BVG und Nationalrat in Theorie und Praxis - D. Bundesgesetzgebung

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D. Der Weg der Bundesgesetzgebung

Wenn das Recht vom Volk ausgeht - wo kehrt es dann ein? Bei den Parteien, und zwar einzig und allein bei den Parlamentsparteien, die daraus den Anspruch ableiten, die einzig legitimen Vertreter unserer Demokratie zu sein.

Damit zurück zum 2. Hauptstück, Kapitel D, beginnend mit Artikel 41, der genau genommen das Fundament der Demokratie sprengt:

Artikel 41. (1) Gesetzesvorschläge gelangen an den Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates sowie als Vorlagen der Bundesregierung.

Hier nochmals zur Erinnerung der Artikel 24: Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus.

Der Artikel 41 ist in Bezug auf den Artikel 24 keine formale Präzisierung, sondern ein inhaltlicher Widerspruch. Die Kompetenz, die in Artikel 24 noch allein NR und BR zugesprochen wird, wird hier nicht ergänzt, sondern unterwandert. Schon die Unterscheidung, dass Gesetzesvorschläge durch "Anträge" von NR-Mitgliedern, oder aber durch "Vorlagen" der Bundesregierung eingebracht werden, impliziert unterschiedliche Wertungen; aber das ist ein Randthema. Die tiefgehende Unterwanderung des Demokratie-Prinzips liegt in der Aushebelung der Gewaltenteilung - nicht durch die politische Praxis (die Realverfassung), sondern schon direkt in der geschriebenen Verfassung. Tu felix Austria - das hat noch keine demokratische Verfassung der Welt zustande gebracht.

Wo und wie ist die Gewaltenteilung im BVG eigentlich geregelt? Die Antwort darauf ist wiederum ernüchternd: Nirgends! Es gibt keine Regelung der Gewaltenteilung in der Verfassung! Es gibt nur die so genannten sechs Prinzipien der Verfassung, auch von den sechs Säulen bzw. Baugesetzen ist die Rede. Das sind: (1) das demokratische, (2) das republikanische, (3) das bundesstaatlich/föderale, (4) das rechtsstaatliche, (5) das liberale, (6) das gewaltentrennende Prinzip. Aus philosophisch-ironischer Sicht müsste man ergänzen: (7) das Eventualitäts-Prinzip.

Adamovich/Funk erklären in ihrem Standardwerk "Österreichisches Verfassungsrecht" [hier zitiert die Ausgabe 1985, deshalb fallweise alte Rechtschreibung]: "Der Begriff Baugesetze der Bundesverfassung ist kein im Verfassungstext enthaltener Rechtsbegriff, sondern ein in der Lehre entwickelter Terminus zur Bezeichnung einer bestimmten Gruppe verfassungsrechtlicher Normen." (S 98) Anders gesagt: Die essenziellen Prinzipien, die gemäß aller Experten unserer Verfassung zugrunde liegen, sind in dieser selbst nicht geregelt.

Die Klärung der Begriffe "Demokratie", "Republik", "Bundesstaat", "Rechtsstaat" findet man immerhin im BVG in verschiedenen Zusammenhängen oder Synonymen, doch die Begriffe "liberal" im Sinne von "Liberalität" (nicht im Sinne von "Liberalismus" oder gar "Neoliberalismus") und "Gewaltenteilung" kommen wörtlich oder sinngemäß überhaupt nicht vor. Die definitive, unabdingbare Grundlage einer jeden Demokratie - die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikatur, sowie ihre gegenseitige Kontrolle - mit einem Wort die Gewaltenteilung existiert nicht in unserer Verfassung sondern ist lediglich Common Sense (Usus, Brauchtum) in der Auslegung unserer Verfassung durch die Verfassungsexperten.

