Es gibt bereits zahlreiche Publikationen über den Finanzmarkt und die zweifelhaften Machenschaften seiner Player. Doch das Fundament des "Sektors" (Michael Hudson) bzw. des "Syndikats" (Wolfgang Freisleben) wird dabei weitgehend ausgeblendet: das Geldsystem. Diese Lücke hat Joseph Huber gefüllt, der 1992–2012 den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Umweltsoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle inne hatte und seit vielen Jahren die Webseite Vollgeld.page "für Analyse und Reform des Geldsystems" betreibt. 2022 hat er das Buch "Zeitenwende des Geldsystems. Vom Bankengeld zum digitalen Zentralbankgeld" im Metropolis-Verlag publiziert.
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Der Titel "Zeitenwende" weckt Assoziationen mit der Apokalypse, doch dem Wissenschafter gelingt es, das Geldsystem wie es ist und wie es geworden ist sachlich zu beschreiben, diese Fakten einzuordnen, aber letztlich auch zu hinterfragen: Warum sind die Phänomene der Geldschöpfung, der Geldpolitik und nicht zuletzt des Finanzmarktes so wie sie sind und nicht anders?
Wie man der Intention der Vollgeld.page entnehmen kann, folgt Huber durchaus einer "Mission", und die privaten Banken haben allen Grund zur Panik, sollten Staaten und Zentralbanken den Empfehlungen des Geldexperten folgen, und damit aufhören, Banken zu retten. Banken werden nicht gerettet, weil das die Gesetze vorschreiben (d.h. im Umkehrschluss sind diese Rettungsmaßnahmen genau genommen gesetzeswidrig), sondern aus Angst vor einem Domino-Effekt, wohl wissend, dass das auf Geldstabilität ausgerichtet System ein labiles Kartenhaus ist. Jede Bank ist so gesehen eine Karte im Kartenhaus. Die Banken lassen sich zunächst von ihren Kreditnehmern ihr Risiko in Form von Zinsen bezahlen, sie predigen gerne die "Freiheit des Marktes" wenn sie Managerverträge abschließen und wenn sie ungeprüfte, neue Finanzprodukte unter beschönigenden Namen wie "Certificate" und "Securities" an den Mann und die Frau bringen; sie lassen sich aber gerne vom Staat "auffangen", wenn Liquiditätsprobleme auftreten und Überschuldung droht. Mit QE Quantitative Easing hat die EZB das bislang größte Auffangnetz in Europa gespannt. Aber das ist ein anderes Thema, denn es betrifft den Finanzmarkt.
Hier geht es um die Zeitenwende des Geldsystems, die beim "Publikum", also bei den "Normalverbrauchern", den einfachen Nutzern von Gehalts-, Pensions- und Geschäftskonten keine Panik auslösen muss, denn es ist nicht die erste Zeitenwende seit dem 17. Jahrhundert. Laut Huber gab es in der neuzeitlichen Entwicklung des Geldes bisher drei Tiden-Wechsel (wie Flut und Ebbe), der vierte setzt gerade ein. (77 ff)
1. 1660er bis 1840er: Aufstieg des Papiergeldes vs einsetzender Bedeutungsrückgang des Münzgeldes.
2. 1840er bis um 1910: Aufstieg der nationalen Zentralbanknoten vs Niedergang des unregulierten Papiergelds (herausgegeben von meist königlich oder fürstlich privilegierten Privatbanken).
3. Um 1880 bis um 2010: Aufstieg des Bankengeldss vs Niedergang des Bargelds.
4. Einsetzend mit den 2020ern: Aufstieg des digitalen Gelds, speziell als digitales Zentralbankgeld vs Rückgang des Bankengelds.
