Bioenergy: Good Bad or Ugly? - Wissenschafter als Influencer

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Wissenschafter als Influencer

Am 9. Dezember 2020, noch rechtzeitig vor der Weihnachtspause, senden vierzehn Umweltschutzorganisationen einen Brief an den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, sowie an sieben weitere EU-Kommissare. Am Anfang steht die Aufforderung, die EU-Richtlinie RED (Renewable Energy Directive) zu überdenken: "Seit vielen Jahren fördert die EU-Politik die Verbrennung verschiedener Arten von Bioenergie, die die Emissionen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen erhöhen. Die Mitgliedstaaten subventionieren diese schädliche Industrie jährlich mit Milliarden Euro. Die äußerst negativen unbeabsichtigten Folgen der EU-Biokraftstoff-Politik werden bereits seit einiger Zeit diskutiert, aber die Auswirkungen der EU-Fördergelder für die Verbrennung von Biomasse aus den Wäldern sind nicht weniger alarmierend oder kontraproduktiv."

An der Stelle verweisen die Autoren auf acht Fotos im Anhang. Zu sehen sind zwei gerodete Waldflächen, drei mit Holzstämmen beladene Lkw sowie drei Holz-Lagerflächen von Pellet- Produzenten. Die Auswahl der Fotos stammt aus den Jahren 2017 bis 2020. Man musste offenbar lange suchen, um suspektes Material zu finden. Nach einem Verweis auf die Position der Wissenschaft (dokumentiert mit einem Brief von Wissenschaftern an EU-Parlamentarier vom 4. Juni 2018) kritisieren die NGOs die Bestimmungen von RED: "Solange die EU ihre Politik im Bereich der Bioenergie nicht ernsthaft reformiert, wird diese Politik unsere Klima- und Biodiversitäts-Ziele sowie unser Engagement für nachhaltige Entwicklungsziele weiterhin untergraben und dem internationalen Ruf der EU schweren Schaden zufügen."

An erster Stelle der vierzehn Unterzeichner dieses Briefes steht Ariel Brunner, Direktor von Birdlife Europe, gefolgt von Debbie Hammel, Direktorin bei Natural Resources Defense Council (NRDC) mit Sitz in New York, sowie Julia Christian, zuständig für Campaigning bei der niederländischen NGO Fern. Wo sich BirdLife engagiert, dort ist auch die Organisation Transport & Environment nicht weit und meist auch Dogwood Alliance anzutreffen. Stark involviert in alle Waldschutz-Aktivitäten, so auch hier, sind WWF und Robin Wood.

Vier Monate später, am 21. April 2021, geht der nächste offene Brief an die nächsthöhere Etage, und zwar an die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, sowie Kopien an den US-Präsidenten Joe Biden und die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und Dänemark. Diesmal führt Robin Wood die Liste der mittlerweile 69 Unterzeichner an.

Nach höflicher Erwähnung der Fortschritte der EU im Kampf gegen den Klimawandel, kommen die Autoren des Briefes im zweiten Absatz zur Sache: "Obwohl es wichtig ist, von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen, befindet sich die EU in Bezug auf die Rolle der Bioenergie und die Zukunft der Wälder auf einem gefährlichen Weg. Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass die Europäische Kommission die Verbrennung von Biomasse aus Wäldern immer noch als 'erneuerbare' Energie in ihrer Richtlinie über erneuerbare Energien (RED II) inkludiert hat."

Mit Verweis auf Forschungsergebnisse des von der EU finanzierten Forschungszentrums JRC heißt es weiter: "Die Ernte und Verbrennung von Waldbiomasse produziert zusätzliches CO2, anstatt es zu reduzieren, und schadet den stark geschädigten Wäldern der EU noch weiter, wodurch die Kohlenstoffbestände der Wälder untergraben und Ökosysteme unter Verstoß gegen die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie geschädigt werden. Die Auswirkungen der EU-Richtlinie RED II sind auch im Ausland sichtbar, da Wälder abgeholzt, zu Pellets verarbeitet und in europäischen Kraftwerken verbrannt werden. Hinzu kommt, dass die Holzverbrennung eine der Hauptursachen für die Luftverschmutzung ist, die bereits jedes Jahr Hunderttausende EU-Bürger tötet. Perverser Weise stellen die Mitgliedstaaten jedes Jahr Subventionen in Milliardenhöhe bereit, womit sie die Verarbeitung von Wäldern zu Kraftstoff unterstützen."

