Kleine Geschichte Israels - 10. Yasser Arafat und die PLO

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10. Yasser Arafat und die PLO

Doch die Palästinenser konnten, durften nicht vergessen, was man ihnen angetan hatte. Aber statt ihre Wunden zu verbinden und begütigend auf sie einzuwirken, wurden sie zum Spielball der arabischen Politik, und das bis auf den heutigen Tag. Statt ihnen auf die Beine zu helfen, bekamen sie lediglich politische Unterstützung. Auf Initiative des Primus der arabischen Führer, des ägyptischen Präsidenten Nasser, wurde 1964 in Jerusalem die PLO gegründet. Als Dachorganisation aller palästinensischen Gruppierungen sollte sie die Palästinenser in der Welt, insbesondere in der arabischen Liga vertreten, und so zur Keimzelle des künftigen palästinensischen Staates werden. Die stärkste Fraktion in der PLO war damals die Fatah, damals eine Guerillaorganisation, die 1959 in Kuweit ein Mann mitgegründet hatte, der wie kein zweiter für das Verhängnis der Region verantwortlich werden sollte: der Palästinenserführer Yasser Arafat.

Arafat wurde 1929 geboren, vermutlich in Kairo. Das ist insofern unsicher, weil er es liebte, seine Person in Mythen einzuhüllen und über den Ort seiner Geburt immer wieder divergierende Angaben zu machten. Angesichts der vielen Attentate, die auf ihn verübt wurden, muss er wohl mehrere Leben gehabt haben. Als gesichert kann gelten, dass seine Eltern aus angesehenen Jerusalemer Familien stammten und dass er ein entfernter Verwandter des ehemaligen Großmuftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini war; dieser wurde zu seinem Mentor, den er zeitlebens verehrte. Im Krieg von 1948 kämpfte er mit, und zwar als Soldat einer palästinensischen Einheit, die geschlagen wurde und die sich von der ägyptischen Armee verraten fühlte. Nach dem Krieg studierte Arafat in Kairo Elektrotechnik. 1956 nahm er als ägyptischer Soldat am Suezkrieg teil, und zwar als Leutnant und pikanterweise als Sprengstoffexperte. Als ausgebildeter Ingenieur ging er nach Kuweit, wurde ein erfolgreicher Unternehmer und einer der Mitbegründer einer revolutionären Zelle, aus der im Jahr 1959 schließlich die Fatah hervorgehen sollte. Im Jahr 1968 wurde er ihr Vorsitzender.

Von allem Anfang an sahen Arafat und seine Fatah den bewaffneten Kampf als das Mittel an, die palästinensische Unabhängigkeit zu erreichen. Dass dieser Kampf in Form von Terroranschlägen erfolgte, ist die logische Konsequenz aus dieser Sicht, denn wie soll ein totaler militärischer Underdog anders kämpfen als mit Terror?

Ab 1964 führten die Fedaijin der Fatah Terroranschläge auf Israel aus, wobei sie von jordanischem Gebiet aus operierten, hauptsächlich wohl von der damals noch von Jordanien besetzten Westbank. Das änderte sich nach dem Sechstagekrieg von 1967, als die Jordanier von der Westbank vertrieben wurden und diese von Israel besetzt wurde. Damals gingen viele Palästinenser über den Jordan, unter ihnen auch die PLO und die Fatah.

1968 unternahmen die Israelis, die es verständlicherweise leid waren, die vielen Nadelstiche, die ihnen die Fatah schon zugefügt hatte, noch länger unbeantwortet hinzunehmen, eine Kommandoaktion auf die am Ostufer des Jordan gelegene Stadt Karame, in der sich ein mit 30.000 Palästinensern besetztes Lager befand, das von der UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der UNO, betreut wurde.