Aus der Geschichte lernen wir, dass alte Geldarten durch neue (vielleicht bessere, sicher aber effizientere) zwar verdrängt, aber nicht sofort oder gänzlich abgeschafft werden, wie das antiquierte Münzgeld beweist. Wir lernen auch: Geld ist nicht gleich Geld. Es gab in der Neuzeit immer mehrere Geldarten nebeneinander.. Huber gliedert die aktuell verwendeten Geldarten in drei Stufen: 1. Basisebene, 2. Stufe, 3. Stufe. Diese Gliederung beruht auf zwei Merkmalen: "Eines ist die technische Form (Münzen, Papiergeld, Buchgeld, Digitalgeld),. Das andere Merkmal sind die Herausgeber des betreffenden Geldes, zum Beispiel Finanzministerium (Münzen), Zentralbank (Noten und Reserven), Banken (Bankengeld / Kreditgeld), Geldmarktfonds, E-Geld-Institute, lokale oder andere Gemeinschaften (Komplementärwährungen)." (21)
1. Basisebene: Bargeld in Form von Münzen, Zentralbanknoten, Zentralbankreserven (Guthaben auf Zentralbankkonto) und (in Entwicklung) Digitales Zentralbankgeld CBDC (Central Bank Digital Currency).
"Von einer staatlichen Zentralbank herausgegebenes Geld - sei es Bargeld, Noten, Reserven oder CBDC - ist chartales Geld, hoheitliches Fiatgeld, Basisgeld, Vollgeld, unbeschränkt gültiges gesetzliches Zahlungsmittel. Das sind verschiedene Bezeichnungen für dieselbe Sache unter verschiedenen Aspekten bzw. in verschiedenen Diskurs- und Theoriekontexten. Was den Ausdruck gesetzliches Zahlungsmittel angeht, so bedeutet er nicht, dass solches Geld benutzt werden muss, wohl aber, dass die Andienung solchen Geldes vom zu Bezahlenden nicht abgelehnt werden darf. Heute allerdings nehmen viele Stellen Zahlungen in Bargeld nicht mehr an und bestehen darauf, bargeldlos mit Bankengeld bezahlt zu werden. [Anm. HTH: Bargeldzahlung ab einer gewissen Höhe wird sogar schon verboten!] Bankengeld ist nicht Basisgeld [=Vollgeld] und kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern ein privates Geldsurrogat zweiter Stufe." (25)
2. Stufe: Liquides Bankengeld und deaktiviertes Bankengeld (Spar- und Termineinlagen).
Bankengeld "läuft unter etlichen Bezeichnungen, darunter Giraldgeld (Girokonto-Guthaben), Buchgeld, Sichteinlagen/Sichtdepositen, täglich fällige bzw. laufend fällige Bankverbindlichkeiten gegenüber Nichtbanken-Kunden. [...] obwohl Bankengeld ein Ersatzmittel für das Vollgeld der Zentralbank darstellt, ist es dennoch zu einem allgemeinen, bei allen Akteuren und für alle Zwecke gebräuchlichen Zahlungsmittel, also zu Geld eigener Art geworden. Der Kontoeintrag der Bank erzeugt und ist dieses Geld. [...] Von da her wird Bankengeld, genau wie Zentralbankgeld, oft als 'Kreditgeld' bzw. 'Schuldgeld' bezeichnet. Als metaphorisches Kürzel ist das praktisch, allzu wörtlich genommen ist es irreführend. Der Kreditvertrag, das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis zum einen, und das Geld zum anderen sind zwei verschiedene Dinge." (27)
