Kleine Geschichte Israels - 4. Zwischenkriegszeit

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4. Zwischenkriegszeit

Es gibt den Witz, wo ein Jude einem anderen sagt: „Wenn uns die Engländer schon ein Land schenken, das ihnen nicht gehört ― warum haben sie uns nicht die Schweiz geschenkt?“ ― Das Fell des Löwen zu verteilen, bevor dieser zur Strecke gebracht werden konnte, war gängige Praxis des damaligen Hegemons England. Schon drei Jahre vor Kriegsende hatten sich England und Frankreich also darüber verständigt, was nach der Niederlage des osmanischen Reiches mit dessen arabischen Provinzen geschehen soll und diese unter sich aufgeteilt. Die Franzosen sollten das Gebiet des heutigen Syriens und des Libanon als Mandat zugesprochen bekommen, die Engländer aber die Gebiete des heutigen Iraks, Jordaniens und Palästinas. So ist es schließlich gekommen. Es ist sehr verständlich, dass das Sykes-Picot Abkommen, benannt nach den beiden Diplomaten, die es aushandelt hatten, geheim gehalten wurde, denn es stand im krassen Widerspruch zu den Versprechungen, die die Engländer den Arabern gemacht hatten. Um sie zum Aufstand zu bewegen, hatte man ihnen nach Kriegsende die Errichtung eines Staates in Aussicht gestellt, der alle arabischen Provinzen des besiegten osmanischen Reiches umfassen sollte. Nun, da die Araber ihre Schuldigkeit getan hatten und der altersschwache osmanische Löwe zur Strecke gebracht war, wollten die kolonialistischen Sieger davon nichts mehr wissen.

England und Frankreich waren damals die führenden Kolonialmächte ― mit Völkern und Provinzen zu jonglieren lag ihnen daher im Blut, und das auf eine Weise, die heute kaum mehr verständlich ist. So wurden nicht nur den Arabern und den Juden Versprechungen gemacht, sondern auch den Italienern, die für den Wechsel auf die Seite der Entente Teile der osmanischen kleinasiatischen Inselwelt bekommen sollten, zum Beispiel Rhodos, aus der Konkursmasse der Habsburgermonarchie aber Südtirol und Dalmatien.

Inwiefern die Verträge, welche die Sieger des Weltkriegs in Versailles und Saint Germain mit den Besiegten geschlossen haben, Mitschuld an der Katastrophe des Zeiten Weltkriegs tragen, will ich hier nur andeuten, indem ich an Churchill erinnere, der von den Torheiten der Sieger sprach. Im Nahen Osten hatten sich die kolonialistischen Jongleure jedenfalls übernommen ― zu viele Bälle waren in der Luft zu halten, zwangsläufig musste es früher oder später zu Kollisionen unter ihnen kommen.

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Das Völkerbundmandat für Palästina war mit dreißig Jahren befristet. Spätestens nach Ablauf dieser Frist, also spätestens 1948, sollten sich die Engländer zurückziehen und mehr oder weniger souveränen, freilich erst zu schaffenden Staatsgebilden Platz machen. Einstweilen hielt man, westlich-kolonialistisch-überheblich wie man war, die Araber für eine Staatsgründung noch nicht reif.

Ihre Mandatsgebiete teilten die kolonialistischen Sieger nach eigenem Gutdünken auf. Einen einzigen Staat, der das Mandatsgebiet sowohl der Engländer als auch der Franzosen umfasst hätte, kam für die nach der Maxime divide et impera handelnden Engländer und Franzosen selbstverständlich nicht in Frage. Viel besser war aus ihrer Sicht die Errichtung von mehreren Staaten. Diese würden, so das Kalkül, ewig miteinander streiten, zu einer gemeinsamen Aktion kaum fähig und immer auf die Mandatsmächte als Schiedsrichter angewiesen sein. Deshalb teilten die Franzosen ihr Mandatsgebiet, auf dem es heute zwei Staaten gibt, nämlich Syrien und den Libanon, sogar in fünf Teile auf.

Ähnlich verfuhren auch die Engländer, die ihr Mandatsgebiet drittelten. So entstand der heutige Irak; Palästina aber wurde geteilt und zwar in Transjordanien, das heutige Jordanien, und Cisjordanien, also das Land westlich des Jordans, welches das Gebiet des heutigen Israel samt der von Israel besetzten Westbank umfasste.