Die Kommandoaktion war ziemlich groß geraten, denn es waren 15.000 israelische Soldaten an ihr beteiligt, was von den Jordaniern bemerkt und als möglicher Angriff auf ihre Hauptstadt Amman gedeutet wurde. Also setzte das Land Teile seiner Armee in Bewegung und unterstützte die Kämpfer der Fatah bei der Verteidigung des UNHCR-Lagers. Die Israelis setzten über den Jordan und zerstörten nach erbittert geführten Kämpfen, in denen viele Kämpfer, aber naturgemäß auch viele Unbeteiligte, getötet wurden, das Lager. Mehr jedoch erreichten die Israelis nicht. Sie wollten auch nicht mehr erreichen, denn sie zogen sich, nachdem sie das Lager zerstört hatten, hinter den Jordan zurück. Das ermöglichte den arabischen Verteidigern, den Ausgang des Gemetzels als einen arabischen Sieg auszugeben. Arafat, der Fersengeld gegeben hatte, als es brenzlig wurde, und rechtzeitig geflohen war, wurde deshalb als Held der Stunde gefeiert. Mit diesem Prestige an politischem Kapital konnte er schon bald die Macht in der PLO übernehmen, denn er wurde ein knappes Jahr später zu ihrem Chef gewählt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod im Jahr 2004 innehaben sollte.

Mit Arafat an der Spitze verschob sich der politische Schwerpunkt der PLO, und zwar weg vom Politischen und hin zum Militärischen. Erklärtes Ziel der PLO wurde der Kampf um die Errichtung eines palästinensischen Staates, der das gesamte ehemalige britische Mandatsgebiet umfassen sollte, also Israel, das Westjordanland, aber auch Jordanien. Entsprechend änderte sich das Auftreten der PLO, denn sie gebärdete sich in ihrem Gastland Jordanien wie ein Staat im Staate. Dass dies der jordanischen Regierung unter König Hussein nicht gefallen konnte, ist klar. Als auch noch die marxistisch-leninistische Demokratische Front zur Befreiung Palästinas ein Attentat auf den König verübte, war das Maß voll und die Tage Arafats und seiner PLO in Jordanien gezählt. Es kam zum Krieg der PLO mit der jordanischen Armee, der unter dem Namen „Schwarzer September“ bekannt wurde. Als die Jordanier am 17. September einen vom ägyptischen Präsidenten Nasser vermittelten Waffenstillstand zustimmten, hatten sie große Teile des jordanischen Territoriums wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Doch erst im Sommer des nächsten Jahres gab die PLO endgültig auf. Der Krieg kostete einigen Tausend Palästinensern das Leben; darunter waren nicht nur Kämpfer, sondern, wie oft im Nahen Osten, auch zahlreiche Zivilisten. Arafat floh in die Arme Präsident Nassers nach Kairo, seine PLO wurde vertrieben und ging in den Libanon, der von da an ihre neue Operationsbasis werden sollte.

Der jordanische Bürgerkrieg löste große Schockwellen in der arabischen Welt aus. Wenige Tage nachdem er den erwähnten Waffenstillstand vermittelt hatte, starb überraschend Gamal Abdel Nasser an einem Herzinfarkt. Ist es abwegig anzunehmen, dass ihm das Herz brach, als er zusehen musste, wie sich Araber, die er vereinigen wollte, untereinander blutig bekämpften? Die Schockwellen erreichten auch andere arabische Länder. In Syrien, das am Bürgerkrieg auf der Seite der PLO teilgenommen hatte, kam es zu einem Machtwechsel, denn Hafiz al-Assad wurde neuer syrischer Präsident. Und im Irak konnte Saddam Hussein seinen Rivalen um die Macht ausschalten. Bald würde er sich zum unumstrittenen Herrscher des Landes aufschwingen können.

Nachzutragen wäre noch ein für Deutsche oder Deutschsprachige interessantes Detail. Im Sommer 1970, also wenige Monate vor dem Ausbruch des jordanischen Bürgerkrieges, hielten sich etwa zwanzig Angehörige der RAF, also der Rote-Armee-Fraktion, in einem jordanischen Camp der Fatah auf und erhielten dort ihre Grundausbildung in den Fertigkeiten, die im Guerillakampf von Nutzen sind. Unter denen, die sich einschlägig ausbilden ließen, waren die Spitzen der RAF, also Bader, Meinhof, Mahler und Ensslin.