3. Stufe: Geldmarktfonds-Anteile, E-Geld, Stable-Coins, Komplementärwährungen, entstanden seit den 1970/80ern.
Diese neuen Geldarten "fußen ihrerseits auf Bankengeld. Sie werden auf unterschiedliche Weise 1:1 gegen Bankengeld und teils andere der neuen Geldarten herausgegeben. [...] Die Emittenten der neuartigen Zahlungsmittel sind in vielen Fällen sog. Fintechs, auch Bigtechs, IT-Firmen, Webfirmen, Zahlungsdienste, Finanzmakler ua. Sie sind keine herkömmlichen Banken, auch wenn sie, wie Geldmarktfonds, als eigenständige Kapitalanlage-Gesellschaften zu einer Bank gehören mögen. [...] Die neuen Geldemittenten zu den Schattenbanken zu zählen, ist teils zutreffend, teil nicht. Zutreffend, insofern diese Emittenten in gewisser Weise Depositen entgegennehmen und einen Geldservice erbringen, aber unzutreffend, weil die meisten Schattenbanken Finanzintermediäre sind (Kreditgeber, Kreditvermittler, institutionelle Investoren), die keine eigenen Zahlungsmittel herausgeben, sondern im Wesentlichen mit Bankengeld arbeiten." (32)
Die Frage "Was ist Geld?" stellt Huber nicht direkt, er untersucht aber akribisch, wie es in Umlauf kommt und wie es gedeckt (abgesichert, gewährleistet) wird, kurz: wie es funktioniert. Ausgeklammert bleibt dabei die Frage, wie Geld zum Machtfaktor wird und von wem es für Machtzwecke eingesetzt wird. Das ist kein Defizit dieses Buches, weil es dazu bereits genügend Literatur gibt (u.a. Michael Hudson: Der Sektor, Wolfgang Freisleben: Das Amerika-Syndikat, Neil Irwin: Die Alchemisten, George Soros: Die Alchemie der Finanzen, Christina von Braun: Der Preis des Geldes). Die folgenden Auszüge aus dem Buch "Zeitenwende" sind ein Beitrag zum besseren Verständnis des Geldes selbst, des Geldes als Fundament der Realwirtschaft (Produktion, Dienstleistung) ebenso wie der Irrealwirtschaft (Finanzindustrie), insbesondere zu folgenden Themen: 1. Geldschöpfung, 2. Geldmarkt, 3. Geldpolitik.
1. Geldschöpfung (Schöpfung von Vollgeld und von Geldsurrogaten)
Das von den Banken geschaffene Giralgeld ist dominantes Geld, aber kein Basisgeld. Geld (Zahlungsmittel) unterscheidet sich von Währung (meist national festgelegte Recheneinheit). Laut Dominant Currency Paradigma ist der US-Dollar die dominante internationale Währung, laut Huber ist das Bankengeld die derzeit dominante Geldart, die im Kreislauf der Realwirtschaft kursiert aber auch von den Schattenbanken (die es nicht selbst schöpfen können) verwendet wird.
Der Begriff Basisgeld suggeriert "den Vorrang und die Vormacht des Zentralbankgelds gegenüber dem Bankengeld. Das ist in gewissem Sinn immer noch zutreffend, aber zugleich auch weitgehend irreführend geworden. [...] Im Rahmen des doppelten Geldkreislaufs (Interbankenumlauf mittels Zentralbankreserven, Publikumsumlauf mittels Bankengeld) bedeutet Ausstellung von Bankkredit Schöpfung von Bankengeld, und die bestimmende Initiative dazu geht von den Banken aus. Das heißt nichts anderes, als dass die Banken das Geldwesen und seine Ereignisdynamik bestimmen. Das Gesetz des Handelns liegt bei den Banken, nicht bei der Zentralbank, wie allgemein unterstellt wird. Es ist wörtlich zu nehmen, dass die Zentralbanken die Banken re-finanzieren, re-aktiv, im nachgehenden Vollzug der Tatsachen, welche die Banken pro-aktiv geschaffen haben. Es gibt keine Vor-Finanzierung der Banken durch die Zentralbanken" (45 f).
"Das Bankengeld entsteht nicht durch Multiplikation des Zentralbankgeldes, sondern das Zentralbankgeld, genau umgekehrt, stellt eine Folgemenge, eine Art untermenge des Bankengelds dar." (47)
"Der starke Rückgang der operativ benötigten Reservenbasis ermöglichte den Aufstieg des Bankengeldes von 20% noch im 19. Jhd. auf das heutige Niveau von 90-98%" (49).
"Fest steht, ohne Rechtsstaat hat Freiheit keinen Bestand, zumal keine freie Marktwirtschaft, und auch kein frei geschöpftes Privatgeld, wenn der Staat es im Ernstfall nicht garantiert und sich dafür verbürgt" (26).
