Kleine Geschichte Israels - 6. Von 1945 bis zur Staatsgründung

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6. Von 1945 bis zur Staatsgründung

Der Aufstand der Juden nach Kriegsende stellte die Aufstände der Araber vor Kriegsbeginn weit in den Schatten, was schon aus der Tatsache hervorgeht, dass die Engländer, um Herr der Lage zu bleiben, 100.000 Mann in Palästina stehen hatten, während es vor dem Krieg nur 20.000 Mann gewesen waren. Angesichts dieser höchst unerfreulichen Entwicklung begann man sich in London zu fragen, ob die strategische Bedeutung Palästinas für das Empire noch die enormen Kosten rechtfertige, die die englische Präsenz im Land verursachte. Das durch zwei Weltkriege ausgepowerte Großbritannien konnte sich sein Nahostengagement also nicht mehr leisten und erwog, das Chaos, das es dort mit seiner Schaukelpolitik verursacht hatte, seinem Schicksal zu überlassen; das umso leichter, als inzwischen ein anderer Akteur auf den Plan getreten war, der sich erbötig machte, die Rolle des Protektors der Juden zu übernehmen: die USA.

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Ein wichtiger Grund dafür, dass sich die Dinge nach dem Krieg derart radikalisierten, lag im verstärkten Bemühen der Hagana, die rigide Einwanderungspolitik der Engländer zu unterlaufen. Das ging so weit, dass die Engländer ganze Schiffe, die mit Überlebenden des Holocaust in Palästina anlegten, abwiesen, sie zurück nach Europa dirigierten oder ihre Passagiere auf Zypern internierten. Als Symbol für diese Politik kann das später so genannte Schiff Exodus gelten. Der Name sollte wohl an den biblischen Exodus, den Auszug der Juden aus Ägypten, erinnern.

Die President Warfield, wie das Schiff hieß, bevor es auf seinen symbolträchtigen Namen umgetauft wurde, war ein auf einem Schiffsfriedhof liegender und auf seine Verschrottung wartender alter amerikanischer Flussdampfer, den die Hagana erworben hatte, um mit ihm Flüchtlinge nach Palästina zu befördern. Dass das Schiff die Überfahrt über den Atlantik heil überstanden hat, grenzt an ein Wunder. Aus Südfrankreich kommend, legte die Exodus im Sommer 1947 mit fast 5000 Passagieren an Bord in Haifa an, nachdem sie zuvor von englischen Kriegsschiffen entdeckt, aufgebracht und geentert worden war, wobei es zu Kämpfen kam, die viele Verletzte und womöglich einige Tote forderten. Da die Hagana dafür sorgte, dass die Ereignisse, die sich an Bord abspielten, per Funk ans Land übertragen und dort von vielen Menschen gespannt mitverfolgt wurden, stand eine große Menschenmenge am Kai von Haifa und bereitete dem Schiff einen großen Empfang, sodass sich die Ereignisse gleichsam vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielten ― ein veritables PR-Desaster für die Engländer.

In Haifa wurden die Flüchtlinge nicht an Land gelassen; vielmehr mussten sie, von den Engländern dazu genötigt, auf drei andere Schiffe umsteigen. Mit diesen wurden sie, da die Flüchtlingslager in Zypern voll waren, zunächst dorthin zurückgebracht, von wo sie gekommen waren: nach Südfrankreich ― die Rückreise mit dem alten Seelenverkäufer Exodus wurde, angesichts des Interesses der Weltöffentlichkeit, wohl als zu gefährlich und als nicht zu verantworten erachtet. Da sich aber auch Frankreich weigerte, die Flüchtlinge aufzunehmen, mussten die Schiffe wieder ablegen und um Gibraltar herum nach Hamburg fahren, wo die internationale Presse bereits auf sie wartete. Diese sorgte dafür, dass die unbarmherzige Behandlung der Überlebenden des Holocaust durch die Engländer weltweit publik gemacht wurde. In Deutschland mussten die zurückgebrachten Juden einige Wochen in einem englischen Lager verbringen, bis Ende September 1947 die englische Regierung ihren Beschluss kundtat, aus Palästina abziehen zu wollen, und der Weg dorthin frei wurde.