Palästina war dünn besiedelt. In Cisjordanien standen 1920 nach Schätzungen der Engländer etwa 600.000 Araber 66.000 Juden gegenüber. Wie viele Menschen um diese Zeit in Transjordanien lebten, konnte ich nicht herausfinden. Im Jahr 1950 waren es noch weniger als eine halbe Million. Heute haben sich diese Zahlen mehr als verzehnfacht.

Vordringliche Aufgabe der Engländer war es, lokale Autoritäten zu finden, die die Teile ihres Mandatsgebietes verwalten und als englische Marionetten regieren sollten. Was Jordanien betrifft, so erinnerten sich die Engländer des Großscherifs von Mekka und an die Versprechungen, die man ihm während des Krieges gemacht hatte, und setzten, als Trostpflaster für das nicht zustande gekommene Großarabien gleichsam, seinen Sohn Abdallah, Iraks Kurzzeitkönig, als Emir ein. Als 1946 Jordanien die volle Unabhängigkeit erlangte, ließ sich Abdallah zum König krönen und begründete eine Dynastie, die bis zum heutigen Tag auf dem jordanischen Thron sitzt.

Im Fall von Jordanien war das englische nation building, wie man das heute nennen würde, noch einigermaßen erfolgreich, im Fall des künftigen Iraks war es geradezu katastrophal. Was diesen betrifft, so wurden drei ehemalige osmanische Provinzen zu einem politischen Gebilde „verschmolzen“, wie es in der Wikipedia euphemistisch heißt, und zwar die mehrheitlich von Kurden bewohnte Provinz Mossul im Norden, die sunnitische Provinz Bagdad in der Mitte und die schiitische Provinz Basra im Süden. Treffender wäre freilich die Bezeichnung, die drei heterogenen Provinzen wären von den Engländern zusammengeklebt worden, und das mit Spucke und mit Kaugummi, so brüchig erwies sich das entstandene politische Gebilde. Schon 1920 kam es im Irak zu einem Aufstand, der von den Engländern zwar blutig niedergeschlagen wurde, der aber so heftig ausfiel, dass die Engländer ihren kolonialistischen Würgegriff lockern und dem Land eine größere Unabhängigkeit gewähren mussten. In ihrer Bedrängnis erinnerten sie sich an Faisal, den von den Franzosen verjagten Kurzzeitkönig von Großsyrien, der wie gesagt im englischen Exil lebte. Auf Vorschlag Winston Churchills, dem damaligen englischen Kolonialminister, machte man ihn im Jahr 1921 zum König des hybriden Gebildes Irak. Aufgrund dieser Lockerungen und aufgrund des Umstandes, mit Faisal einen direkten Abkömmling des Propheten als König zu haben, erlangte der Irak bald eine gewisse Autonomie, sodass er bereits 1930 in den Völkerbund aufgenommen wurde. Doch ist seine Leidensgeschichte auch heute, ein Jahrhundert später, noch nicht zu Ende.

Auch die Leidensgeschichte des kurdischen Volkes dauert noch an. Mit diesem Teil aus der osmanischen Kriegsbeute sollte wohl der Weltkriegsverbündete der Engländer und Franzosen, das russische Zarenreich, bedacht werden. Doch dieses war in der russischen Revolution untergegangen, das bolschewistische Gebilde aber, zu dem es sich wandelte, war der neue Feind der Franzosen und Engländer. Doch da diese nicht wussten, was sie mit der Provinz Mossul machen sollten, wurde diese zunächst zur französischen Einflusszone erklärt, später ― als man sich über die Aufteilung der entdeckten Erdölvorkommnisse geeinigt hatte ― zur englischen. Schließlich wurde die Provinz durch einen Völkerbundbeschluss zum englischen Mandatsgebiet erklärt und dem Irak angeklebt. Ein souveränes Kurdistan wäre ja ein reiner Binnenstaat gewesen und als solcher den Engländern ein Gräuel, da er immun gewesen wäre gegen die klassische englische Kanonenbootpolitik. Als Teil des Iraks aber blieb den Engländern ein Einfluss, den sie sonst nicht gehabt hätten.

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Im Irak erzeugte das nation building der Engländer ein Desaster, das bis heute andauert und wohl noch auf unabsehbare Zeit andauern wird. Nicht viel anders war es in Palästina. Wie in Jordanien und im Irak begaben sich die Engländer zunächst auf die Suche nach einer lokalen Autorität, die das Land unter ihrer Oberhoheit regieren sollte, und glaubten, diese in der Person von Mohamed Amin al-Husseini gefunden zu haben. Vom britischen Hochkommissar für das Völkerbundmandat Palästina, dem Juden Sir Samuel Herbert, wurde dieser zum Großmufti von Jerusalem ernannt, was einer gewissen Pikanterie nicht entbehrt, denn früher wäre die Ernennung eines Muftis ― ein solcher war unter den Osmanen eine Art oberster Richter eines Verwaltungsbezirkes ― die Obliegenheit des Kalifen, also des Sultans in Istanbul gewesen. Der Titel, mit dem Husseini bedacht wurde, sollte zum Ausdruck bringen, dass sich dessen Autorität über ganz Cisjordanien erstrecken sollte, und zwar von Jerusalem als Hauptstadt aus.