Geldschöpfung durch Kryptowährungen (Bitcoin verwendet dafür den Begriff "Mining") spielt in der Untersuchung von Huber nur am Rande mit. Kryptowährungen könnten technisch zu Konkurrenz von Basisgeld, insbesondere CBDC, werden, sind praktisch aber eher Wertpapiere (hochriskantes, hochvolatiles Anlageprodukt) als Geld (Zahlungsmittel). Huber prognostiziert den aktuell über 8.000 Kryptowährungen eine Konsolidierungsphase, aber insgesamt keine große Zukunft, zumal die Zukunft seiner Ansicht nach im gedeckten, digitalen Vollgeld und nicht in ungedeckten Geldarten liegt. [Anm. HTH: Dass die Blockchain-Technologie ein "absolut sicheres Zahlungssystem" sei, war von Anfang an eine Illusion von Technikern, die ihre Entwicklung als geschlossenes System konzipiert haben. Sobald das System geöffnet wird, bricht es zusammen, wie zahlreiche Betrugsfälle von und über Kryptobörsen belegen. Zuletzt wurde Sam Bankman-Fried, Gründer der Kryprowährungsbörse FTX, ehemals "als Visionär der Kryptowährungen gefeiert" in den USA als Betrüger verurteilt. (ORF.at 3.11.2023)]
2. Geldmarkt (Währungen, Banken, Schattenbanken)
Die Hemisphären der Finanzwirtschaft sind BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen: "Geld, das nicht in die Realwirtschaft fließt, ist realwirtschaftlich nicht mengen- und preiswirksam, hat also keine direkten Auswirkungen auf die realwirtschaftliche Inflation der Erzeuger- und Verbraucherpreise. Geld, das in die Finanzwirtschaft fließt, beeinflusst die Vermögenspreis sowie die Mengenausweitung von Finanzmarkt-Angeboten, die sog. Assetinflation. Sicherlich ist ein Teil des Geldmengenzuwachses in die Verbraucherpreisinflation (VPI) geflossen. Soweit es sich aber um Beiträge zur Finanzierung des realwirtschaftlichen Wachstums gehandelt hat, sind diese im Zuwachs des nominalen BIP bereits abgebildet. Das BIP-überschießende Wachstum der Geldmengen diente folglich der Ausweitung der Nicht-BIP-Finanzen. Diese wirken assetinflationär, nicht aber verbraucherpreisinflationär. Dies ist die andere Seite der Globalisierung - Finanzialisierung i.S. einer massiven BIP-überpropartionalen Ausweitung er Nicht-BIP-Finanzen." (58)
Das gabler-bankenlexikon.de definiert Finanzialisierung als "tatsächliche oder empfundene Tendenz eines (kapitalistischen) Systems hin zu einer zunehmenden Bedeutung bzw. Dominanz des Finanzsektors gegenüber anderen Bereichen dieses Systems (engl. Financialisation)". Und auch für Schattenbanken findet sich in dem Lexikon eine Definition: "Schattenbanken bezeichnen Akteure auf Finanzmärkten, die bankähnliche Funktionen wahrnehmen, aber nicht der gesetzlich kodifizierten Definition einer Bank entsprechen und somit auch nicht der Regulierung für Kreditinstitute unterliegen."
Dieser Hinweis soll an der Stelle genügen, da Nicht-Ökonomen aus der Alltagssprache ableiten könnten, dass Schattenbanken kriminelle Organisationen seien. Der Autor Wolfgang Freisleben schreibt 2017 den Begriff "Schattenbanken" (in "Das Amerika-Syndikat") noch durchwegs in Anführungszeichen. Fünf Jahre später (Joseph Huber, 2022) war der Begriff offenbar bereits anerkannt und das Phänomen institutionalisiert. Ob durch die Eigendynamik der Wirtschaftswissenschaften oder durch die faktische Macht der Schattenbanken, bleibt dahingestellt.