Yasser Arafat: Man könnte ihn einen Rodeoreiter nennen, der es verstand, sich immer auf dem Rücken seines ungesattelten Reittieres zu halten, ungeachtet der Bocksprünge, die dieses ausführte. Das ist nur möglich, wenn der Reiter auf diese Sprünge nicht nur reagiert, sondern sie auch rechtzeitig antizipiert. Ohne diese Fähigkeit wäre er, wie viele Revolutionäre vor ihm, bei vielen Gelegenheiten vom Untier, das er ritt, abgeworfen worden und hätte sich den Hals gebrochen. Dass er den palästinensischen Karren in die schier ausweglose Situation, in der sich dieser heute befindet, gefahren hat, liegt daher auf der Hand. Er hätte Kompromisse mit Israel machen müssen, um zu einer tragfähigen Lösung zu kommen. Das hat er in seinen späteren Jahren zwar mehrere Male zu tun versucht, seine Zugeständnisse aber sofort wieder zurückgenommen, als er den Bocksprung seiner Basis bemerkte. Wie soll man Kompromisse machen, wenn es innerhalb der eigenen Reihen Kräfte gibt, die jeden Kompromiss, und sei er noch so weise, als Verrat brandmarken? Und Verrat ist nicht nur im Nahen Osten ein tödlicher Vorwurf. Will man ein Bild für die PLO? Nun, man kann sie mit der Hydra aus der griechischen Mythologie vergleichen, der für jeden Kopf, den man ihr abschlägt, deren zwei nachwachsen. David kann zwar den Goliath besiegen, nicht aber die Hydra. Das konnte nur Herakles …

Ich habe einst folgende Geschichte gelesen, die, sollte sie nicht wahr sein, zumindest schön erfunden ist. Als die Mongolenfürsten im Jahr 1251 einen neuen Großkhan wählen mussten ― der alte Großkhan war gestorben―, entschieden sie sich für Möngke, und zwar deshalb, weil sie diesem mehr als den anderen Kandidaten die Fähigkeit zutrauten, die Leidenschaften des mongolischen Volkes sowohl zu wecken, als auch, wenn es nötig sein sollte, zu dämpfen. Die Leidenschaften der Palästinenser zu wecken: Das verstand Arafat in hohem Maße; sie auch zu dämpfen, wenn das geboten gewesen wäre, hingegen nicht. . .

Warum gingen Arafat und seine PLO nach dem Schwarzen September in den Libanon und nicht etwa nach Ägypten oder Syrien? Die Erklärung ist einfach: Abgesehen vom Umstand, dass man sie dort gar nicht haben wollte ― wer will schon so schwierige Gäste ―, wollte wohl auch die PLO nicht. In Ägypten oder Syrien wäre sie ja nur eine vernachlässigbare Größe gewesen, denn diese Länder hatten eine gefestigte staatliche Struktur, besonders im Militärischen. Der Libanon hingegen war zersplittert und militärisch schwach, er ist es bis heute. Nicht von Ungefähr konnte er sich weder am Krieg von 1948 noch an dem von 1967 beteiligen. Gegen das Eindringen der PLO konnte sich das Land daher nicht wehren. Bis zum Eintreffen der PLO wurde das Land als die Schweiz des Orients angesehen. Heute liegt der Libanon in Trümmern.

Von ihrem libanesischen Refugium aus unternahm die PLO weiterhin das, was damals ihre Kernkompetenz ausmachte, nämlich Terroranschläge; mit diesen sorgte sie dafür, dass der vergesslichen Weltöffentlichkeit die ungelöste Palästinafrage gegenwärtig geblieben ist. Jedes Mal, wenn ich in ein Flugzeug steige und mich über die entwürdigenden Prozeduren beim Einchecken ärgere, ärgere ich mich im Grunde genommen über Abu Ammar, also über Yasser Arafat, denn diese Prozeduren sind die Reaktion auf die vielen Flugzeugentführungen, die auf das Konto der PLO gehen.

