Ästhetik in Theorie und Praxis

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Anwendung der Ästhetik in der Politik

Von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen zur Ästhetik der lebendigen Natur

Nadim Sradj, Regensburg

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das ist der erste Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1949. Diese Formulierung resultiert aus den Erfahrungen der Deutschen mit den geschichtlichen Geschehnissen im 3. Reich Würde beinhaltet grundsätzlich wertvolle Eigenschaften, die jedem Menschen zugeschrieben werden, wie beispielsweise; der Mensch als vernunftbegabtes Wesen.

Wir vertreten die These der integralen Einheit von Mensch, Tier und Pflanze in der Welt. Daher stellt sich die Frage, ob nicht auch Tiere oder Pflanzen eine Würde haben können und worin diese besteht?

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Beobachten wir ein Tier, wie es sich in der freien Natur bewegt, so stellen wir fest, dass dies mit einer gewissen Anmut geschieht, die beeindruckend und zum Teil respekteinflößend auf den Betrachter wirkt. Gleiches gilt für Pflanzen, wie beispielsweise für einen alten Baum in der Landschaft, der seine Großartigkeit in Farbe und Form entfaltet oder eine Blüte, die durch ihre Farbintensität wirkt. Auch das ist eine Form von Würde, die nicht angetastet werden darf. Dies widerspricht den tradierten Auffassungen, in denen der Mensch über allem steht und alles in der Natur beherrschen soll.

Die Natur ist das Ursprüngliche, das Primäre, der Mensch ist das Sekundäre

Die logische Konsequenz hieraus ist die Forderung nach einer Erweiterung des Artikel 1 der deutschen Verfassung: von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen hin zur Würde des LEBENDIGEN auch des Tieres und der Pflanze. Dies bedeutet einen qualitativen Sprung von der Ethik in die Ebene der Ästhetik. .

Ästhetik hat zwei Bedeutungen:

1. Der griechische Ursprung des Wortes bedeutet: sinnesphysiologische Empfindung, Sensibilität, Wahrnehmung und Gefühl für die Frühsignale der Natur.

2. Würdigung der Schönheit, deren Vollkommenheit in der Natur liegt.

Die Verabsolutierung der Menschenwürde ist Ausdruck, einer Haltung, die den menschlichen Geist über der Natur stellt. Ihre Grundlagen befinden sich in der positiven anthropologischen Philosophie und Theologie. Auf dieser Basis steht das Deutsche Grundgesetz. In der heutigen Philosophie beobachten wir jedoch zunehmend einen universellen Bewusstseinswandel dahingehend, dass nicht der Geist über die Natur dominiert, sondern die Natur über den Geist. Angesichts der realen Gefahr durch die atomare Bedrohung, die zur irreversiblen Vernichtung alles Lebendigen führen kann, ist dies eine logische Konsequenz.

Der griechische Sophist Protagoras war der Auffassung, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Emanuel Kant glaubte sogar der menschliche Verstand könne der Natur ihre Gesetze vorschreiben. Das führte zu dem Glauben, der Wissenschaftler sei in der Lage, sich außerhalb der Natur zu stellen, also zur zu einer Mechanisierung des Weltbildes, wonach alles vom Menschen beherrschbar sei.

Im deutschen, absoluten Idealismus Hegels wird die Natur als Raum betrachtet, mit den Eigenschaften Passivität, Statik, eine Geo-Metrie des Nicht-Lebendigen. Hegel spricht vom Raum als ausgedehnte Materie, Descartes von res extensa. Die Zeit wird dem gegenüber als Geist betrachtet, dessen Eigenschaften die Aktivität und die Dynamik sind. In der historischen Zeit gilt die Vergangenheit als Grundlage der Zukunft, die berechenbar und manipulierbar ist. Demgegenüber erstrebt die politische Ästhetik die Verteidigung des Lebens, des Lebendigen und der stringenten Einheit von Mensch Tier und Pflanze.

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In der Weltpolitik beobachten wir derzeit zwei Bewegungen, deren Richtung und Geschwindigkeit unterschiedlich verlaufen:

a) die Kriegsforschung, deren fortschrittliche Technologie ungeheure Zerstörungskraft hat. Die Militärforschung entwickelt Raketen mit hochexakter, interkontinentaler Zielsicherheit. Die Atomwaffen sind eine direkte Bedrohung alles Lebendigen.

b) die Friedensforschung hat nicht die Stufe der Anerkennung und der Zustimmung erreicht, ihre Entwicklung bleibt statisch, während die Militärforschung revolutionär und progressiv ist. Es besteht ein offensichtliches Ungleichgewicht der Paradigmen.