Die Asset-Inflation (Inflation strukturierter Finanzprodukte) wird vorwiegend von den Schattenbanken und deren Finanzprodukte vorangetrieben. Überangebot an Geld und Fremdkapital führt zu immer niedrigeren Zinsen und diese wiederum "zu einem immer ausgedehnteren Angebot an Geld und Kapital. Das eine geht mit dem anderen Hand in Hand, und es speist zunächst Finanzialisierung und Assetinflation in Form von sich übersteigernden Finanzzyklen (Aktien, Derivate, Immobilien), daneben und später verstärkt auch realwirtschaftliche Inflation." (53)
3. Geldpolitik (Geldstabilität und Deckung bzw Bürgschaft)
"Die Steuerung der Geldmenge durch vorgegebene Reservepositionen (reserve position doctrine) scheiterte regelmäßig an den monetären Realitäten, noch offenkundiger als die heute im Vordergrund stehende und ebenfalls wenig erfolgreichen Versuche einer Steuerung der Kredit- und Schuldenvolumina bzw. der Geldmengen durch Zentralbankzinsen." (47)
"Je weiter Bargeld und Reserven im Verhältnis zum Bankengeld abgenommen haben, desto schwächer ist die konventionelle Geldpolitik geworden. [...] Was die Reserven angeht, so benötigt der Bankensektor im Euroraum eine Basis an Zentralbankgeld in Höhe von nur 2,5-3% des Bankengelds." (48)
"Mit dem Niedergang des operativ benötigten Zentralbankgelds ist dieses Instrument [der Mindestreserve] weitgehend unwirksam geworden, falls im Rahmen fraktionalen Reservebankging überhaupt jemals eine sonderliche Wirkung davon ausging. [...] Vor diesem Hintergrund hat man die Mindestreserve-Anforderungen in den Ländern des Britisch Commonwealth abgeschafft. In der Eurozone und den USA dagegen wird weiterhin eine Mindestreserve formal aufrechterhalten." (49)
"Die Instabilität und Krisenanfälligkeit des Banken- und Finanzsystems wurde in den zurückliegenden Jahren intensiv untersucht und diskutiert. Ökonomen sind sich selten einig. Dass aber Finanzkrisen ursächlich mit überschießender Kredit- und Schuldenentwicklung zu tun haben, darin ist man sich im Prinzip schon einig. Lange verkannt wurde jedoch, dass hinter der überschießenden Kredit- und Schuldenentwicklung ein außer Kontrolle geratenes Geldsystem steht." (51)
"Nach einer viel zitierten Studie des IWF kam es in der Zeit von 1970 bis 2007 weltweit zu 425 nationalen und internationalen Finanzkrisen - davon 145 systemische Bankenkrisen, 72 Staatsschuldenkrisen und 208 Währungskrisen. [...] Das Nichtwissen bezüglich stabilitätswahrender Grenzen der monetären Absorptionsfähigkeit und finanziellen Tragekapazität einer Wirtschaft ist eine folgenreiche Wissenslücke, nicht zuletzt für die Geldpolitik und Finanzmarktpolitik der Zentralbanken und Regierungen." (69)
"Bankengeld als para-staatliches Fiatgeld [...] zu sichern, ist ein vergebliches Unterfangen. [...] Die verbreitete Annahme, das Bankengeld befinde sich unter Kontrolle und Führung der Zentralbanken, hat etwas Tragikomisches. Wird doch das heutige Giraldgeldregime maßgeblich von den Banken bestimmt." (76)
"Die Geldpolitik der zurückliegenden Jahrzehnte hat einfach die Geldnachfrage bedient, welche die Banken an sie richten, [...] Diese Art einseitig erfüllender Geldmengenpolitik im Rahmen fraktionalen Reservebankings wurde 'akkomodierend' genannt. Akkomodierende Geldpolitik ist die unausgesprochene Grundregel der Geldpolitik der zurückliegenden Jahrzehnte nach Fallenlassen des Monetarismus. Ein ehemaliger Nationalbankpräsident sagte einmal in entwaffnender Ehrlichkeit, wenn es kein dominantes Bankgengeldregime mehr gäbe, sondern ein Vollgeldregime, in dem Zentralbankgeld das alleinige oder dominante Geld wäre, wüsste er gar nicht, was er da geldpolitisch überhaupt tun solle." (177)
Systemische Fragen
"Die Maßnahmen unkonventioneller Krisenpolitik der Zentralbanken haben die Funktionsprobleme des Giraldgeldregimes nicht behoben. Immerhin jedoch wurde ein Zusammenbruch es Systems verhindert und es wurde Zeit gewonnen." (53) Joseph Huber hofft, dass die Zentralbanken die gewonnene Zeit für die Einführung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) nutzen werden, die bereits "erfreulich an Fahrt gewonnen" habe. "133 Zentralbanken der 190 IWF-Mitgliedstaaten sind mittlerweile auf den anfahrenden Zug aufgesprungen." (104)
Während die erste Hälfte seines Buches vorwiegend der Bestandsaufnahme und Analyse gewidmet ist, versucht Huber im zweiten Teil die Designprinzipien des künftigen Zentralbankgeldes darzustellen. Da EZB u.a. Zentralbanken noch wenige Details dazu bekannt gegeben haben, finden sich hier viele Konzepte und Prognosen, die von der Idee getragen sind, dass sich die Zentralbanken mit CBDC die Geldhoheit zurückholen können.