Der spektakulärste derartige Anschlag war wohl der, den die radikale Fraktion der PLO „Schwarzer September“ auf die israelischen Teilnehmer an den olympischen Spielen im Jahr 1972 in München verübte. Er endete mit einer Katastrophe, denn bei dem Versuch der deutschen Sicherheitskräfte, die von den Terroristen als Geiseln genommenen Mitglieder des israelischen Olympiateams zu befreien, kamen 15 Menschen ums Leben, darunter neun Geiseln und ein bayrischer Polizist.

Die Forderungen der Geiselnehmer an die israelische Regierung, alle in Israel gefangenen Palästinenser freizulassen, hatte diese abgelehnt und den Deutschen grünes Licht für ihren Befreiungsversuch gegeben. Das erste Mal wurde sichtbar, was die Politik aller israelischen Regierungen sein sollte, nämlich Erpressungen auf keinen Fall nachzugeben und lieber den Tod von Geiseln in Kauf zu nehmen, als sie lebend in den Händen von Terroristen zu wissen.

Diese Härte hatte die deutsche Regierung unter Willy Brandt noch nicht, denn als wenige Wochen später ein anderes palästinensisches Kommando ein deutsches Flugzeug entführte und die Freilassung der drei überlebenden Terroristen von München forderte, gab sie nach und ließ die drei ziehen. Erst fünf Jahre später unter dem Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte sie die israelische Position für sich adoptiert, denn als damals eine marxistisch-leninistische Fraktion der PLO eine Lufthansa-Maschine nach Mogadischu entführte und die Freilassung der in einem deutschen Gefängnis einsitzenden RAF-Terroristen forderte, ließ sie die Maschine von einer inzwischen aufgestellten Spezialeinheit stürmen und befreite die Geiseln, ohne dass eine von ihnen ums Leben gekommen wäre. Die Terroristen, die freigepresst werden sollten, waren ausgerechnet jene RAF-Mitglieder, die sich 1970 in einem PLO-Lager in Jordanien ausbilden hatten lassen, also Brüder und Schwestern der Flugzeugentführer im Geiste. Als bekannt wurde, dass der Versuch, sie zu befreien, gescheitert war, begingen sie Selbstmord. Zumindest ist das die offizielle Version, denn die Simultanität der Suizide erstaunt einen nüchternen Beobachter schon. Der Verdacht, dass man dabei nachgeholfen habe, um ein Sicherheitsrisiko aus der Welt zu schaffen, ist daher nicht unbegründet. Erfahren freilich wird man das wohl nie.

Die Härte der deutschen Regierung hatte die österreichische unter Bruno Kreisky nicht. Denn als wenig später ein internationales Terrorkonsortium in Wien das Gebäude der OPEC überfiel und Geiseln nahm, gab sie den Terroristen nach und ermöglichte ihnen und ihren ausländischen Geiseln die Ausreise ins Land ihrer Wahl; soweit die Geiseln österreichische Staatsbürger waren, wurden sie von den Terroristen freigelassen. Als Ehrenrettung für das Handeln der Österreicher muss freilich erwähnt werden, dass sich unter den Geiseln mehrere OPEC-Minister befanden; ein hartes Vorgehen Kreiskys hätte zu unabsehbaren diplomatischen Verwicklungen geführt und Wien als Ort der Begegnung schwer beschädigt. Der Druck auf den leidenschaftlichen Außenpolitiker Kreisky muss deshalb enorm gewesen sein.

Ein skurriles Detail zu erwähnen, kann ich mir nicht verkneifen. Die Abreisenden wurden am Flugplatz vom österreichischen Innenminister per Handschlag verabschiedet. Einen warmen ministeriellen Händedruck erhielt auch der Anführer der Terroristen, der unter dem Namen „Carlos“ internationale Bekanntheit erlangte. Ungeklärt ist, wer hinter dem Anschlag steckte. Wahrscheinlich war es nicht die PLO, sondern Libyen.