Die Lösung der Umweltschutz-Organisationen: "Die billigste und effektivste Klima-Lösung besteht darin, Wälder älter werden zu lassen und den Holzeinschlag insgesamt zu reduzieren. Natürliche Wälder, die altern dürfen, wirken wie eine Kohlenstoffbank, während die Verbrennung von Waldbiomasse zur Energiegewinnung die Wälder effektiv in 'neue Kohle' verwandelt."

Beide Briefe wurden orchestriert von 40.000 Unterschriften für eine Petition mit dem einprägsamen Slogan "Don’t burn wood, don’t burn food. Stop fake renewables!" Mehrere Absätze der Petition decken sich mit dem offenen Brief an Timmermans, die übrigen Ausführungen sind von einem kämpferischen Sprachduktus geprägt: "Dieses Gesetz [Anm: RED] ist eine Katastrophe für die Umwelt. Um Subventionen zu erhalten, tauchen riesige Unternehmen auf, die unsere verbliebenen Wälder abholzen und das Wenige pflügen, was von unseren Weiden und Wiesen übrig geblieben ist. Und alte, schmutzige Kohlekraftwerke werden auf magische Weise in 'saubere Energie' verwandelt. All dies wird mit unserem Steuergeld subventioniert."

Weniger kämpferisch aber durchaus emotional ist der Brief, unterzeichnet von 500 internationalen Wissenschaftern, der am 11. Februar veröffentlicht wurde. Auch diese Post geht an die Präsidenten Joe Biden (USA), Urusla von der Leyen (EU), weiters an die Präsidenten Louis Michel (Europäischer Rat) und Moon Jae-in (Südkorea), sowie an den Premierminister Japans, Yoshihide Suga.

Um die Kohlenstoffneutralität in Europa, den USA, Japan und Korea bis 2050 zu erreichen, empfehlen die Wissenschafter schon einleitend: "Die Erhaltung und Wiederherstellung von Wäldern sollten Schlüssel-Instrumente sein, um dieses Ziel zu erreichen und gleichzeitig unsere globale Biodiversitätskrise zu bewältigen. Wir fordern Sie dringend auf, sowohl die Klimaziele als auch die biologische Vielfalt der Welt nicht zu unterminieren, indem Sie dazu übergehen, statt fossiler Brennstoffe Bäume zu verheizen, um Energie zu gewinnen."

Bislang seien Strom und Wärme-Energie in der Papier- und Holzproduktion nur als Nebenprodukte angefallen. Diese Verwendung habe nicht zur Ausweitung der Holzernte geführt. Doch in den letzten Jahren sei es zu einer Fehlentwicklung gekommen, "ganze Bäume zu fällen oder große Teile des Stammholzes für Bioenergie abzuzweigen, wodurch Kohlenstoff freigesetzt wurde, der sonst in Wäldern gespeichert bliebe. Das Ergebnis dieser zusätzlichen Holzernte ist ein starker initialer Anstieg der Kohlenstoff-Emissionen, wodurch eine 'Kohlenstoff-Schuld' entsteht, die mit der Zeit zunimmt, da mehr Bäume für den laufenden Bioenergie-Einsatz geerntet werden. Nachwachsende Bäume und die Verdrängung fossiler Brennstoffe könnten diese Kohlenstoff-Schulden eventuell irgendwann begleichen, aber das Nachwachsen braucht Zeit, welche die Welt nicht mehr hat, um den Klimawandel zu beenden. Wie zahlreiche Studien gezeigt haben, wird diese Holzverbrennung die Erwärmung für Jahrzehnte bis Jahrhunderte erhöhen. Das gilt auch dann, wenn Kohle, Öl oder Erdgas durch Holz ersetzt werden."

Außerdem wird - wie schon im Brief an Timmermans - behauptet, dass Holz bei der Erzeugung von Energie mehr CO2 frei setzt als die Verwendung fossiler Brennstoffe. Anstelle eines Beweises folgt eine wage Vermutung: "Insgesamt dürfte die Verwendung von Holz für jede erzeugte Kilowattstunde Wärme oder Strom zunächst zwei- bis dreimal so viel Kohlenstoff in die Luft bringen wie die Verwendung fossiler Brennstoffe." Weitgehend unbestritten, wenn auch nicht wissenschaftlich exakt formuliert, ist das folgende Statement: "Die Zunahme der Erderwärmung in den nächsten Jahrzehnten ist gefährlich."

