Kleine Geschichte Israels - 3. Der Erste Weltkrieg

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3. Der Erste Weltkrieg

Das Misstrauen der Osmanen war nicht unbegründet, denn der Großscherif sollte während des Ersten Weltkriegs zum Zentrum des von den Engländern angezettelten Aufstands der Araber gegen das osmanische Reich werden, wobei sich besonders ein Mann hervortat: T. E. Laurence, der nach dem Krieg unter dem Namen Laurence von Arabien berühmt werden sollte.

1914 trat also das osmanische Reich auf Seiten der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn in den Weltkrieg ein und kämpfte gegen die Entente seinen Todeskampf. Im Nordosten, in der Gegend von Erzurum, kämpfte es gegen seinen alten Feind Russland; gegen England, seinen ehemaligen Verbündeten im Krimkrieg, aber kämpfte es in Palästina und im heutigen Irak. Erwähnung verdient noch eine dritte Front: Im Jahr 1915 versuchten die Engländer, unterstützt von den Franzosen, mit Kriegsschiffen über die Dardanellen und das Marmarameer nach Istanbul durchzubrechen, doch gelang es den Türken, diesen Angriff zurückzuschlagen, wobei sich ein junger türkischer Kommandeur besonders hervortat: der spätere türkische Präsident Mustafa Kemal, genannt Atatürk.

Von den Engländern2 angestachelt, weckte oder verstärkte der Krieg ― man kann es nicht oft genug wiederholen ― die nationalen Ambitionen der von den Osmanen beherrschten Araber, insbesondere weil man ihnen im Fall der absehbaren osmanischen Niederlage ihre staatliche Unabhängigkeit versprochen hatte. Mit der Duldsamkeit der Osmanen, die wie gesagt ihren Todeskampf kämpften, war es naturgemäß schnell vorbei. Das mussten insbesondere die im Grenzgebiet zu Russland siedelnden Armenier erfahren, die im russisch-osmanischen Krieg zwischen die aufmarschierenden Armeen gerieten. Von osmanischer Seite wurde ihnen vorgeworfen, sie würden sich illoyal verhalten und die Russen unterstützen. Die osmanischen Behörden beschlossen daher, alle Armenier aus dem Kriegsgebiet zu deportieren. Ihr trauriges Schicksal ist bekannt. Sie wurden zu Hunderttausenden in die syrische Wüste getrieben und mussten marschieren, bis sie entkräftet umfielen, liegen blieben und starben. Rund eine Million Menschen sollen auf diese Weise umgekommen sein. Dass es ein Genozid war, bestreiten die Türken bis heute.

Der Krieg gab dem zionistischen Projekt neuen Auftrieb. War vor dem Krieg das Projekt einer jüdischen Staatsgründung auf osmanischem Boden noch ziemlich unrealistisch, im Falle einer Niederlage der Osmanen jedoch würde ihr Reich zerfallen, die neuen Grenzen im Nahen Osten aber würden von den kolonialistischen Siegermächten gezogen werden. Dass die Zionisten die Niederlage des osmanischen Reiches erhofften und sich mit großer Mehrheit auf die Seite der Entente schlugen, versteht sich beinahe von selbst. Freilich taten das nicht alle. Prominentestes Gegenbeispiel ist Mosche Scharet, Weggenosse David Ben Gurions und sein Nachfolger im Amt der israelischen Ministerpräsidenten. Er hatte sich 1916 zum Dienst im deutsch-türkischen Heer gemeldet. Scharet muss ein braver Soldat gewesen sein, denn er wurde sowohl mit dem deutschen Eisernen Kreuz als auch mit der osmanischen Verdienstmedaille ausgezeichnet.

Als Personifizierung der zionistischen Hoffnungen auf einen Sieg der Entente kann der aus Odessa stammende Zionist Wladimir Jabotinsky angesehen werden. Hatte er im Auftrag der zionistischen Weltorganisation in den Jahren vor dem Ausbruch des Weltkrieges noch mit den osmanischen Behörden verhandelt ― man kann sich vorstellen in welcher Sache ―, so regte er, als es 1914 zum Krieg kam, die Aufstellung einer jüdischen Legion an, die auf der Seite der Engländer gegen die Osmann kämpfen sollte. Doch wurde diese Legion erst im palästinensischen Schicksalsjahr 1917 aufgestellt, weil die Engländer diesen Vorschlag zunächst ablehnten. Sie waren im Begriff, die Araber gegen die Osmanen aufzuwiegeln und hatten ihnen weitreichende Zusagen gemacht. Sie setzten offensichtlich mehr auf sie als auf die damals noch vernachlässigbar wenigen zionistischen Juden Palästinas. Und eine Kooperation der Engländer mit den Zionisten hätte das Engagement der Araber für die Sache der Engländer zumindest sehr gedämpft.

