Kleine Geschichte Israels - 1. Einleitung

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1. Einleitung

Wahrhafte Geschichtsschreibung ist eine musische Tätigkeit. Sie ist selten, denn viel häufiger ist sie aller Rottenmeister Gaukelsack. Ob der folgende Text verdient, wahrhafte Geschichtsschreibung genannt zu werden, will ich nicht behaupten. Wahrscheinlich ist sie auch nur eine Art Gaukelei, ging doch mein Ehrgeiz immer schon nach einer bunten Jacke. Rottenmeister aber, welche die Geschichte als ein Mittel ansehen, Menschen unter das Joch einer gemeinsamen konstruierten Geschichte zu zwingen, um auf diese Art Macht zu gewinnen: Ein solcher Rottenmeister bin ich jedenfalls nicht. Beispiele solcher schwerwiegenden Joche wären die Bezeichnungen Slowene, Österreicher oder Deutscher. Oder die Bezeichnung Jude, das schwerste aller Joche.

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Ich weiß nicht mehr, wie der kleine Globus, der in meiner Wohnung steht, in meinen Besitz gekommen ist. Er misst nicht viel mehr als zehn Zentimeter im Durchmesser, ist also ungefähr so groß wie ein größerer Apfel oder, wenn man will, so groß wie der Reichsapfel, den man in der Schatzkammer zu Wien aufbewahrt. Trotz seiner geradezu lächerlich zu nennenden Kleinheit leistet mir mein Globus doch ab und zu wertvolle Dienste, denn er erlaubt mir, ein Gefühl für die globalen Proportionen zu entwickeln.

Beispiele für die Nützlichkeit meines Globus wären folgende. In den Tagen der Arbeit an diesem Text haben die jemenitischen Houthis für Schiffe, die nach einem israelischen Hafen unterwegs sind, die Einfahrt ins Rote Meer gesperrt. Es bleibt solchen Schiffen, wenn sie doch nach Israel wollen, daher nichts anderes übrig, als den weiten Weg um Afrika herum zu machen. Ein Blick auf meinen Miniglobus belehrt mich anschaulich, was das bedeutet. Die Entscheidung, welchen Weg es nehmen soll, muss ein Schiff, das vom indischen Ozean nach Israel will, schon am Horn von Afrika treffen. Wenn ein Schiff den kurzen Weg nehmen kann, so sind es nach der an der Nordspitze des Golfes von Akaba gelegenen israelischen Stadt Eilat noch rund 3000 Kilometer; etwa gleich weit ist es auch, wenn das Schiff durch den Suezkanal fährt und die Mittelmeerhäfen Jaffa oder Haifa ansteuert. Muss das Schiff jedoch um das Kap der Guten Hoffnung fahren, sind es nach Jaffa oder Haifa mehr als 20.000 Kilometer, ein veritabler Umweg also. Nach Eilat jedoch hat es nicht einmal die Möglichkeit des Umwegs. Ist die Einfahrt ins Rote Meer gesperrt, erreicht kein Schiff seinen Hafen.

Ein weiteres Beispiel für die Nützlichkeit meines Globus: Dieser Tage wurde der vor einigen Monaten gestürzte pakistanische Ministerpräsident zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Sein „Verbrechen“: Er hatte seinem Land Neutralität verordnen wollen, und das in einer Zeit, in der in Washington die Kriegstrommeln gegen den Iran gerührt werden. Ein Blick auf meinen Miniglobus belehrt mich, dass Pakistan eine lange Grenze zum Iran hat. Der Iran könnte daher im Westen vom Irak, im Osten aber von Pakistan in die Zange genommen werden. Ideal wäre es, würde Pakistan den Aufmarsch amerikanischer Truppen und die Stationierung amerikanischer Raketen auf seinem Boden nicht nur gestatten, sondern als Verbündeter auch aktiv am Krieg teilnehmen. Ein neutrales Pakistan ist daher das letzte, was die Washingtoner Geo-Strategen brauchen, wenn man von einer neutralisierten Ukraine absieht.

Nur was Israel betrifft, ist mein Globus von keinem vordergründigen Nutzen. Angesichts seiner Kleinheit ist das Gelobte Land auf ihm höchstens erahnbar; erkennbar ist es nicht. Doch vielleicht ist gerade das sein größter Nutzen, denn er lässt mich das Missverhältnis zwischen diesem Stäubchen vom globalen Staube und der Anteilnahme, welche die Weltöffentlichkeit an ihm nimmt, erkennen. Freilich bestand ein Missverhältnis ja auch zwischen dem Ersten Weltkrieg mit seinen rund zehn Millionen Toten und seinem relativ nichtigen Anlass: der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die Anteilname der Weltöffentlichkeit an den Ereignissen in Israel verständlich. Gewiss ist das Land im globalen Maßstab gesehen nur ein Stäubchen, doch das Potential, einen neuen Weltbrand zu entfachen, der dann als Dritter Weltkrieg zu verzeichnen wäre, hat es allemal, vor allem wegen des beängstigend wachsenden Konfliktpotentials in der Welt, nicht zuletzt aber wegen der Atombomben, über die Israel dem Vernehmen nach verfügen soll. Daher ist ein Blick auf seine Geschichte angebracht ― für unsereinen wenigstens.