit; sie sind vollkommen wahr, das impliziert, dass sie auch existieren müssen. Über Jahrhunderte stritten Philosophen über drei Variationen dieser Wahrheit:
- universalia sunt ante rem (die Universalbegriffe gibt es vor den materiellen Dingen);
- universalia sunt post rem (die Universalbegriffe werden von den Dingen abgeleitet)
- universalia sunt in re (Universalbegriffe sind wesentlicher Bestandteil der Dinge)
aber immer stand außer Frage: universalia sunt realia (Universalien sind Realität).
„Der große ‚Universalienstreit‘, der fast das ganze Mittelalter erfüllt, geht niemals um den eigentlichen Grundsatz, sondern nur um dessen Formulierungen“, schreibt Egon Friedell in der „Kulturgeschichte der Neuzeit“. Die Geisteshaltung hatte und hat Auswirkungen auf die Lebensform: „Den Stand zu wechseln war in der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung fast unmöglich, da die Stände als von Gott geschaffene Realitäten angesehen wurden, wie etwa die einzelnen Gattungen des Tierreichs.“ Gott war demnach nicht nur wirklich, sondern auch wirksam.
Heute gilt: Gott ist tot, die Götter leben. Im Zeitalter des Individualismus betet jeder seinen eigenen, privaten Gott an. Im Zeitalter der Säkularisierung, der Trennung von Staat und Kirche, hat Gott seinen gesellschaftspolitischen Einfluss verloren. Das gilt zumindest für Europa. An die Stelle Gottes ist das Geld getreten. Das gilt für die ganze Welt. Für das Geld gelten alle Attribute, die ursprünglich Gott zugeschrieben wurden: es ist omnipräsent (allgegenwärtig), omnipotent (allmächtig) und sogar omniszient (allwissend).
Gott kann man heute in Zweifel ziehen. Man kann an Gott glauben oder nicht an Gott glauben oder an den Teufel. Man kann Gott und Allah für ein und dasselbe Wesen halten oder für verschiedene. Man kann sich über Gott lustig machen (nur Allah versteht bislang keinen Spaß). Man kann Gott für tot erklären und trotzdem seinen Geboten folgen. Man kann Gott leugnen und gleichzeitig Kunstwerke, die im Namen Gottes geschaffen wurden, verehren. Mit der Aufklärung hat Gott die Toleranz in die Welt gebracht. Oder war es umgekehrt? Hat die Aufklärung Gott Toleranz beigebracht? Die mysteriöse Trinität Gottes wurde aufgelöst in der Liebe Gottes , reduziert auf die für jeden verständliche Formel: Gott = Liebe. Ein Gott der Liebe verzeiht den Menschen ihre Dummheiten und sogar ihre Blödeleien.
Dieser Paradigmenwechsel ist in Folge der Aufklärung möglich geworden. Die „Kritik der reinen Vernunft“, die eine „Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“ begründet hat, wurde vor 242 Jahren publiziert und kann als Fundament der Aufklärung gesehen werden. Unser Zeitgeist wurde möglich, weil Kant die Grenzen der Erkenntnis ausgelotet und die Abgrenzung zum Glauben begründet hat.
Doch Wehe dem, der eine kritische Haltung dem Geld gegenüber einnimmt. Der wird als Ketzer zwar nicht eingesperrt, sondern ausgesperrt. Der wird als Häretiker heute nicht mehr verbrannt, sondern in ein sauerstoffarmes Gebiet verbannt, wo sich sein Feuer nicht entzünden kann. Alles, was der aufgeklärte Europäer heute GOTT gegenüber darf, ist dem Weltbürger dem GELD gegenüber verboten. Es gilt als undenkbar, GELD aus unserer Welt zu verbannen. Es überschreitet jedenfalls die Vorstellungskraft der Menschen, so wie für die Menschen im Mittelalter die Vorstellung undenkbar war, dass da kein GOTT sei. GELD ist heute das einzige Wesen mit universeller Gültigkeit, es ist geistig und materiell gleichzeitig.
Es ist höchste Zeit ein Verständnis von GELD zu entwickeln, das nicht spekulativ ist, sondern als Wissenschaft wird auftreten können!