Die Ernennung Husseinis war ein Missgriff, denn dieser war ein kompromissloser Gegner des Zionismus, der die jüdische Einwanderung mit Misstrauen, ja mit Feindschaft beobachtete. Er wollte nur solche Juden in Palästina dulden, die noch unter osmanischer Herrschaft, also bis 1917, ins Land gekommen waren. Alle anderen Einwanderer sollten wieder gehen, neue erst gar nicht kommen. Schon während der Unruhen des Jahres 1920 spielte er eine führende Rolle, wofür er von den Engländern zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Schon bald wurde er vom englischen Hochkommissar begnadigt und trotz seiner unzureichenden religiösen Ausbildung zum Großmufti von Jerusalem gemacht.

Die Juden verhielten sich in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg defensiv, wobei sie zwei Hauptziele verfolgten: erstens die Zahl der jüdischen Einwanderer zu steigern, zweitens aber still und heimlich die Strukturen vorzubereiten, welche ihre ins Auge gefasste „Heimstätte“, wie es in der Balfour-Deklaration heißt, tragen sollten. Deren erste und wichtigste war wohl die Hagana.

Es ist schwer zu sagen, ob diese „Heimstätte“ von allem Anfang an und von allen schon als Staat gedacht war, ob mit diesem euphemistischen und ach so gemütlichen Ausdruck womöglich das eigentliche Ziel des Zionismus verschleiert hätte werden sollen: der Judenstaat des zionistischen Theoretikers Theodor Herzl. Dieser hatte Palästina zwar bereist, hatte in Palästina sogar die Hand des dort auf Besuch weilenden deutschen Kaisers Wilhelm II gedrückt; doch konnte er, was seinen „Judenstaat“ betrifft, diesem keine Zusage abringen, denn Palästina war damals noch Teil des mit Wilhelm verbündeten osmanischen Reiches, daher eine innere Angelegenheit desselben. Allzu genau scheint sich Herzl in Palästina nicht umgesehen zu haben, denn es ist schwer vorstellbar, wie es in diesem Fall den berühmten Slogan „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ hätte geben können. Aber was weiß man? Die Protagonisten des Projekts hatten zur Wahrheit ein taktisches Verhältnis; sie gaben ihr die Ehre nur, solange sie ihnen und ihren Zwecken nützlich war.

Jedenfalls war die Besiedlung Palästinas durch jüdische Einwanderer mit einigen Romantizismen begleitet. So verkündete David Ben Gurion in einer historischen Abhandlung, die autochthonen Araber Palästinas wären die islamisierten Nachkommen jener Juden, die im Land geblieben wären, nachdem die Römer im Jahr 70 nach Christus beziehungsweise rund 60 Jahre später den jüdischen Staat zerschlagen hätten; sie wären also Verwandte der ins Land strömenden Juden und würden diese daher freundlich empfangen. Als Jude hätte er wissen müssen, wie schlecht sich Verwandte vertragen, denn die Geschichte beginnt mit einem Brudermord.

Ben Gurion wiederholte nur, was, wie schon erwähnt, der andere Gründervater Israels, sein erster Staatspräsident Weizmann, 1919 in seinem Pariser Abkommen mit dem Haschimitenprinzen Faisal zum Ausdruck gebracht hatte. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass sich der mit allen Wassern gewaschene Ben Gurion über die Reaktion der palästinensischen Araber auf die verstärkte jüdische Zuwanderung irgendwelche Illusionen machte. Seine Annäherung an die historische Wahrheit hatte daher eher den Zweck, die Araber freundlicher zu stimmen oder zumindest ihre Aversion zu dämpfen. Aber auch die Bedenken einwanderungswilliger Juden waren zu zerstreuen, denn diese werden sich gewiss Sorgen gemacht haben, wie sie im fremden fernen Land aufgenommen werden würden.

