Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört
Killing the Host. How Financial Parasites and Debt Destroy the Global Economy, 2015
Auszüge aus dem Vorwort für die deutsche Ausgabe
„Der Erste Weltkrieg und seine Nachwirkungen zeigen, wie kurzsichtig die Vorstellung ist, eine strenge Sparpolitik können Output für den Export ‚freisetzen‘. John Maynard Keynes war derjenige, der die gängige Vermengung des fiskalischen Problems (wie viel inländische Währung kann ein Staat besteuern?) mit dem Transfer-Problem am verständlichsten erklärte: Wie viel Fremdwährung kann bezahlt werden?
Alle Hyperinflationen (außer Simbabwe) sind eine Folge des Bestrebens, eine höhere Summe an Auslandsschulden zurückzuzahlen, als die entsprechende Volkswirtschaft an Devisen zu erwirtschaften vermag. Ein strenger Sparkurs der öffentlichen Hand kann dieses Transferproblem nicht lösen, weil Austerität und Schuldendeflation Produktionskapazitäten zerstören und Arbeitnehmer dazu bewegen, auf der Suche nach Arbeit ins Ausland abzuwandern. Die Umlenkung von Einkommen weg von der inländischen Produktion hin zur Befriedigung von Gläubigern gleicht dem ‚therapeutischen‘ Vorgehen eines mittelalterlichen Quacksalbers, der seine Patienten umso häufiger zur Ader lässt, je kränker sie werden.
Der IWF hat diese Dynamik über fünfzig Jahre lang Schuldnerländern der Dritten Welt auferlegt, und die Europäische Zentralbank und die Europäische Union wenden sie seit 2012 in Griechenland an. Wenn an einer verfehlten Wirtschaftspolitischen Strategie von solcher Tragweite festgehalten wird, obwohl sie ganz offensichtlich nicht den versprochenen Erfolg zeitigt, stehen dahinter immer mächtige Sonderinteressen. Eine rigorose Sparpolitik führt zwangsläufig zu Wirtschaftskrisen und stellt somit eine Art ‚Kriegserklärung‘ an Arbeitnehmer und Industrie dar. […]
Die Tatsache, dass diese Ideologie der Austerität vor allem in Deutschland auf so fruchtbaren Boden fiel, zeigt, dass hier kaum etwas von den finanzpolitischen Kontroversen der 1920er Jahre in Erinnerung geblieben ist. Deutsche Banken und Banken anderer Länder behandeln Volkswirtschaften der Eurozone genau so, wie die Gläubiger damals Deutschland behandelten.“
Die monetäre Zwangsjacke der Eurozone
„Durch das geldpolitische Instrument der quantitativen Lockerung hat die Europäische Zentralbank (‚so viel wie notwendig ist‘, sagte Mario Draghi) Geld geschöpft, um die Forderungen von Banken und Anleihegläubigern aus notleidenden Krediten und Investitionen zu erfüllen. Aber sie schöpft kein Geld zur Ankurbelung der Konjunktur in Europa. Im Gegenteil: Die Regierungen der Eurozone verfolgen eine strenge Sparpolitik und opfern die Wirtschaft auf dem Altar der Gläubigerforderungen, denen sie Vorrang einräumen. […]
Aus diesem Grund hat die Quantitative Lockerung der US-Notenbank (Fed) und der Europäischen Zentralbank – das Ausreichen von Krediten an US-amerikanische und europäische Banken, nicht an Firmen oder Verbraucher – die Güterpreise nicht erhöht. Auf diese Weise wächst die Überschuldung der Wirtschaft die in zunehmendem Maße unter einer Schuldendeflation leidet. Dieser Gegensatz zwischen einer Vermögensinflation und Schuldendeflation ist ein zentrales Thema dieses Buches.“
SIEHE AUCH: Michael Hudson, Finanzimperialismus
Finanzkrise 2008
Infolge der Finanzkrise 2008 hat sich das Wissen, dass die Banken auf Kosten der Steuerzahler gerettet wurden, weit verbreitet. Die FED und EZB schöpften Geld (Quantitative Easing QE), um damit den Gläubigern (Banken und Fonds) faule Papiere (Ramsch vom „subprime market“) zum Nominalwert abzukaufen, während Millionen von Schuldnern (die Hausbesitzer) enteignet wurden und von der öffentlichen Hand keinen Cent bekommen haben. Das alles ist heute, 2025, wieder weitgehend in Vergessenheit geraten. Insbesondere die Corona-Panikmache ab 2020 war ein gelungenes Ablenkungsmanöver von den wahren Interessen der Finanzindustrie.
