A. Nationalrat
Artikel 24 Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus. [Anmerkung HTH: einer der wenigen Artikel, der eine klare und eindeutige Aussage trifft. Allerdings wird diese Klarheit durch den Artikel 41 wieder verwässert.]
Artikel 25. (1) Der Sitz des Nationalrates ist die Bundeshauptstadt Wien.
[Anmerkung HTH: Gut, dass das auch einmal gesagt wurde. Kann aber bei Bedarf geändert werden, wie in Absatz 2 steht.]
Artikel 26. (1) Der Nationalrat wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren, persönlichen, freien und geheimen Wahlrechtes der Männer und Frauen, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.
[Sarkastische Anmerkung HTH: wie lange wird es dauern, bis die LGBTQ-Community auf die Barrikaden steigt, weil bislang nur Männer und Frauen wahlberechtigt sind. Adamovich/Funk ist aufgefallen, dass die Forderung nach "Unmittelbarkeit" mit dem Listenwahlrecht kollidieren könnte und erklären: "Der Grundsatz der Unmittelbarkeit des Wahlrechts besagt, daß die Mandatare von den Wahlberechtigten in direkter Wahl und nicht auf dem Umweg über (gewählte) Wahlmänner oder durch ähnliche Institutionen bestimmt werden. Die Stimmabgabe für eine Parteiliste (Listenwahlrecht) ist mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit vereinbar, wenn die Bewerber auf Grund dieser Liste feststehen und dem Wähler bei der Wahl bekannt sind. (Österreichisches Verfassungsrecht, S 194)]
(2) Das Bundesgebiet wird in räumlich geschlossene Wahlkreise geteilt, ...
(3) Der Wahltag muss ein Sonntag oder ein gesetzlicher Feiertag sein.
(4) Wählbar sind die zum Nationalrat Wahlberechtigten, die am Stichtag die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben.
(5) Ein Ausschluss vom Wahlrecht oder von der Wählbarkeit kann, auch in jeweils unterschiedlichem Umfang, nur durch Bundesgesetz als Folge rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilung vorgesehen werden.
[Anmerkung HTH: Hier muss die Frage erlaubt sein, warum im Artikel 6 Absatz 4 mit der größtmöglichen Umständlichkeit geklärt wird, welchem Ort die Stimmen von Häftlingen zuzurechnen sind, nur um hier die nicht weiter definierte Möglichkeit in den Raum zu stellen, dass verurteilte Häftlinge vom Wahlrecht und der Wählbarkeit ausgeschlossen werden können! Können, nicht müssen! Das "Eventualitätsprinzip". Grundsätzlich gilt: Kann-Bestimmungen ermöglichen Willkür in der Auslegung. Wenn man etwas kann, oder auch nicht, dann würde eine reife Gesellschaft dafür gar kein Gesetz brauchen und (im Idealfall) gemäß ethischer Prinzipien handeln.]
Der Artikel 26a, eine Verfassungsergänzung aus dem Jahr 2007, regelt die Frage von Wahl-Beisitzern und die Führung der Wählerevidenz.
[Anmerkung HTH: Wir haben für jede Wahl ein eigenes Wahlgesetz, allein die NR-Wahlordung umfasst 129 Paragrafen, in denen diese Fragen natürlich detailliert behandelt werden. Warum also dieser Zusatz in der Verfassung? Eine philosophische Antwort auf die Frage WARUM setzt immer die Verwendung von Vernunft voraus. Doch ein Vernunfts-Grund für diesen Zusatzartikel ist beim besten Willen nicht auffindbar. Man kann bloß vermuten, dass sich der damalige Kanzler Gusenbauer mit diesem Zusatz sein persönliches Verfassungsdenkmal setzen wollte.]
Artikel 27. (1) Die Gesetzgebungsperiode des Nationalrates dauert fünf Jahre, ...
Artikel 28. (1) Der Bundespräsident beruft den Nationalrat in jedem Jahr zu einer ordentlichen Tagung ein, die nicht vor dem 15. September beginnen und nicht länger als bis zum 15.Juli des folgenden Jahres währen soll.
[Anmerkung HTH: Unter "Tagung" versteht der Gesetzgeber demnach den Zeitraum von 10 Monaten. Warum wählt er dafür nicht den Begriff "Gesetzgebungsperiode"? Die einzelnen Tagungs-Tage heißen laut Verfassung "Sitzungen".)
Artikel 29. (1) Der Bundespräsident kann den Nationalrat auflösen, er darf dies jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass verfügen.
[Anmerkung HTH: Dies ist der Original-Wortlaut der Kelsen-Verfassung. Man darf davon ausgehen, dass der Gesetzgeber den Unterschied zwischen Anlass und Ursache kennt. So verwundert es, dass bereits ein Anlass reicht, um den Nationalrat aufzulösen und der Präsident nicht die geringste Verpflichtung hat, die Ursache so einer Entscheidung fundiert zu begründen. Dies ist genau genommen ein verfassungsmäßiger Freibrief für die Willkür-Herrschaft des Bundespräsidenten. Angesichts der Auflösung des Parlaments im Jahre 1933, die der damalige Präsident Wilhelm Miklas zwar nicht veranlasste, aber duldete, muss man sich fragen, warum die politische Brisanz dieser Bestimmung noch keinem Parteiführer dieses Landes und keinem Verfassungsjuristen aufgefallen ist.]
