Hrytsak Yaroslav: Ukraine - Verschwörungstheorie

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VERSCHWöRUNGSTHEORIE / Conspiracy Theory

A (Prämisse 1)

Hrytsak deutet den Einfluss Amerikas auf die politische Entwicklung der Ukraine an, lässt diesen aber im Dunkeln, mehr noch: er bemüht sich, diesen zu verdunkeln.

Die „Entdeckung“ Amerikas und die „Entdeckung“ der Ukraine sind keine zufällig parallel laufenden Ereignisse, sondern nach Ansicht von Hrytsak ineinander verflochten. Angesichts dieser Grundthese ist es verwunderlich, dass Spitzen der US-Regierungen gar nicht oder nur in Nebensätzen erwähnt werden, so wie die Präsidenten John F. Kennedy, George H.W. Bush und Barack Obama. Lediglich ein Präsident leistete einen nennenswerten Beitrag - Woodrow Wilson: „Gegen Kriegsende verkündeten sowohl der amerikanische Präsident Woodrow Wilson als auch der russische Bolschewikenführer Wladimir Lenin – die Führer zweier Großmächte, deren Stimmen eine übergroße Rolle für das Schicksal Europas spielten – das Selbstbestimmungsrecht der Nationen als eines der Kernprinzipien der Nachkriegsordnung.“ Beachtenswert: Lenin und Wilson stehen in ihrer weltpolitischen Bedeutung auf einer Stufe!

Die Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste kommen überhaupt nicht in der Erzählung von Hrytsak vor. Lediglich der CIA wird beiläufig mit seiner Prognose aus dem Jahr 1993 zitiert, „dass die Ukraine auf einen Bürgerkrieg zusteure, mit dem verglichen die damaligen Jugoslawienkriege wie ein harmloser Parkspaziergang erscheinen würden.“ (430) Welche Beiträge die Agenten des CIA leisteten, um die „Orangene Revolution“ zu schüren, lässt Hrytsak offen. Da man davon ausgehen muss, dass ihm darüber Informationen vorliegen, folgt daraus, dass er diese absichtlich vertuscht. Als Ablenkungsmanöver folgt der Hinweis „Die russischen Politikberater nutzten die Ukraine als Übungsfeld. Dort konnten sie die Pläne ausprobieren, die sich später in den russischen Wahlen verwenden ließen.“ (435)

Eine Verschwörung ist im Gange, das steht außer Streit; aus Sicht von Hrytsak geplant und durchgeführt von Russland: „Putin und seine Gefolgsleute machen kein Hehl daraus, dass sie entschlossen sind, die Ukraine von der politischen Landkarte zu tilgen. Aber Putin kann nicht alle Ukrainer umbringen. Er will deshalb die aktivsten Teile der Gesellschaft töten, also all jene, ohne die das Land keine Nation mehr sein kann, sondern nur noch von schweigenden Untertanen bewohnt sein wird. Ein weiterer Teil des Völkermordplans sieht vor, die Ukraine unbewohnbar zu machen.“ (452)

B (Prämisse 2)

Ganz offen erklärt der Historiker, dass Gewalt essenzieller Bestandteil zur Entfaltung der Ukraine als Nation ist. Pogrome gehören fast schon zur „guten Tradition“ des Landes.

„Der Krieg [Anm: 1. Weltkrieg] modernisierte die Bauernschaft und aktivierte ihr nationales Selbstbewusstsein. Als Bauernsoldaten von der Front zurückkehrten, waren sie völlig andere Menschen.“ (226)

„Keine Regierung konnte sich in den ukrainischen Gebieten des früheren Russischen Reiches länger als sechs Monate halten. Die ständigen Regimewechsel führten zum vollständigen Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols. Alle seiten machten von Gewalt Gebrauch, und jede Seite war Opfer und Täter zugleich. Die Hauptopfer jedoch waren die Juden.“ (240 f)

„Was die ukrainischen Sozialisten als ‚das Volk‘ bezeichneten, wurde in Krisenzeiten schnell zu einem ungebändigten Mob. Und von einem Mob ist schließlich nichts anderes als Lynchjustiz zu erwarten.“ (244)

„Von 1917 bis 1919 besetzten die Bauern fast alle Ländereien der Großgrundbesitzer und teilten sie unter sich auf. Sie waren sich allerdings im Klaren darüber, dass die Besitzergreifung illegal war. Deshalb benötigten sie eine Regierung, die bereit war, diesen ‚gerechtfertigten‘ Landraub zu legalisieren.“ (250)

„Die Kollaborationsbereitschaft vieler Ukrainer und vor allem auch die Beteiligung der ukrainischen Polizei am Holocaust gehören zu den schändlichsten Kapiteln des Geschichtsbuchs der Ukraine.“ (313)

„Als der Krieg [Anm. 2. Weltkrieg] endete, drehte sich das Rad der Gewalt immer schneller.“ (329)

„Machnos Armee [verübte] keine antijüdischen Pogrome. Stattdessen griffen seine Truppen deutsche Siedler an und ermordeten sie. […] „Ohne Ausnahme verübten alle lokalen Truppen Pogrome.“ (332)