Begriffsklärung: Michael Hudson unterscheidet zwischen Finanzkapitalismus und Industriekapitalismus. Mit „Sektor“ meint er den Finanzsektor; dessen Player sind: die Zentralbanken, Geschäftsbanken, Investmentbanken, Fonds, Versicherungen, Ratingagenturen und nicht zuletzt der Immobiliensektor (kurz FVI Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor). Zur Industrie dagegen gehören die klassischen produzierenden Unternehmen und Konzerne; die Rolle von Dienstleistungskonzernen („Tourismusindustrie“) wird nicht extra untersucht. Im großen Spiel des Sektors ist die Realwirtschaft (egal ob Dienstleistung oder Produktion) nur von Bedeutung, wenn ein Unternehmen an Börsen notiert oder als Start-up Potenzial für Börsengänge entwickelt und so zur potenziellen „Beute“ der Finanzheuschrecken wird. Deren Hauptinteresse ist nicht die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen, in die investiert wird, sondern die Finanzrendite (rent seeking), das Ziel eines „dauerhaften leistungslosen Einkommens“. Dies ist nicht nur das Urteil des linken Ökonomen Hudson, sondern ist auch die Definition des Gabler Wirtschaftslexikons.
Den Begriff „Finanzindustrie“ verwendet Hudson nicht. Ethos-CR HTH schrieb bereits 2016 für die Unternehmerzeitschrift „a3eco“ einen Artikel über „Die finanzindustrielle Revolution“. Quintessenz: die Finanzindustrie produziert – so wie Industrie in der Realwirtschaft – Produkte. Auch wenn die Produkte „virtuell“ sind, gleicht die Art der Produktion der industriellen Herstellung von Industriewaren: sie werden massenweise entwickelt (wobei den genauen Inhalt nur wenige Menschen kennen), verpackt (mit schönen Aufschriften wie „Securities“ oder „Zertifikate“ versehen) und dann weltweit exportiert. Vorwiegend B2B direkt an den Börsen, ein kleiner Teil fließt aber auch über Makler an die Konsumenten (B2C). Aktien, Anleihen, Devisen und insbesondere Derivate sind nichts anders als die Produktion von Geld durch Geld (aus Sicht von Karl Marx die letzte Hybris des Kapitalismus vor seinem Zusammenbruch). Dazu passt die legendäre Aussage von Warren Buffet: „Die Revolution hat bereits stattgefunden und wir haben sie gewonnen.“ (Vgl. Begriffserklärung „Finanzindustrie“ von Ulrich Busch.)
Abgesehen von der Wortwahl – Sektor oder Finanzindustrie – beschreibt Hudson, Wallstreet-Insider und Mitbegründer von Occupy Wallstreet, detailliert, wie die Finanz-Machenschaften in diesem Jahrhundert ablaufen. Wichtiger Teil der Machenschaften ist die Propaganda, die in der Aussage gipfelt: „Der Finanzmarkt ist nicht regulierbar“. Das war nach dem Crash 2008 das wohl häufigste Mantra von Politikern aller Coleurs in Amerika und Europa. Und es sickert heute wieder ein in die Diskussion über Digitalgeld bzw. Zentralbankgeld, um Panik vor der „totalen Kontrolle“ zu schüren, so als ob die Schöpfung des Schuld-Geldes durch die Privatbanken nicht schon längst zur totalen Kontrolle des Schuldners geführt hätte.
Hudson belegt historisch, dass Adam Smith zurecht als Verteidiger des freien Marktes gilt, dies jedoch nicht bedeutet, dass er gegen jegliche Regulierung gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: ein freier Markt ist ein Markt frei von der Dominanz der Rentenbezieher – das waren zu Zeiten von Smith die Großgrundbesitzer und sind heute die Aktionäre von Fonds, Banken und Versicherungen. Durch erfolgreiche Propaganda gelingt es diesen „Rentiers“, den Staat als Ursache jeden Übels zu verteufeln. Das machen genau jene Kräfte in den Organisationen, die angeblich „too big to fail“ sind, und nach jeder Krise vom Staat gerettet werden – angeblich gerettet werden müssen, um keinen „Dominoeffekt“ auszulösen.