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Als sich die dreißigjährige Mandatszeit in Palästina ihrem Ende zuneigte, überschlugen sich die Ereignisse. Schon zu Beginn des Jahres 1947 hatte die englische Regierung in der Erkenntnis, dass sie als nation builder eklatant versagt hatte, beschlossen, den Scherbenhaufen, den sie in Palästina angerichtet hatte, der UNO zu übergeben und 1948 fristgerecht aus Palästina abzuziehen. Damit geriet die UNO in Zugzwang. Sie erarbeitete einen Teilungsplan, den sie am 29. 11. 1947 zur Abstimmung vorlegte. 33 Nationen stimmten dem Plan zu, 13 stimmten dagegen, 10 weitere Staaten enthielten sich der Stimme, unter ihnen die Mandatsmacht England.

Verglichen mit dem Teilungsplan, den die Peel-Kommission vor zehn Jahren vorgelegt hatte, stellte der UN-Plan für die Araber eine Verschlechterung dar. Zwar wurde ihnen in Nordisrael ein Küstenstreifen zugestanden, der von Akkon bis zur libanesischen Grenze reichen sollte; dafür sollte praktisch der ganze Süden, also die Negevwüste bis Eilat, jüdisch werden. Jerusalem sollte unter internationale Verwaltung gestellt werden. Demografisch betrachtet hätte das einen mehrheitlich jüdisch besiedelten Staat ergeben, bei dem etwa 600.000 Juden rund 325.000 Arabern entgegengestanden wären. Im arabischen Teilstaat hätte es rund 800.000 Araber bei nur 10.000 Juden gegeben. Im internationalen Teil um Jerusalem wären beide Ethnien gleich stark gewesen und hätten jeweils etwa 100.000 Menschen gezählt. Verglichen mit der Situation heute, wo allein im Gazastreifen mehr Menschen leb(t)en als damals in ganz Palästina, war das Land also noch recht dünn besiedelt.

Die Araber fühlten sich übervorteilt, denn sie stellten noch immer zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. Außerdem machten sie geltend, dass noch immer 47 Prozent des Landes in ihrem Besitz war und nur 6 Prozent in jüdischem. Der Rest, also fast die Hälfte des Landes, war unfruchtbares Niemandsland, wie zum Beispiel die Negev-Wüste im Süden. Die Araber lehnten den Teilungsplan daher ab ― sie hatten gute Gründe dafür.

Anders verhielten sich die Juden, die den Plan mehrheitlich guthießen. Freilich sagten die maßgeblichen Führer unter der Hand, was bis heute als roter Faden durch die Politik Israels anzusehen ist: Nehmen wir, was man uns gibt. Was man uns nicht gibt, werden wir uns schon nehmen, notfalls mit Gewalt. Offene Ablehnung des Planes gab es nur von den terroristischen Abspaltungen der Hagana: von Irgun und von Lechi.

Der UN-Teilungsplan war gut gemeint. Beide Staaten sollten demokratische Verfassungen bekommen, durch eine Zoll- und Währungsunion verbunden sein und gemeinsame Infrastruktureinrichtungen für Wasser, Energie und dergleichen betreiben. Freilich war das reines Wunschdenken, entsprungen aus der missbräuchlichen Verwendung des demokratischen Prinzips und unter Verkennung der Gegebenheiten vor Ort. Zwar hatte eine deutliche Mehrheit der UN-Staaten für den Plan gestimmt, aber seit wann werden, um Bismarck zu zitieren, die großen Menschheitsfragen durch Majoritätsbeschlüsse entschieden und nicht vielmehr durch Blut und Eisen?