„Die Ukraine wurde zu einem Experimentierfeld für die Vernichtung der Juden.“ (337)

„Die Gewalt bauschte sich auf, bis sie ein extremes Ausmaß erreichte und keine Gruppe mehr verschont blieb. In jeder ethnischen, gesellschaftlichen oder Berufsgruppe gab es sowohl Täter als auch Opfer.“ (342)

„Natürlich kann sich eine Nation nicht ausschließlich auf ihrer Opferrolle gründen. Aber es kommt auch keine Nation ohne einen Heldenmythos aus, vor allem nicht in Zeiten größter Umwälzungen oder wenn sie sich gegen einen externen Aggressor zur Wehr setzen muss. Genau das ist die Situation der heutigen Ukraine.“ (346)

Wie die Geschichte zeigt, haben Ukrainer keine Hemmungen zu töten. Die Geschichte wiederholt sich. Diesmal schickt Selenskij junge Ukrainer in den Krieg, in den Stellvertreterkrieg und in den Bürgerkrieg, gut getarnt als Abwehr eines Angriffskrieges.

C (Conlusio)

Der Angriff der Russen am 24. Februar 2022 kam den Herrschern der Ukraine nicht nur sehr gelegen, sondern wurde von diesen (und ihren Hintermännern in Amerika), selbst angezettelt. Nur mit einem Krieg konnte die Ukraine beweisen: „sie kämpft nicht nur um die eigene Zukunft, sondern um die Zukunft der Welt. Der russisch-ukrainische Krieg ist ein Wendepunkt der Weltgeschichte.“ (451)

Jedes Heldenepos lebt von der Überwindung eines Feindes. Das beweist David gegen Goliath ebenso wie Harry Potter: „Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Stories wahr oder fiktiv sind. Wichtig ist nur, dass sie uns daran erinnern, dass der Teufel – ob in der Bibel oder in der Geschichte - eine erbärmliche Gestalt ist. Er mag zerstören, versklaven oder korrumpieren können, aber er kann nicht siegen.“ (455)

Der größte Feind der Ukraine war und ist die innere Korruption, wie Hrytsak bestätigt: „Die Korruption nahm derartige Dimensionen an, dass sie zu einer der Hauptsäulen der staatlichen Macht zu werden schien: Sie zu beseitigen, würde den Staat zusammenbrechen lassen. So konnten systemische Korruption, Missbrauch des Justizsystems und inoffizielle Zensur tiefe Wurzeln schlagen.“ (433)

Doch diesen Feind konnten die Ukrainer nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 drei Jahrzehnte lang – trotz oranger Revolutionen - nicht aus eigener Kraft überwinden. Dieser Feind hat die Bevölkerung des Landes nach der Öffnung der Grenzen dezimiert – ausnahmsweise nicht durch Pogrome, sondern „nur“ durch millionenfachen Exodus. Erst der „Feind von außen“ konnte innere Kräfte mobilisieren und die Nation vereinigen – mit Ausnahme weiterer Millionen unschuldiger Menschen, die zu Opfern der Bomben und zu Kriegsflüchtlingen wurden. Diese Opfer dienen einer höheren, guten Sache: dem Weltfrieden und der Weltordnung von Amerikas Gnaden.

„Der derzeitige russisch-ukrainische Krieg verlangt der Ukraine größte Opfer ab, aber er wird auch viele Helden hervorbringen, einschließlich – oder vor allem – Menschen, die sich für andere opfern.“ (347) Bemerkenswert ist, dass der Autor hier nicht, wie im „Westen“ üblich, von „Angriffskrieg“ spricht. Hrytsak bestätigt hier einmal mehr: Heldenmythos und Opfermythos sind zwei Seiten einer Medaille.

Hrytsak erklärt pathetisch, warum die Ukraine den aktuellen Krieg mit Russland so dringend benötigte: „Vor dem Hintergrund ihres Status als geopolitisch wichtiges, aber verletzliches Grenzland, dem historischen Erbe des östlichen Christentums, des russischen Kaiserreiches und des Kommunismus ist der Pfad der Ukraine ins ‚Königreich der Freiheit‘ besonders schwierig und verschlungen. Vor dem Krieg bewegte sich das Land langsam, aber stetig auf diesem Pfad voran. Doch ein Krieg ist ein großer Zeitbeschleuniger. Er verkürzt jene letzte Meile auf wenige Meter. […] Für die Ukraine kann die Frage nicht lauten, ob sie siegt, sondern wann.“ (454) Und mit den Worten des Nationaldichters Taras Schewtschenko ruft der den Ukrainern zu: „Kämpft, dann werdet ihr siegen!“ (455)

Der Autor schließt sein Buch mit einem verschachtelten Bekenntnis: „Letzten Endes hängen wir von den Geschichten ab, die wir einander erzählen. Ich hoffe, dass diese Erzählung der ukrainischen Geschichte unseren Glauben daran stärken wird, dass Fortschritt zwar ohne Katastrophen unmöglich sein mag, aber auch trotz aller Katastrophen möglich ist.“ (45)