Natural Gas versus Biomasse
Am 1. Februar 2021 schaltet sich Natural Gas World in den Bioenergie-Diskurs ein und produziert die Schlagzeile: "Rapid Growth of Coal-to-Wood Switching Destroys Forest With No Climate Benefits". Der Inhalt kurz gefasst: "Anstatt von Kohle auf saubereres Erdgas umzusteigen, setzen die Kohleproduzenten in Europa und Asien massiv auf Biomasse, mit desaströsen Auswirkungen auf die Wälder und geringen oder gar keinen Klimavorteilen. Diese Praktiken werden durch die Rechtsvorschriften der Vereinten Nationen und der EU gefördert. Holzpellets sind eines der 'schmutzigen Geheimnisse' hinter dem Erfolg der EU im Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere von Biomasse. Im Gegensatz zu dem, was die meisten Menschen denken, stammt der größte Teil der in der EU erzeugten erneuerbaren Energien nicht aus Solar- oder Wind, sondern aus der Verbrennung von Biomasse."
Bis auf die Wortschöpfung "sauberes Erdgas" decken sich die Aussagen dieses Artikels mit den Argumenten des WWF. So berichtet die weltgrößte Umweltorganisation (5.000 Mitarbeiter und fünf Millionen Unterstützer in 100 Ländern) am 26. Januar über die Petition #stopfakerenewables, die 40.000 Europäer unterzeichnet haben: "Ein Großteil der Waldbiomasse schadet dem Klima, der biologischen Vielfalt oder beiden. Ein Bericht der Europäischen Kommission kommt zu dem Schluss, dass ein Großteil der Waldbiomasse mehr Treibhausgasemissionen verursacht als Kohle, Öl und Gas."
Der Output von Natural Gas World entspringt dem Input der Erdgasindustrie. Das beweist ein Blick auf die Partner des Mediums, den Beirat sowie die Mitarbeiter. Der Chefredakteur aus Moskau arbeitet mit Branchen-Kennern (darunter auch Branchen-Vertreter) aus Indiana, London, Edinburgh, Vilnius, Prag, Baku, Mumbaj und Abja. Im Beirat finden sind u.a. Rune Bjørnson (ehemals Manager bei Statoil), Tatiana Mitrova (hochrangiges Mitglied zahlreicher staatlicher russischer Institutionen, daneben Aufsichtsrad von E.ON Russia) und Jupiter Ramirez (langjähriger Manager in der internationalen Erdgas-Industrie).
Jede Organisation hat das Recht auf Unterstützung durch Opinionleader aus den entsprechenden Branchen. Das gilt auch für Informationsportale. Jenseits berechtigter Interessen der Vertreter des "sauberen Gases" liegt jedoch die Polemik über "schmutzige Geheimnisse" der Bioenergie-Branche. In den vergangenen Jahren wurden in so gut wie allen Bereichen der Bio-Energie "dirty secrets" aufgedeckt: Schon 2015 schrieb greenbiz.com: "Pulp fiction: Why wood is a dirty secret of clean energy" und bereits 2010 hat dieser Anbieter alternativer Informationen über
"Solar Power's Dirty Secrets" geschrieben. Schmutzige Geheimnisse verbirgt angeblich auch die Windenergie: über "The Big Dirty Secret Behind Wind Power" schreibt die internationale Nachrichten-Agentur Bloomberg am 7.2.2020. Das nicht weniger renommierte Business-Magazin Forbes enthüllt am 3.8.2020 "The Dirty Secrets Of ‘Clean’ Electric Vehicles".
Der Hinweis auf "dirty secrets" fehlt im jüngsten offenen Brief, den Umweltorganisationen aus Estland, Kanada, Portugal und den USA am 30. April 2021 an Anne-Marie Belinda Trevelyan geschickt haben. Die Adressatin ist seit Jahresbeginn Britische Staatsministerin des Department for Business, Energy & Industrial Strategy (kurz: BEIS). Erstmals werden in einem offenen Brief nicht nur allgemeine Aussagen über Kohlenstoff-Schuld oder Biodiversität getroffen, sondern auch konkrete Namen genannt: Bezugnehmend auf Untersuchungen der Dogwood Alliance wird behauptet, "dass Holz, das in Enviva-Pelletmühlen verwendet wird, üblicher Weise aus Kahlschlägen [Englisch: clearcuts] alter Laubwälder in einer Region stammt, die als globaler Biodiversitäts-Hotspot ausgewiesen ist."