Artikel 30. (1) Der Nationalrat wählt aus seiner Mitte den Präsidenten, den zweiten und dritten Präsidenten. ...
.... (5) Der Präsident des Nationalrates kann den parlamentarischen Klubs zur Erfüllung parlamentarischer Aufgaben Bedienstete der Parlamentsdirektion zur Dienstleistung zuweisen.
[Anmerkung HTH: Dieser Absatz ist insofern interessant, da der Präsident etwas "kann", aber nicht muss. (Kann-Bestimmung / Eventualitätsprinzip!) Das impliziert, dass der NR-Präsident in einem Fall (nämlich für den Klub seiner Partei) etwas tun könnte, und in anderen Fällen (den Klubs der Opposition) nicht. Wieder erhält ein Präsident unseres Landes Mittel der Willkürherrschaft von der Verfassung legitimiert! Darüber hinaus muss die Frage erlaubt sein, warum Klubs, die jährlich 26,8 Millionen Euro (Stand 2023) an Klubförderungen erhalten, noch Personal von der Parlamentsdirektion bekommen sollen. Und: was hat so eine Regelung, die, wenn schon, in der Geschäftsordnung des Parlaments stehen könnte, in der Verfassung verloren? Am Rande bemerkt: die Klubförderung ist nur ein Bruchteil der gesamten Parteienförderung von inflationsgesicherten 237,4 Millionen Euro. Alleinige Profiteure dieser Regelung sind alle in den Landtagen und im Nationalrat vertretenen Parteien. Mehr als 1.000 beim BMI registrierte Parteien haben auf diese Mittel kein Anrecht. SIEHE AUCH: Machtmissbrauch durch Parteienförderung]
Artikel 30a. Der besondere Schutz und die Geheimhaltung von Informationen im Bereich des Nationalrates und des Bundesrates werden auf Grund eines besonderen Bundesgesetzes geregelt. Das Bundesgesetz über die Informationsordnung des Nationalrates und des Bundesrates kann vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Es bedarf überdies der in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates.
[Anmerkung HTH: Dieser Zusatzartikel fehlt noch in der von Grabenwarter/Ohms kommentierten Ausgabe 2014. Ein Beispiel dafür, wie die Verfassung für Parteizwecke auf teilweise skurrile Art und Weise zweckentfremdet wird. Der Gesetzgeber nimmt ein neues Gesetz ausnahmsweise nicht in die Verfassung, schreibt hier aber vor, dass, wenn dieses beschlossen werden sollte, die Abstimmungs-Regeln von Verfassungsgesetzen vorgesehen sind. By the way: allgemein bekannt ist, dass Verfassungsgesetze eine Zweidrittelmehrheit benötigen. Weitgehend unbekannt ist, dass dafür nur die Anwesenheit von lediglich - laut Verfassung "mindestens der Hälfte der Mitglieder" des Nationalrats erforderlich ist.]
Artikel 31. Zu einem Beschluss des Nationalrates ist, soweit in diesem Gesetz nicht anderes bestimmt oder im Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates für einzelne Angelegenheiten nicht anderes festgelegt ist, die Anwesenheit von mindestens einem Drittel der Mitglieder und die unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.
[Anmerkung HTH: Dass die Verfassung für Beschlüsse (also die Abstimmung über einfache Gesetze) nur die minimalistische Forderung stellt, dass "mindestens ein Drittel der Mitglieder" anwesend sein muss, ist ein demokratiepolitischer Skandal. Solange die repräsentative Demokratie verfassungsgemäß gilt, ist es ein ständiger Affront gegen die Wähler, wenn deren Repräsentant die meiste Zeit der "Tagung" abwesend sind. Dass der Nationalrat die meiste Zeit der "Tagung" mehr als halb leer ist, müsste in jeder repräsentativen Demokratie verboten werden.]
Artikel 32. (1) Die Sitzungen des Nationalrates sind öffentlich.
(2) Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen, wenn es vom Vorsitzenden oder von der im Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates festgesetzten Anzahl der Mitglieder verlangt und vom Nationalrat nach Entfernung der Zuhörer beschlossen wird.
[Anmerkung HTH: Wie üblich: die klare Aussage in Absatz 1 wird konterkariert durch Absatz 2]
Artikel 33. Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortung frei.
[Anmerkung HTH: Philosophisch betrachtet ist die Verwendung des Begriffs "Verantwortung" an der Stelle deplatziert. So wie der Urheber eines Textes immer der Urheber bleibt, so bleibt er für jeden Text auch immer verantwortlich. Egal ob er der Wahrheit entspricht, oder gelogen ist, egal ob er rechtlich dafür belangt werden kann oder nicht. Das ist hier wohl gemeint: Berichte können rechtlich nicht belangt werden. Warum allerdings überhaupt jemand auf den Gedanken kommen sollte, gegen wahrheitsgetreue Berichte rechtliche Schritte einzuleiten, diese Frage hat offenbar noch niemand in diesem Land gestellt. Sonderbarer Weise fehlt hier ein Absatz 2, der klären würde, welcher Verantwortung oder "Verantwortungsfreiheit" nicht wahrheitsgetreue Berichte unterliegen.]