Dieses herbe Diktum bedarf der Erläuterung. Ich bezweifle nicht, dass das demokratische Prinzip, bei dem die Mehrheit entscheidet, was geschehen soll, seine Berechtigung hat. Doch gilt es absolut? Wohl nicht. So darf zum Beispiel das demokratische Prinzip dort keine Anwendung finden, wo es um den Schutz von Minderheiten geht. Es geht nicht an, dass ein Wolf, ein Fuchs und ein Hase darüber abstimmen, was es abends zu essen gibt. Eine weitere Einschränkung des demokratischen Prinzips besteht darin, dass über eine Sache nur jene abstimmen sollen, die von dieser Sache auch betroffen sind, nicht aber unbeteiligte Dritte. In einem Haus mit Eigentumswohnungen zum Beispiel ist es legitim, dass die Mehrheit der Hausparteien entscheidet, ob zum Beispiel das Dach des Hauses erneuert werden soll oder nicht. Die Parteien der Nachbarhäuser haben in dieser Sache selbstverständlich kein Stimmrecht, weil sie von ihr ja nicht betroffen sind.

Im Lichte des hier Dargelegten kann man den UNO-Teilungsplan und die Abstimmung darüber nur absurd nennen. So stimmten Länder wie Australien, Nicaragua, Haiti, die Philippinen oder Schweden für den Teilungsplan, obwohl sie von der Sache, wenn überhaupt, nur marginal betroffen waren und die Situation vor Ort nur flüchtig kannten. Länder wie zum Beispiel Jugoslawien, Kuba oder bezeichnenderweise auch die Mandatsmacht England enthielten sich wohlweislich der Stimme, während die muslimisch geprägten Lander, unter ihnen alle arabischen, den Plan ablehnten. Besonders absurd ist es, dass die Stimmen von Bananenrepubliken wie Haiti oder Nicaragua das gleiche Gewicht hatten wie die Stimmen großer wichtiger Länder, wie zum Beispiel die USA, die Sowjetunion oder Ägypten.

Als wichtigster Grund, dass die für die Annahme des Teilungsplanes notwendige Zweidrittelmehrheit überhaupt zustande kam, ist die Arbeit der international vernetzten jüdischen Lobby anzusehen. Dieser gelang es mit dem Hinweis auf das Schicksal, das den europäischen Juden vom besiegten Nazideutschland bereitet worden war, den einen oder anderen Staat zu bewegen, für den Teilungsplan zu stimmen. Die armen Palästinenser hingegen hatten keine Lobby. Wie unfair, David! möchte man ausrufen, und wie absurd.

Vollends absurd aber wird diese Abstimmung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die hauptbetroffenen Parteien gar nicht mitstimmen durften. Da wäre zum Beispiel Jordanien zu nennen, dessen Grenzen durch die künstliche Spaltung Palästinas durch England hervorgegangen sind. Jener Teil des ursprünglichen Palästinas, der sich heute Jordanien nennt, hatte zwar 1946 die volle Souveränität erlangt, in die UNO aufgenommen wurde das Land aber erst 1955; es durfte daher 1947 nicht mitstimmen. Von der Abstimmung ausgeschlossen waren aber vor allem jene, die von der Sache unmittelbar betroffen waren: die Palästinenser und die Juden.

Als 1919 in Europa die Grenzen neu gezogen wurden, kam es da und dort, wo die Bevölkerung mit der neuen Grenzziehung nicht einverstanden war, zu Referenden oder Volksabstimmungen. Als gebürtigem Kärntner ist mir besonders die Kärntner Volksabstimmung von 1920 gegenwärtig, als im gemischtsprachigen Südkärnten die Bevölkerung darüber abstimmen durfte, ob das Gebiet bei Österreich bleiben oder an Jugoslawien angeschlossen werden solle. Gerne hätten 1919 auch die Südtiroler abgestimmt, ob sie bei Tirol und Österreich bleiben oder an Italien angeschlossen werden sollten. Da kein Zweifel darüber bestehen konnte, wie eine solche Abstimmung ausgehen würde, und da andererseits das Gebiet Italien versprochen worden war, wurde eine Abstimmung von den Siegermächten nicht einmal erwogen.

Nicht erwogen wurde auch eine Volksabstimmung darüber, ob es im cisjordanischen Palästina einen oder zwei Staaten geben solle, denn auch darüber konnte es keinen Zweifel geben: Die Araber, die damals etwa zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung stellten, hätten wohl geschlossen für die Einstaatenlösung gestimmt. Dahingestellt sei auch die Frage, wie in einem terrorschwangeren Land ohne demokratische Traditionen und Strukturen eine solche Abstimmung hätte organisiert werden können.