Neben der Aufstellung der jüdischen Legion kam es Anfang November 1917 zu einem weiteren schicksalsschweren Ereignis, nämlich zur Balfour-Deklaration. Diese war ein kurzes, an ein führendes englisches Mitglied der Rothschildfamilie gerichtetes Schreiben, in dem der damalige englische Außenminister Balfour dem zionistischen Projekt, für die Juden in Palästina eine Heimstätte zu errichten, das Wohlwollen und die Unterstützung der englischen Regierung aussprach. Eine Heimstätte wohlgemerkt, keinen Staat ― das Kind beim Namen zu nennen vermied Balfour.

Ich kann nur mutmaßen, warum die Engländer ihre Politik, was die Gründung eines jüdischen Staates anbelangte, änderten. Jedenfalls waren sie für die Materialschlachten, die bald nach dem Ausbruch des Weltkrieges folgen sollten, nicht genügend gerüstet. Sie mussten daher in den USA riesige Mengen an Kriegsmaterial zukaufen, und zwar auf Kredit. Dass sie zu diesem Zweck das Wohlwollen der jüdischen Hochfinanz brauchten, darf zumindest vermutet werden; und diese betrachtete die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina naturgemäß mit Interesse und Wohlwollen, denn wie bereits erwähnt hatten die Rothschilds schon vor der Jahrhundertwende in Palästina die Errichtung von jüdischen Mustersiedlungen finanziert.

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Die Zionisten hofften also auf den Sieg der Entente und auf die Niederlage der Osmanen, was aus der Sicht dieser natürlich Hochverrat war. Es ist daher kein Wunder, dass sie den palästinensischen Juden ein ähnliches Schicksal wie den Armenieren bereiten wollten. Dass das zionistische Baby nicht schon in der Wiege erwürgt wurde, verdankt es ― welche Ironie der Geschichte! ― ausgerechnet einem Deutschen: dem General Erich von Falkenhayn, damals osmanischer Feldmarschall. Falkenhayn war nicht irgendwer. Vor dem Krieg preußischer Kriegsminister, wurde er bald nach Kriegsbeginn deutscher Generalstabschef, als solcher 1916 für das Desaster bei Verdun verantwortlich gemacht und abgelöst, worauf er in den Dienst der Osmanen trat. Er war nicht der einzige deutsche Spitzenmilitär, der im Ersten Weltkriegs auf türkischer Seite kämpfte. Die Türken galten, ja gelten bis auf den heutigen Tag, als sehr gute Soldaten, doch die Führung ihrer Armeen war nicht auf der Höhe der Zeit. Also glaubte das Deutsche Reich, seinem Verbündeten diesbezüglich unter die Arme greifen zu müssen und half ihm mit erfahrenen Truppenführern aus. Als Falkenhayn erfuhr, was die osmanischen Behörden mit den Juden Palästinas vorhatten, drohte er mit dem Eingreifen der von ihm befehligten Armee, sollten die osmanischen Behörden mit den Deportationen beginnen, worauf diese unterblieben.

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In ihrem Bestreben, den Seeweg durch das Mittelmeer und den Suezkanal nach Indien, ihrem damaligen Kronjuwel, zu sichern, hatten die Engländer Ende des neunzehnten Jahrhunderts Ägypten besetzt und das Land in eine englische Kolonie verwandelt. Ein wichtiges strategisches Kriegsziel der Mittelmächte war es daher, sich des Suezkanals zu bemächtigen und die Engländer aus Ägypten zu vertreiben, was für diese ein schwerer Schlag gewesen wäre. Nachdem die Osmanen in den ersten Kriegsjahren zweimal vergeblich versucht hatten, zum Suezkanal vorzustoßen, starteten die Engländer 1917 von Ägypten aus eine Offensive gegen Palästina. Schon wenige Tage nachdem Balfour seine Deklaration gemacht hatte, fiel Jerusalem. Ein Jahr später war der Weltkrieg aus, und die Sieger machten sich daran, sowohl in Europa als auch im Nahen Osten die Grenzen neu zu ziehen. Während es in Europa relativ schnell zur Bildung von neuen Staaten wie Polen, Jugoslawien oder der Tschechoslowakei kam, ließen sich die Sieger im Nahen Osten Zeit.

