Kleine Geschichte Israels - 13. Menachem Begin

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13. Menachem Begin

1977 wurde der ehemalige Terrorist Menachem Begin Ministerpräsident Israels. Damit war er der erste Ministerpräsident, der nicht der Arbeiterpartei (Mapei/Awoda) angehörte. Er galt als führender Vertreter des sogenannten revisionistischen Zionismus, der auf Wladimir Jabotinsky zurückgeht und dessen Ideenwelt die israelische Politik immer mitbestimmte und heute dominiert. Warum revisionistisch? Nun, was Jabotinsky in erster Linie revidieren wollte, war die von den Engländern vorgenommene Teilung Palästinas in Trans- und Cisjordanien und die Entstehung eines arabischen Staates jenseits des Jordans. Ganz Palästina sollte also offen werden für die jüdische Einwanderung, zwischen Juden und Arabern aber sollte, so Jabotinsky eine eiserne Mauer aus jüdischen Bajonetten errichtet werden. Wie diese Wendung zeigt, war er im Nebenberuf auch ein nicht ganz unbegabter Literat. So übersetzte er beispielsweise die vom Inferno handelnden ersten zehn Gesänge aus Dantes „Göttlicher Komödie“ ins Hebräische ― kein gutes Vorzeichen für den zionistischen Staat, sondern eine Art Menetekel für ihn. Maßgeblichen Anteil hatte sein revisionistischer Zionismus vor allem auf das 1950 beschlossene Einwanderungsgesetz, das jedem Juden auf der Welt das Recht einräumt, sich in Israel niederzulassen und die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Was ein Einstein, was eine Hannah Arendt von Begin und seiner aus der Irgun hervorgegangenen Partei hielten, habe ich weiter oben erwähnt. Andere Juden waren in ihrem Urteil strenger. Erich Fried sah in ihm einen neuen Reinhart Heydrich, Ben Gurion, der es wissen musste, verglich ihn gar mit Hitler. Österreichs Bundeskanzler Kreisky warf Begin vor, ein mieser polnischer Winkeladvokat gewesen zu sein, nachdem er von diesem, ob seines Techtelmechtels mit Arafat, als jüdischer Verräter gebrandmarkt worden war.

Dass ein Mann wie Begin Ministerpräsident werden konnte, zeigt deutlich, welche Veränderungen in der israelischen Gesellschaft seit der Staatsgründung stattgefunden hatten. Zuerst kamen die orientalischen Juden, später die russischen. Mit einem kräftigen Schuss Bosheit könnte man diese Veränderung eine Zelotisierung Israels nennen. Von kurzen Intermezzi abgesehen, lag von da an das Schicksal Israels in der Hand von rechten bis rechtsextrem zu nennenden Regierungen, welche das Land an den Rand des Infernos steuerten, vor dem es jetzt steht.

Israel ist ein winziges Land. Auf Grund seines Geburtenreichtums, seines Einwanderungsgesetzes und weil es aktiv um jüdische Einwanderung wirbt, platzt es heute, da sich die Bevölkerungszahl der zehnten Million nähert, aus allen Nähten. Knapp ist vor allem das kostbare Wasser, was zu ständigen Konflikten mit seinen Nachbarn führt. Eine Vergrößerung seines Staatsgebietes um das Westjordanland wäre vor diesem Hintergrund sehr verführerisch und entspräche dem revisionistischen Zionismus eines Jabotinsky oder eines Begin. Freilich stellt sich das Problem, was mit den zweieinhalb Millionen Palästinensern geschehen soll, die inzwischen im Westjordanland leben. Da man sie, wie bereits festgestellt, im vergrößerten Israel nicht haben will, müsste man die Westbank vor der Annexion ethnisch säubern. Freilich ist das schwierig. Die Palästinenser aus dem Land zu bomben, wie das zurzeit in Gaza geschieht, ist schwer möglich. Gaza, wo größenordnungsmäßig die gleiche Zahl an Arabern lebt (oder lebte) wie im Westjordanland, hat aufgrund der geringen Fläche eine städtische Struktur, ist daher mit relativ wenig Aufwand zu bombardieren. Außerdem bedürfte es eines Vorwands, wie es der Angriff der Hamas am 7. Oktober gewesen ist, um die Untat einigermaßen zu rechtfertigen. Und so blieb (und so bleibt bis auf weiteres) als Mittel der ethnischen Säuberung nur, den Palästinensern des Westjordanlandes das Leben so schwer zu machen, dass sie beginnen, selbst zu gehen.