Am Rande bemerkt: auch der Begriff "Souverän", geschweige denn eine Klärung der Rolle des Souveräns im Verhältnis zu seiner Regierung, fehlt im BVG. Der "Freiheit" (nicht aber dem liberalen Prinzip) hat Kanzler Vranzitzky 1988 ein eigenes "Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit" geschenkt. Ein Beispiel dafür, dass sich die Kanzler unserer Republik offenbar gerne in der Verfassung verewigen. Symptomatisch für das Wirken Vranitzkys: abgesehen von dem schönen Namen regelt das Gesetz in acht Artikel lediglich die Modalitäten für den rechtmäßigen Entzug der Freiheit. Im Übrigen steht hier nichts, was nicht identisch oder sinngemäß schon in der EMRK zu finden ist, die in Österreich seit 1958 in Verfassungsrang steht.

Ergänzend zum Artikel 41 (1) sei Absatz (2) erwähnt, der regelt, dass die Volksbegehren dem Wesen nach Gesetzesvorlagen sind. Der Wortlaut

(2) Jedes von 100 000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder unterstützte Volksbegehren ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Stimmberechtigt ist, wer am letzten Tag des Eintragungszeitraums das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt. Das Volksbegehren muss eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen und kann in Form eines Gesetzesantrages gestellt werden. Bundesgesetzlich kann eine elektronische Unterstützung eines Volksbegehrens durch die Stimmberechtigten vorgesehen werden, wobei zu gewährleisten ist, dass sie nur persönlich und nur einmal erfolgt.

Es ist hier ein Randthema, da jedoch Anfang März 2024 wieder eine Eintragungswoche für 14 Volksbegehren läuft und die Anzahl der Volksbegehren bereits ausufert, so muss doch dieser Satz hervorgehoben werden: "Das Volksbegehren muss eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen." Noch nicht in der Eintragungswoche ist das Volksbegehren "FÜR LEISTBARES LEBEN". Der Wortlaut "Der Gesetzgeber wolle bundesverfassungsgesetzliche Maßnahmen treffen, um ein leistbares Leben für alle Menschen in Österreich dauerhaft zu gewährleisten. Das LEBEN soll für alle leistbar SEIN und BLEIBEN", ist wohl nicht geeignet, eine konkrete Gesetzesinitiative einzuleiten, oder auch nur zu diskutieren. So wie den Mandataren des NR, muss man auch den Betreibern von Volksbegehren ein genaueres Studium der Verfassung empfehlen.

Die weiteren Artikel dieses Kapitels regeln vorwiegend bürokratische Details über Wahlen, Volksbegehren und Volksabstimmungen - Details, die alle auch in der Geschäftsordnung des Parlaments oder den jeweiligen Wahlordnungen stehen könnten. z.B. Artikel 47. (1) Das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze wird durch den Bundespräsidenten beurkundet. Die Festschreibung dieser simplen administrativen Aufgabe in der Verfassung ist, wenn die Verfassung die Grundlage des Staates sein soll, verzichtbar.

Ein brisantes Detail, findet sich im Artikel 44 . (1) Verfassungsgesetze oder in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen können vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden; sie sind als solche ("Verfassungsgesetz", "Verfassungsbestimmung") ausdrücklich zu bezeichnen.

In jedem demokratischen Land dieser Welt ist es üblich, dass dessen Verfassung ein geschlossenes Vertragswerk ist, das jedem zugänglich ist und nur in Ausnahmefällen geändert oder ergänzt wird. Es ist eine weltweit einmalige Usance und wohl der Hauptgrund für den katastrophalen Zustand unserer Verfassung, dass das BVG bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit geändert und ergänzt wird. Diese Änderungen und Ergänzungen treffen nicht nur das B-VG im engeren Sinne, sondern sind auch (besonders gekennzeichnet) in ALLEN einfachen Gesetzen möglich. Diese Praxis wurde in der 2. Republik hundertfach (manche schätzen tausendfach) umgesetzt. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass die österreichische Verfassung BVG prinzipiell nicht mehr reformierbar ist, und warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht mehr geeignet ist (so der Untertitel des Buches Baustelle Parlament,)

Dazu kommt systematische Untergrabung der Gewaltentrennung (des gewaltenteilenden Prinzips). Der Artikel 41 war nur die Ouvertüre! Die Ausführung der tragischen Oper erfolgt im Kapitel E: Mitwirkung...