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Der Kampf der Araber gegen ihre osmanischen Oberherren ist als Arabische Revolte bekannt. Ihren Ausgang nahm sie 1915 im Hedschas, unter der Führung des oben erwähnten Großscherifs von Mekka, Hussein ibn Ali. Von englischen Zusagen und vom englischen Geld dazu ermutigt, versprach sich dieser nach der Niederlage der Osmanen im Weltkrieg einen großarabischen Staat, mit einem Araber von Geblüt an der Spitze, nämlich mit seiner erlauchten Person.

Schon 1915 hatte der Großscherif seinen Sohn Faisal nach Damaskus entsandt, wo dieser Kontakte mit den syrischen Nationalisten knüpfte. Damaskus sollte wohl, wie seinerzeit unter den Umayyaden3, Hauptstadt des geeinten Arabiens werden. Vom peripher gelegenen Mekka aus wäre das riesige Reich ja kaum zu regieren gewesen.

Prinz Faisal war eine schillernde Gestalt. Vom britischen Agenten T. E. Lawrence dabei unterstützt, führte er als Befehlshaber einer kleinen, nur wenige tausend Mann starken Beduinenarmee gegen die Osmanen eine Art Kleinkrieg, tauchte mit seiner Streitmacht aus dem Nichts der Wüste ebenso schnell auf, als er in diesem Nichts wieder verschwand. Als sich gegen Ende des Krieges die Osmanen aus Damaskus zurückziehen mussten, besetzte er mit seinen Wüstenkriegern die Stadt, nachdem er zuvor schon die Stadt Akaba eingenommen hatte.

An der Friedenskonferenz im Jänner 1919, welche die Sieger des Weltkrieges unter Ausschluss der Besiegten in Paris abhielten, nahm Faisal, begleitet von seinem Waffenbruder T. E. Lawrence, als arabischer Delegierter teil, denn wer mitgekämpft hat, dem gebührt auch ein Platz am Verhandlungstisch. In Paris traf sich Faisal auch mit dem zionistischen Delegierten, dem späteren ersten Präsidenten Israels Chaim Weizmann. Dieser, ein Wissenschaftler von Rang, in der Wissenschaftswelt hervorragend vernetzt, mit Einstein befreundet und während des Krieges in englischen Diensten, hatte maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der Balfour-Deklaration gehabt. Die beiden Herren scheinen sich gut verstanden zu haben, denn sie unterzeichneten ein nach ihnen benanntes Abkommen, in dem die gemeinsame Abstammung der Juden und der palästinensischen Araber betont wurde und in dem Faisal die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina begrüßte, allerdings unter dem Vorbehalt, dass auch der von den Engländern in Aussicht gestellte arabische Gesamtstaat zustande käme, und zwar mit seiner Familie, den Haschimiten, an der Spitze.

Nach Damaskus zurückgekehrt, wurde Faisal Anfang 1920 vom syrischen Nationalkongress als König von Großsyrien ausgerufen, einem Gebiet, das neben dem heutigen Syrien auch noch Palästina und die heutigen Staaten Libanon und Jordanien umfassen sollte. Da man im Irak seinen Bruder Abdallah zum König ausgerufen hatte, schienen die Haschimiten ihrem Ziel sehr nahegekommen zu sein. Doch die kalte Dusche folgte auf dem Fuß, denn die beiden Haschemitenprinzen hatten die Rechnung ohne den Wirt, die siegreichen Ententemächte England und Frankreich, gemacht. Diese hatten mitten im Krieg das sogenannte Sykes-Picot Abkommen getroffen und die Trümmer des osmanischen Reiches vorsorglich unter sich aufgeteilt. Nach dem Krieg ließen sie sich dieses zunächst geheim gehaltene Abkommen vom eben gegründeten Völkerbund absegnen und ihre Kriegsbeute zu ihren Mandatsgebieten erklären. Unter Berufung auf dieses Abkommen landeten einige Monate nach der Krönung Faisals französische Truppen in Syrien, besiegten die Syrer in einem minderen Gefecht und stürzten König Faisal, der darauf ins englische Exil ging. Auch sein Bruder Abdallah konnte sich nicht auf dem irakischen Thron behaupten.