Aus den genannten Gründen kann die Abstimmung über den von der UNO ausgearbeiteten Teilungsplan mit Fug und Recht eine pseudodemokratische Farce genannt werden. Er war das Papier nicht wert, worauf er geschrieben war. Und so war sein einziger Zweck, die Tragödie auszulösen, die unmittelbar auf die Abstimmung folgen sollte. Nun würden die Grenzen, wie von alters her, nicht mit Tinte und Papier, sondern mit Blut und Eisen geschrieben werden.

Schon die beiden Jahre davor wurde das Land von einer regelrechten Terrorwelle heimgesucht, bei der sich besonders die im Untergrund agierenden jüdischen Organisationen hervortaten. So sprengte die Hagana unter anderem zehn Brücken, die Irgun, wie bereits erwähnt, einen Flügel des King David Hotels in Jerusalem. Als das Ergebnis der UNO-Abstimmung bekannt wurde, kam es zu einem guerillaartigen, mit leichten Waffen ausgefochtenen Bürgerkrieg zwischen Arabern und Juden, bei dem die letzteren klar die Oberhand behielten. Sie hatten sich jahrzehntelang auf diese Auseinandersetzung vorbereitet, sie waren daher weitaus besser organisiert als die Araber, sie hatten im Weltkrieg Kampferfahrung gesammelt und sie waren in der Lage, sich im Ausland Waffen zu besorgen. Zwar wurde von der UNO ein Einfuhrembargo für Waffen verhängt, doch die findigen Juden kannten die Schleichwege; sie konnten das Embargo umgehen und besorgten sich Waffen und Munition aus dem Ausland, hauptsächlich aus der Tschechoslowakei. Es kam zur Massenflucht der arabischen Bevölkerung aus den mehrheitlich von den Juden bewohnten Gebieten, also aus dem Teil des Landes, der nach dem Teilungsplan der UNO für die Juden bestimmt war. Vertrieben wurden aber auch Juden, die in dem für die Araber bestimmten Teil Palästinas lebten. Trauriger Höhepunkt dieser durch Gewalt, aber auch List, hervorgerufenen Vertreibungen war das am 9. April 1948 vom Irgun unter seinem Kommandanten Menachem Begin verübten Massakers von Deir Yasin, einem Dorf unweit von Jerusalem im arabischen Teil gelegen, bei dem mindestens hundert Dorfbewohner umgebracht wurden. Dieses Massaker hatte auch symbolische Bedeutung, denn es manifestierte den Anspruch, den radikale Juden auf das den Arabern zugedachte Westjordanland hegten.

Das Massaker von Deir Yasin wurde schnell ruchbar, denn als Begin einige Monate später New York besuchte und um Unterstützung für seine Organisation warb, erschien in der New York Times ein von führenden amerikanischen Juden unterzeichneter Leserbrief ― es unterzeichneten unter anderen Persönlichkeiten wie Hannah Arendt und Albert Einstein ―, in dem die Irgun als faschistische Organisation gebrandmarkt wurde ― ein kapitaler Vorwurf fürwahr. Einstein betätigte sich als Prophet, indem er schrieb: „Sollte uns eine reale und endgültige Katastrophe in Palästina ereilen, so würden in erster Linie die Briten und an zweiter Stelle die aus unseren Reihen gebildeten terroristischen Organisationen dafür verantwortlich sein.“

Heute, da Israel so nahe am Abgrund steht wie nie zuvor in seiner Geschichte, ist seine Mahnung von einer beängstigenden Aktualität. Begin aber verteidigte das Massaker selbst dann noch, als er Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger geworden war. Ohne das Massaker, so seine Argumentation, hätte es nie einen Staat Israel gegeben. Der Verzicht auf Terror als Mittel des Kampfes wäre aus seiner Sicht gleichbedeutend gewesen mit dem Verzicht der Juden auf den eigenen Staat.