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An die Gründung eines jüdischen Staates war vorerst noch nicht zu denken; zu klein war noch die Zahl der Juden, die ins Land gekommen waren. Zwar wollte man einen Judenstaat, aber nur unter der Bedingung, dass die Mehrheit seiner Bevölkerung jüdisch wäre. Von Arabern majorisiert zu werden: Das wollte man verständlicherweise auf keinen Fall. Zwar gab es immer wieder Versuche der zionistischen Führung um David Ben Gurion, mit den palästinensischen Arabern ins Einvernehmen zu kommen, doch alle Gespräche scheiterten, ja zerschellten immer wieder an zwei Fragen: Erstens, wie viele Juden noch ins Land kommen sollten, zweitens aber an der Frage des jüdischen Landerwerbs, welchen die Araber genehmigungspflichtig machen wollten.

Was die erste Frage betrifft, so fürchteten auch die besonnensten unter den arabischen Führern, von den Juden immer stärker marginalisiert zu werden, sollte die Immigration in dem Tempo weitergehen. Die Juden waren den Arabern zivilisatorisch überlegen, daran konnte nicht gezweifelt werden. Aufgrund ihrer internationalen Kontakte konnten sie Kapital aufnehmen und die für die Modernisierung des Landes notwendigen Investitionen finanzieren. Vor allem wäre davon die Landwirtschaft betroffen gewesen. Um die rasch wachsende Bevölkerung des Landes zu ernähren, wären Strukturreformen zwingend notwendig geworden. Die kleinbäuerliche Struktur der arabischen Bauern hätte mehr und mehr zugunsten von Großbetrieben weichen müssen, und man würde genötigt sein, moderne Produktionsmethoden einzuführen. Welch andere Zukunftsperspektive bliebe da den von ihrer Scholle verdrängten Arabern als die der Rolle von billigen Lohnarbeitern auf den Gütern und in den Fabriken der jüdischen Kapitalisten? Der schlimmste Alptraum der arabischen Führer aber war, dass es in der großen weiten Welt weit mehr als zehn Millionen Juden gab, die alle von den Zionisten stark umworben wurden, die sich daher von Palästina das Blaue seines Himmels und seines Meeres erhofften und erträumten. Nicht auszudenken, wenn alle kommen sollten! Jedenfalls würde es ohne eine wirksame Beschränkung der jüdischen Immigration bald ein großes Gedränge im Land geben, in dem die Araber der schwächere Teil wären.

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Den Zionisten hingegen ging alles nicht schnell genug. Als es 1948 zur Staatsgründung kam, lag die Zahl der Juden noch weit unter einer Million. Zwar nützten die Zionisten die Zeit, von den Arabern dabei misstrauisch beobachtet, für ihre Zwecke. Die Stadt Tel Aviv wurde ausgebaut, die hebräische Universität in Jerusalem gegründet, Weizmann wurde ihr erster Präsident. Mit der Gründung der Jewish Agency im Jahr 1929 wurde der Keim für die späteren staatlichen Strukturen gelegt, Ben Gurion wurde einer ihrer ersten Vorsitzenden. Erwähnt werden muss auch noch die Einführung einer neuen Staatssprache, und zwar des Iwrit, einer modernisierten Wiederbelebung des als Verkehrssprache ausgestorbenen Hebräischen. Da Juden aus vieler Herren Länder nach Palästina strömten, wäre es ohne eine gemeinsame Sprache bald zu einer Babylonischen Sprachverwirrung gekommen.

Die Jewish Agency gewann schnell an politischem Gewicht, denn sie wurde bald nach ihrer Gründung die Vertretung der Juden Palästinas im Völkerbund; darüber hinaus diente sie der englischen Mandatsverwaltung als Ansprechpartner. Ihre Hauptaufgabe aber war, die innerjüdischen Angelegenheiten in Palästina zu regeln, vor allem was die jüdische Immigration betraf. Doch ging, wie gesagt, die Einwanderung vielen Zionisten viel zu schleppend vor sich, den Arabern hingegen viel zu schnell.

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Das änderte sich, als 1933 in Deutschland die Nazis an die Macht gekommen waren. Deren antisemitische Politik wurde von vielen Zionisten begrüßt, weil man hoffte, sie würde den deutschen Juden Beine machen und sie zum Aufbruch nach Palästina bewegen. Von den deutschen Juden erhofften sich die Zionisten einiges, denn sie waren in ihren Augen kulturell und zivilisatorisch höherstehend als die osteuropäischen Juden, die bis dato die Einwanderung dominiert hatten. Was die Zionisten erhofften, trat ein, denn im Zeitraum von 1931 bis 1939 stieg die Zahl der Juden von 175.000 auf 460.000. Mit ihr stieg auch der Zorn der Araber.