Erderwärmung führe zu direkten Schäden an der Umwelt, nicht nur zu mehr Waldbränden, sondern auch zum Schmelzen der Gletscher und zum Auftauen von Permafrostböden. "Diese Schäden werden nicht rückgängig gemacht, selbst wenn wir den Kohlenstoff in den kommenden Jahrzehnten entfernen." Das klingt nach Ausweglosigkeit, doch die Autoren geben nicht auf: "Staatliche Subventionen für die Holzverbrennung schaffen ein doppeltes Klimaproblem, weil diese falsche Lösung echte CO2-Reduktionen verdrängt. Unternehmen ersetzen die Nutzung fossiler Energien durch Holz, was die Erwärmung erhöht, statt Ersatz durch Umstellung auf Solar- und Windenergie, was die Erwärmung wirklich verringern würde."

Daraus folgt abschließend ein Appell an die Machthaber: "Ihre Entscheidungen in der Zukunft sind von großen Folgen für die Wälder der Welt, denn wenn die Welt nur zwei Prozent ihrer Energie aus Holz liefert, müsste sie ihre kommerziellen Holzernten verdoppeln. [...] Bäume sind wertvoller lebendig als tot, sowohl für das Klima als auch für die Biodiversität. Um die zukünftigen Null-Emissions-Ziele zu erreichen, sollten Ihre Regierungen daran arbeiten, Wälder zu erhalten und wiederherzustellen anstatt sie zu verbrennen."

Lediglich 59 Wissenschafter legen einen Monat später nach. In ihrem Brief an Michel, Timmermans und von der Leyen nehmen sie Bezug auf ein Schreiben des Rechtsprofessors Blake Hudson, das bis dahin in Europa zwar niemand kannte, das man aber offenbar kennen sollte. Die Wissenschafter provozierend aber der Logik des Marktes folgend schreibt er: "Holzbasierte Bioenergie unterstützt Märkte, die dazu beitragen, unsere Wälder vor der Umwandlung in andere Nutzungen zu schützen."

Der Rechtsprofessor an der Universität von Florida publiziert seit vielen Jahren über die rechtlichen und wirtschaftlichen Belange der Forstwirtschaft. Am 15. Februar 2021 erschien auf euractiv.com sein Artikel mit dem Titel "To keep forests intact, we must use them" unterstützt von der U.S. Industrial Pellet Association. Mit Verweis auf eine Studie aus dem Jahr 2013 sieht Hudson positive Auswirkungen der Waldwirtschaft auf den Klimawandel: "Insgesamt könnte die Expansion des Holzmarktes die weltweiten Nettoemissionen um bis zu 31 Prozent senken. Dies ist auf ein grundlegendes Prinzip zurückzuführen, das fest in der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Analyse verankert ist und auch in der Forstpolitik berücksichtigt werden sollte: die Märkte für Produkte der Forstwirtschaft veranlassen Waldbesitzer zu Investitionen, die die Fläche und die Produktivität der Wälder steigern. Diese Investitionen können den mit der Ernte verbundenen Kohlenstoffausstoß ausgleichen und die Gefahr der Umwandlung von Wäldern für andere Landnutzungen verringern."

forestdefenders.eu zitiert am 11. März 2021 die Antwort der erwähnten 59 Wissenschafter: "Dies ist ein beliebter Standpunkt der US-Holzpelletindustrie, deren Interessen Hudson vertritt. Es gibt aber nur eine geringe Evidenz für die Behauptung der Industrie, dass die wachsende Nachfrage nach Holz helfen würde, natürliche Wälder zu erhalten." Die Wissenschafter äußern Bedenken, dass die steigende Nachfrage in Europa auf Kosten des Waldbestandes im Süden der USA gehen könnte, weil "die EU-Mitgliedstaaten die Nutzung ihrer Waldflächen streng regulieren, so dass es derzeit keine Entwaldungstendenz in der EU gibt. "