Das Mittel, das die israelische Führung zu diesem Zweck ergriffen hat, war die Errichtung von Siedlungen für militante ultranationalistische und ultrareligiöse Zeloten im Westjordanland. Diese Siedlungen sind zwar nach internationalem Recht illegal, aber wann hat sich Israel je darum geschert, es sei denn, wenn es zu seinem Vorteil war wie im Jahr 1947? Durch diese Siedlungen wurde der palästinensischen Bevölkerung, die ohnehin unter der israelischen Militärverwaltung stöhnte, das Leben zusätzlich erschwert, ja unmöglich gemacht. Die Siedler haben sich die besten Böden angeeignet, das Land wurde zerstückelt, überall wurden Straßen gebaut, die nur von Siedlern benützt werden dürfen, überall errichtete die israelische Armee Checkpoints, wo reisende Palästinenser schikanös kontrolliert werden. Endlose Wartezeiten an diesen und die langen Umwege, die ein Palästinenser nehmen muss, um den jüdischen Siedlungen nicht zu nahe zu kommen, führen dazu, dass solche Reisen oft ein Vielfaches an Zeit beanspruchen, als es „eigentlich“ notwendig wäre. Das Land ist von der Armee abgeriegelt, ein Palästinenser, der es verlassen möchte, braucht dazu eine Sondergenehmigung. Apartheit also, wohin man blickt, auch in der Rechtsprechung. Wirft ein palästinensischer Jugendlicher einen Stein, wandert er ins Gefängnis; ein Todschlag oder ein Mord, von einem Siedler an einem Palästinenser verübt, bleibt in der Regel ungesühnt.

Die Behandlung der Palästinenser ist nicht neu, denn sie folgt bekannten Mustern aus der Kolonialzeit. Überall dort, wo sich in den einstigen Kolonien Weiße ansiedelten, wurde die einheimische Bevölkerung unterdrückt und von ihren Böden verdrängt. Setzte sich diese zur Wehr, wurde sie eben stärker unterdrückt, und zwar so lang, bis der Widerstand gewalttätige Formen annahm. Dann wurden die Gewalttäter, die ihrem Selbstverständnis nach Freiheitskämpfer waren, als Terroristen gebrandmarkt und brutal gegen sie vorgegangen. Da man ihrer nur schwer habhaft werden konnte, denn sie operierten ja im Geheimen und unter der zivilen Bevölkerung versteckt, glaubte man, berechtigt zu sein, auch gegen diese mit Härte vorgehen zu dürfen. Beispiele wären der Mau-Mau-Aufstand in Kenia gegen die Herrschaft weißer Siedler in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts und seine Unterdrückung durch die englische Kolonialmacht, was Zigtausenden Einheimischen das Leben kostete. Ich wurde auf diese Ereignisse aufmerksam, als sich der neue englische König Charles dieser Tage genötigt fühlte, den Kenianern sein Bedauern für diese schreckliche Episode ihrer Geschichte auszusprechen. Zu nennen wäre auch der etwa zeitgleich erfolgte Befreiungskampf der Algerier gegen die Kolonialmacht Frankreich ― ich erinnere an das Gespräch de Gaulles mit Ben Gurion. Ein weiter zurückliegendes Beispiel ist auch der Aufstand der Zulus in Südafrika und seine Unterdrückung durch die Engländer. Und warum setzte ein Ghandi auf gewaltlosen Widerstand? ― In erster Linie wohl deshalb, weil er, der in seiner südafrikanischen Zeit diesen Unterdrückungsmechanismus kennengelernt und durchschaut hatte, den englischen Kolonialherrn keinen Vorwand für ein gewaltsames Vorgehen gegen die Bevölkerung Indiens liefern wollte.