Vor zehn Jahren wagte HTH einen Blick in die Zukunft und war in Bezug auf 2025 optimistisch: „Nach dem Platzen der Finanzblase 2021 hat sich die Wirtschaft schnell erholt. Auf dem Wiener Kongress 2022-2025 wurde die Umschuldung aller Staaten geregelt. Konstruktionen und Spekulationen der Finanzindustrie, sowie Zinsen wurden verboten, die Banken den Finanzministerien aller Länder direkt unterstellt. Die Tätigkeitsfelder globaler Konzerne wurde auf Infrastrukturaufgaben eingeschränkt. Was zur Infrastruktur zählt wird seither in der jährlichen Infrastrukturkonferenz der UNO festgelegt.“ (Quelle: a3eco 12/2015) Doch aus Sicht des 1.1.2025 sind wir dem "Untergang des Abendlandes" näher denn je.
Jedes Jahr ohne Finanzcrash ist demnach eine Art der Insolvenzverschleppung, eine Straftat gemäß Aktienrecht. Das ewig drohende Damoklesschwert besagt, dass ein ungeordneter Zusammenbruch des Finanzsystems zum weltweiten Chaos führen würde. Doch warum denken Think Tanks, Nationalbanken und Finanzministerien dieser Welt nicht über einen geordneten Zusammenbruch nach? In der Realwirschaft haben alle Länder ihr Insolvenzrecht. Die längst notwendige Insolvenz der Irrealwirtschaft ist aber nicht möglich, weil es dafür kein weltweites Insolvenzrecht gibt. Es fehlt nicht nur der rechtliche Rahmen, es fehlt auch das tiefe Verständnis, was die Irrealwirtschaft dem Wesen nach von der Realwirtschaft unterscheidet. Wie stark die Irrealwirtschaft, die Finanzialisierung der Welt, die Realwirtschaft überragt, zeigen auch die Tabellen auf visualcapitalist.com: All of the World’s Money and Markets in One Visualization.
Planwirtschaft
Wie die Irrealwirtschaft funktioniert, das hat Hudson (ohne diesen Begriff zu verwenden) im Teil 2 des Buches, „die Wallstreet als zentrale Planungsabteilung“ ausführlich erörtert. Die Quintessenz: der Kapitalismus, der heute die Weltwirtschaft dominiert, arbeitet mit Mitteln der Planwirtschaft, die nicht das Geringste mit freier Marktwirtschaft zu tun haben. Im Unterschied zur sowjetischen Planwirtschaft ist dieses System nicht auf einen Staat und seine Satelliten beschränkt, sondern wuchert mittlerweile in allen Ländern dieser Welt.
Beispiele für Planspiele der Wallstreet:
1. Unterbewertung der Aktien für Vorzugskunden vor einem Börsengang: „Erfolgreich ist ein Börsengag immer dann, wenn sich der Aktienkurs vom morgendlichen Handelsbeginn bis zu abendlichen Handelsschluss verdoppelt hat. Die Führungskräfte der Unternehmen sowie Risikokapitalgeber und andere Langzeitaktionäre können förmlich mitansehen, wie der Wert ihrer Aktien in die Höhe klettert, während das Unternehmen selbst nur den Eröffnungspreis erhält“. (179)
2. Aktivismus der Finanzheuschrecken: beliebt ist der Druck der Aktionäre auf das Management, eigene Aktien zurück zu kaufen. Dafür werden auch Optionsscheine für Mitarbeiter versprochen („Mitarbeiterbindung“), doch im Wesentlichen soll damit der Kurs der Aktien und somit der Wert der Altaktionäre gesteigert werden. „Aktienrückkäufe verändern den Charakter des Industriekapitalismus. Zwar treibt man mit solchen Rückkäufen die Aktienkurse eines Unternehmens in die Höhe, aber man entzieht ihm auch die Mittel zur Expansion.“ (184)
3. „Die Schaffung finanziellen Reichtums mittels Schuldenhebeln statt durch Investitionen in Sachanlagen. […] Bei einer solchen Unternehmenspolitik wird das Finanzvermögen durch eine Erhöhung des Aktienkurses vergrößert aber nicht indem man die Produktion ausweitet.“ (187) Die industrielle wurde durch eine finanztechnische Planung (die natürlich andere Interessen verfolgt) ersetzt. Nach 2008 wurde diese zweifelhafte Methode nicht gebremst oder gar verhindert, sondern durch QE massiv erweitert: „Aufgrund der 2008 von der Federal Reserve in die Wege geleiteten Maßnahmen der quantitativen Lockerung wurde es immer profitabler, zu niedrigen Zinsen Bankkredite aufzunehmen, dafür Aktien zu kaufen, die dann höhere Dividenden abwerfen, und die Differenz schließlich in die eigene Tasche zu stecken.“ Diesem Modell folgte die EZB 2012, zunächst unter Umgehung der eigenen Statuten, später unter Neu-Interpretation derselben. (Siehe auch: Draghi-komisch)