Enviva mit Sitz in Raleigh, North Carolina, ist einer der Pellets-Lieferanten für den britischen Stromkonzern Drax, der in der Nähe von Selby, North Yorkshire, bislang vier von sechs Blöcken, die ursprünglich mit Kohle betrieben wurden, auf Pellets umgerüstet hat. "65 Prozent der von Drax im Jahr 2020 verbrannten Holzpellets stammten aus dem Südosten der USA, aus drei Pelletmühlen von Drax selbst sowie aus denen von Enviva LLC. Pellets aus der Region werden auch im Kraftwerk Lynemouth in Northumberland verbrannt".
Passend dazu publizierte Politico, das nach eigenen Angaben "die Mächtigen, insbesondere diejenigen, die politisch, beruflich oder finanziell an Politik und Politik beteiligt sind" informiert, am 26.3.2021 einen umfangreichen Artikel: "The ‘Green Energy’ That Might Be Ruining the Planet". Mit Focus auf die USA heißt es: "Die Biomasse-Industrie erwärmt die Wirtschaft des Südens, aber viele Experten befürchten, dass sie dasselbe mit dem Klima tut. Wird die Biden-Administration sie in die Arme schließen oder beschneiden?" Es hat ein paar Wochen gedauert, bis diese Message des Politjournals zur New York Times durchgesickert ist, die am 19.4.2021 schreibt: "There’s a Booming Business in America’s Forests. Some Aren’t Happy About It."
Zurück zum offenen Brief an Ministerin Trevelyan, der weiters Kritik an den Aktivitäten und Fehlentwicklungen in Portugal, Lettland und Estland übt. So habe Drax 2020 rund 840.000 Tonnen Holzpellets aus den beiden baltischen Republiken verheizt, was zu einem massiven Anstieg der Einschläge geführt habe, wobei Kahlschlag die gängige Methode sei. Auch boreale Urwälder Kanadas seien gefährdet, ebenso wie deren Bewohner. Mehr als 600 indigene Gemeinden, "die in der Nähe der Pelletanlagen leben, äußern häufig Beschwerden, dass Lärm und Luftverschmutzung sowie Gefahren für den Boreal-Wald bestehen. Die weitverbreitete Abholzung von borealen Wäldern für Biomasse bedroht die Kulturen und Lebensgrundlagen vieler indigener Völker."
Diese Kritik richtet sich immer auch gegen den Energiekonzern Drax, der überall seine Eisen im Feuer hat. Ein besonderer Stein des Anstoßes sind die hohen Subventionen, die Großbritannien den Stromkonzernen für die Umrüstung auf Biomasse bezahlt: "Allein Drax erhielt im Jahr 2020 Subventionen in Höhe von 831 Millionen Pfund für erneuerbaren Strom, um 7,14 Millionen Tonnen Holzpellets zu verbrennen."
Während die Argumente in diesem Brief sachlich vorgetragen werden, protestieren Demonstranten lautstark vor dem Biomasse-Kraftwerk gegen den "Drax Biokraftstoff Betrug" und Biofuelwatch fordert in seiner jüngsten Kampagne sogar: #AxeDrax! Parallel dazu laufen auf Twitter Kampagnen unter #StopFakeGreen, #Stand4Forests, #CutCarbonNotForests, #StopBiomassa. Über 150 Organisationen haben sich zusammengeschlossen um auf einer gemeinsamen Plattform über alle einschlägigen Kampagnen weltweit zu informieren. Die eindeutig zweideutige Domain dieser Gruppe: www.biomassmurder.org
Stichworte: Wald + Forstwirtschaft + Umweltschutz + Klimaschutz + Framing + Propaganda + Nachhaltigkeit