Die Theologie hat den Menschen als Ebenbild Gottes stark aufgewertet. Dies gipfelt in der biblischen Aussage „Macht euch die Erde Untertan“. Die Allianz zwischen Theologie und Philosophie dogmatisiert den Anspruch der Unantastbarkeit. Sie wird zur Selbstverständlichkeit.

Umweltprobleme entarten in Umweltkatastrophen. Die einseitige Verabsolutierung der Staatsstrategie und deren Paradigmen als Zielrichtung, das bedeutet Ökonomie und Technologie vor Ökologie und Biologie, haben dazu geführt, dass der Mensch diese Gefahr lange Zeit ignoriert hat. Der amerikanische Politiker Al Gore warnte vor vielen Jahren vor der Fehlentwicklung der Umweltpolitik in den USA und meinte: „Die Natur ist krank, sie braucht dringend einen Arzt.“ Leider wird diese Warnung bis heute nicht ernst genommen. Die Corona-Epidemie schockiert die Entscheidungsträger; sie sind dieser Herausforderung der Natur gegenüber immer noch machtlos.

Ästhetik in der Politik sensibilisiert die Wahrnehmung der Signale des Zeitgeistes und des Klimawandels, welche auch die Existenz von Tier und Pflanze in irreversibler Art und Weise bedrohen. Unsere sinnesphysiologisch und sinnespathologisch begründete Ästhetik deckt auf, ob die Reiz-Reaktion-Beziehung der Empfindungen adäquat oder inadäquat ist, d.h. ob sie sinnvoll oder sinnlos ist, einsichtig oder nicht. Der Maßstab des Politischen ist nicht die Macht, sondern der Wert – ein neues Paradigma.

In diesem Zusammenhang erscheint die Ästhetik als Teil der praktischen Philosophie, wobei die Natur als unbewusster Geist autonom ist und kein „Selbstbedienungsladen“.

Die Ästhetik der Macht als empfundene und unverzichtbare Energie kann als ein notwendiges Übel betrachtet werden. Karl Popper bezeichnete den Staat als „notwendiges Übel“. Macht ist vergleichbar mit einem Medikament dessen Nebenwirkung unvermeidbar ist. Sobald die Macht als Willkür verstanden wird und das Bewusstsein des Machthabers verändert, ist sie wie Opium. Es stellt sich die Frage, ob der Herrscher in diesem Zustand die Welt wahr- oder falschnimmt. Macht wirkt dann wie eine Droge, sie narkotisiert und macht empfindungslos oder stumpfsinnig. Das bedeutet: zu viel Macht kann zum An-Ästhetikum werden. Das Verhalten des Machthabers wird unangemessen, und er verliert seine Rationalität und seine Glaubwürdigkeit. Er verschläft und ignoriert sozialpsychologische Prozesse und Ereignisse. Der Sinn für das Schöne und Wertvolle wird zerstört, Die Anti-Ästhetik zeigt sich in der Vernichtung von Weltkulturerbe, wie Palmyra in Syrien und Bamiyan in Afghanistan. Diese Fehlentwicklung führt vom Kulturdialog über Kulturkampf bis zum Kulturkrieg.

Die Philosophie des Lebendigen beschreibt Prinzipien der Anpassung und der Evolution und Mutation von Mensch, Tier und Pflanze. Die Dynamik solcher Veränderungen ist am Beispiel der Coronaviren und ihrer Mutationen deutlich erkennbar. In vielen Bereichen der Natur sind derartige Selbstorganisationsprozesse im Gange, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen. Dass und wie Tiere und auch Pflanzen miteinander kommunizieren, sind Beispiele hierfür.

Die politische Ästhetik auf der Grundlage der Sinnesphysiologie und der Sinnespathologie verfeinert die Sensibilität für solche subtilen Veränderungen innerhalb der lebendigen Natur.

Das Postulat der Unantastbarkeit der Würde des Menschen als ethisches Ideal ist richtig und notwendig, aber nicht hinreichend. Tiere und Pflanzen haben ebenfalls eine Würde, die erkannt und respektiert werden muss.

Literaturhinweis:

Sradj N.: Sinnesphysiologische Ästhetik und ihre Bedeutung für die Politik, Regensburg 2020

Sradj, N.: Ästhetik und ihre Bedeutung für die internationale Politik, Regensburg 2022

Kojev, A.: Hegel, Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, Surkamp 1975 S. 125

Popper, Karl: Conjectures and refutations, the growth of scientific knowledge, 1963

Siehe auch: Wirtschaftsästhetik