Hubers Untersuchung des Geldsystems ist in guter Tradition wissenschaftlich: Phänomene sachlich beschreibend und analysierend aber nicht wertend (oder gar, wie heute üblich, diffamierend). Dazwischen stellt er aber doch immer wieder sehr kritische, systemische Fragen. Man könnte auch sagen: er stellt das System, das er untersucht, als Vertreter eines Vollgeld-Konzeptes durchaus radikal in Frage. Diese Fragen sollen vorab vorgetragen werden, um sein Konzept über das Zentralbankgeld zu verstehen.
"Es fragt sich, warum Finanzmärkte, statt sich wiederkehrend zu übersteigern, nicht von sich aus zu einem selbstbegrenzenden Gleichgewicht finden. Der vorherrschenden Lehre zufolge sollten sie das eigentlich." (67)
"Wenn das inhärent unsichere und in seinem Bestand gefährdete Bankengeld samt Banken und nun auch Schattenbanken immer wieder von Zentralbanken und Regierung gerettet werden muss, stellt sich doch die Frage, warum man diese missliche Situation immer wieder billigend in Kauf nimmt, statt der Allgemeinheit ein bestandsicheres unbares Zentralbankgeld (Vollgeld) zur Verfügung zu stellen." (76)
"Angesichts des Regierbarkeitsproblems des dreistufigen gemischten Geldsystems, seiner Instabilität und Krisenneigung und der Tatsache, dass es im Krisenfall letztlich doch immer wieder der Staat ist, der für das Bankengeld bürgt und Banken und Schattenbanken rettet, stellt sich nachdrücklich die Frage, warum man private Geldsurrogate überhaupt duldet und wofür das inzwischen geradezu kunterbunte Mischgeldsystem gut sein soll." (127)
Kapital vs Geld: "CBDC ist geeignet, das Schadenspotenzial von Bankruns zu begrenzen. Bleibt erneut die Frage, warum man meint, sich diese Problem überhaupt zumuten zu müssen. Kapitalanlagen werden nie ganz sicher sein. Man soll das auch nicht wollen. Kapital trägt Zins, Dividende, andere Rendite oder Wertzuwachs, dafür aber immer auch ein gewisses Risiko. Das Geld aber, als fundamentales Instrument der Finanz- und Realwirtschaft, sollte solchen Risiken nicht unterliegen. Geld muss möglichst wertstabil und vor allem in seinem Bestand unbedingt sicher sein." (154)
Zentralbankgeld CBDC
"Es geht um die Restitution der staatlichen Währungs- und Geldhoheit als einer Prärogative von Verfassungsrang." (101)
"In der Frage, ob es ein staatliches Geldmonopol geben soll, als folgerichtiger Teil der staatlichen Währungshoheit, oder ob auch privates Geld in Ordnung sei, bestehen seit über 300 Jahren kontroverse Lehrmeinungen, selbst innerhalb einzelner Theorierichtungen." (125)
"Die Kontrolle über die Geldschöpfung, nicht Geldverwendung, ist eine Prärogative von Verfassungsrang." (126)
"Eine stimmige Realisierung der staatlichen Währungs- und Geldhoheit beinhaltet ein Geldmonopol der Zentralbank, denn, um es nochmals zu sagen: ein nationales Währungsmonopol ohne Geldhoheit ist eine leere Hülle." (128)
Basierend auf diesen Leitsätzen entwickelt Huber relativ ausgereifte "CBDC Design-Prinzipien", die wir hier nicht im Detail ausführen. Zum Verständnis reicht es aus, die Grundprinzipien zu erläutern.