Die gut geplanten Folgen: „Seit dem Tiefstand, den der S&P-500-Index im März 2009 nach dem Finanzcrash erreichte, haben sich die Kurse dieses Aktienindex fast verdreifacht – während die durchschnittlichen Löhne und andere Wirtschaftsindikatoren im Zuge der wirtschaftlichen Verschuldung stagnierten, die durch die Finanzkrise entstand.“ (188)
4. Finanzialisierung der Volkswirtschaft: „Heutzutage erzielen das Bankwesen und der Finanzsektor gut 40 Prozent aller Profite. […] das, was von den Unternehmensgewinnen übrig bliebt, wird immer öfter für Aktienrückkäufe und höhere Dividendenausschüttungen verwendet. […] Der Finanzkapitalismus gründet auf exponentiell wachsenden Schulden.“ (227) Durch den wachsenden Schuldendienst wird das Wachstum der Realwirtschaft verhindert. Das ist kein Kollateralschaden, das ist der Plan: Erhöhung der Schulden-Abhängigkeit. Wenn sich das Modell todläuft, dann kam es in früheren Zeiten zu einem Schuldenschnitt – die Gläubiger mussten „Haare lassen“ („haircut“). Heutzutage gibt es für die Mächte des Sektors nur einen Schuldigen, den Schuldner, dem dann umgehend ein Austeritäts-Plan vorgelegt wird. Hand in Hand mit der Vermögenspreisinflation geht die Schuldendeflation, das bedeutet: ab einem gewissen Zeitpunkt frisst der Schuldendienst einen großer Teil der Einnahmen, so dass kein Geld für Neuinvestitionen (oder im Privatbereich für Konsum) übrig bleibt. Die hohen Schulden bewirken Deflation in weiten Bereichen der Wirtschaft, nur die Vermögen (insbesondere Aktien- und Immobilien-Preise) steigen exponentiell.
5. Es ist „dem Finanzsektor gelungen, die Regierungspolitik in seine Gewalt zu bringen und den Industriekapitalismus dem Finanzkapitalismus sowie den mit ihm verbündeten Rentiers unterzuordnen. Das politische Problem besteht darin, dass Banker und Anleihegläubiger ihre Gewinne und Privilegien nicht verlieren wollen, selbst wenn sie die Volkswirtschaften dadurch in die Austerität zwingen. Denn nur so können sie die Schulden eintreiben, deren Entstehen sie selbst zu verantworten haben.“ (250) Hudson berichtet über scheinheilige Beteuerungen der Wall Street und City of London nach 2008, „dass niemand diesen Zusammenbruch hätte vorhersehen können. Eine nur zur Schau getragene Empörung. Die Banker und Hedgefonds-Manager hatten sehr wohl gewusst, was auf sie zukam, und in weiser Voraussicht eine politische Strategie entwickelt, um die Regierungen zu veranlassen, sie im Ernstfall mit staatlichen Rettungspaketen vor dem Ruin zu bewahren.“ (251) „Um sich für diesen Ernstfall die Unterstützung der Regierung zu sichern, leistete die Wall Street erfolgreiche Lobbyarbeit und postierte ihre Manager so, dass sie die Kontrolle über die Federal Reserve, das Finanzministerium, die wichtigsten Komitees im Kongress und die Europäische Zentralbank erlangte, die dann 2008 auch pflichtschuldigst das Geld der Steuerzahler nahmen und die Kreditgeber vor dem Untergang bewahrte.“ (256)
Die Zeit des Barack Obama war angebrochen. Details siehe: Obama + Renegat + Der Sektor
NACHSATZ: Dass Donald Trump wirklich der selbst ernannte Rächer der Enterbten ist, oder mehr noch als Obama ein Renegat, wird man bald prüfen können. Die Einschätzung von HTH: Trump wird niemals das Gewissen eines Renegaten quälen. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihm das mickrige Einkommen des Präsidenten nicht interessiert, sondern lediglich die steigenden Einnahmen seiner Unternehmungen sowie die Kurse seiner Aktien, die nach der Wahl sprunghaft von 2,5 auf 5,7 Milliarden Dollar gestiegen sind: „Trump’s Net Worth Jumps After Nasdaq Listing“ (ganz nach Plan-Modell 1, wie von Hudson vorgestellt.)