1. Zentralbankgeld ist Vollgeld, alle anderen Geldarten sind Surrogate.
2. Zentralbankgeld ist theoretisch via Tocken (digitale Schlüssel) zugänglich für alle. Es ist quasi digitales Bargeld (man kann wie mit Bargeld Peer to Peer bezahlen) und wird naturgemäß à la longue Bargeld ersetzen.
3. Zentralbankgeld ist digital, d.h. programmierbar. Im Unterschied von Bankengeld, das dem Wesen nach Buchgeld geblieben ist, auch wenn alle Transaktionen (außer Bargeld-Abhebungen) digital über Server laufen.
Die Programmierbarkeit ist wohl die größte Problemzone, nicht a priori ein Vorteil. Wie erste Berichte nach Einführung des E-Yuan melden, könne damit das soziale Verhalten der Bürger gesteuert werden, siehe Deutsche Wirtschaftsnachrichten: "Digitales Sozialkredit-System und Corona: Wer sich in China nicht regierungskonform verhält, wird ausgeschlossen". Es ist natürlich eine zentrale Frage, nach welchen Regeln CBDC programmiert wird und vor allem, wer diese Regeln festlegt und kontrolliert. Die Beantwortung dieser Fragen ist die vorläufig einzige Lücke, die man dem Buch von Joseph Huber vorhalten kann. Andeutungen dazu liefert Huber mit dem Hinweis, dass die demokratische Dreiteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative künftig eine vierte Gewalt brauche: die Monetative.
Wenn Huber aus den historischen "Tidenwechseln" ableitet, der Wechsel zum Zentralbanksystem liege in der "Logik der Geschichte", so ist diese Annahme vielleicht zu optimistisch. Dagegen spricht nämlich die "Logik der Macht". Mit Huber möchte man gerne daran glauben, dass sich die Zentralbanken mit CBDC die Geldhoheit zurückholen können. Allein die Frage lautet, ob sie das auch wollen! Nach Lektüre von Hudson und Co. fällt es schwer zu glauben, dass die Profiteure der Finanzindustrie zugunsten eines stabileren Systems auf ihre Pfründe, Privilegien und exorbitanten Profite verzichten werden.
Weiterführende Literatur:
Michael Hudson: Der Sektor. Warum die Globale Finanzwirtschaft uns zerstört.
Michael Hudson: Finanzimperialismus. Die USA und ihre Stratgie des globalen Kapialismus.
Wolfgang Freisleben: Das Amerika-Syndikat.Wie die soveränen Staaten Europas zur Kolonie der USA verkommen.
Norbert Häring: Endspiel des Kapitalismus. Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen.
Thilo Bodo: Die Diktatur der Konzerne. Wie globale Konzerne uns schaden und die Demokratie zerstören.
Neil Irwin: Die Alchemisten. Die geheime Welt der Zentralbanker
George Soros: Die Alchemie der Finanzen
Joseph Stiglitz: Europa spart sich kaputt. Warum die Krisenpolitik gescheitert ist und der Euro einen Neustart braucht.
Schulak/Unterköfler: Die Wiener Schulde der Nationalökonomie. Eine Geschichte ihrer Ideen, Vertreter und Institutionen
Christina von Braun: Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte
Vajda Stefan, FELIX AUSTRIA. Auszüge aus dem Buch zum Thema "Geld regiert die Welt"