1937 besuchte Palästina ein finsterer Mann, der später so berüchtigt gewordene und im Jahr 1962 in Israel hingerichtete SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Von seinem Vorgesetzten Reinhart Heydrich war er beauftragt worden, die Lage vor Ort zu erkunden. Mit falschen Papieren ausgestattet, schiffte er sich nach Haifa ein und ging dort an Land. Doch sein Aufenthalt war kurz, denn schon am nächsten Tage musste er, von den Engländern dazu genötigt, unverrichteter Dinge wieder abreisen. Er fuhr weiter nach Kairo und besprach sich dort mit einem hochrangigen Führer der Hagana, der damaligen jüdischen Miliz.

Die Haltung der Nazis zum zionistischen Projekt war zwiespältig. Einerseits war man froh, Juden auf diese Weise loszuwerden; doch jenen, die man für seine geschworenen Feinde hielt, dabei zu helfen, sich in Form eines eigenen Staates ein Machtzentrum zuzulegen und sich dadurch die Sympathie der Araber zu verscherzen: Das ging ihnen zu weit. Immerhin wurde für ausreisewillige deutsche Juden eine Möglichkeit geschaffen, wenigstens einen Teil ihres Geldes nach Palästina zu transferieren. Die Juden mussten es an den deutschen Staat abliefern, welcher mit diesem Geld diejenigen deutschen Exporteure bezahlte, welche Waren nach Palästina lieferten. Der palästinensische Importeur aber, statt den deutschen Exporteur zu bezahlen, zahlte den für die Importe vereinbarten Betrag an die Juden, die aus Deutschland eingewandert waren. Diese Regelung ist unter der Bezeichnung Ha’avara-Abkommen bekannt.

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Im April 1936 entluden sich in Palästina die Spannungen. Anlass dafür war die Ermordung von zwei Juden. Diese Gewalttat wurde mit Gegengewalt beantwortet. Die Ausschreitungen griffen auf Jaffa über, von arabischer Seite wurde der Generalstreik ausgerufen, der Mufti von Jerusalem setzte sich an die Spitze des Aufstandes. Die Engländer, die 20.000 Soldaten in Palästina stationiert hatten, schlugen den Aufstand nieder, wobei sie große Teile der Altstadt von Jaffa zerstörten, denn deren enge und verwinkelte Gassen dienten den Aufständischen als Rückzugsgebiet und als Deckung. Einem heutigen Beobachter kommt das alles allzu bekannt vor.

Der Blutzoll, den diese erste Phase des Aufstandes forderte, war hoch, denn als er ein halbes Jahr später beendet und der Generalstreik eingestellt wurde, zählte man über 300 Tote. Die Engländer, erkennend, was sie sich mit dem Mandat in Palästina aufgehalst hatten, nämlich einen unlösbar scheinenden Konflikt, suchten nach einem Ausweg aus der Misere und setzten eine nach ihrem Vorsitzenden Peel benannte Kommission ein. Da an ein friedliches Zusammenleben der verfeindeten Ethnien kaum mehr zu denken war, hatte diese Kommission die Aufgabe, einen Teilungsplan für Palästina zu erarbeiten. Gemäß diesem Plan sollte Palästina in zwei Staaten aufgeteilt werden. Die Juden sollten das mehrheitlich jüdisch besiedelte Galiläa im Norden sowie einen schmalen Küstenstreifen, der bis rund 50 Kilometer unterhalb von Tel Aviv reichen sollte, erhalten. Das restliche Gebiet, also im Wesentlichen das Westjordanland und den ganzen südlichen Teil des heutigen Israel bis hinunter nach Eilat, sollten die Araber erhalten. Die Engländer wollten sich mit dem Gebiet um Jerusalem und einem schmalen Korridor von Jerusalem zur Mittelmeerküste begnügen. Um die Streithähne nachhaltig zu trennen und die beiden Staaten ethnisch möglichst homogen zu machen, sollte es darüber hinaus Umsiedlungen geben. Im Raum stand auch noch der Anschluss des intendierten arabischen Staates an Transjordanien.

Die Aufnahme dieses aus heutiger Sicht, zumindest aus der meinigen, grundvernünftigen Teilungsplanes war gemischt. Die religiösen Juden wollten sich nicht damit abfinden, dass ihre historischen Gebiete in Judäa und in Samaria arabisch bleiben sollen. Doch ihre maßgeblichen Führer waren bereit, den Plan zu akzeptieren. Chaim Weizmann hat das zugespitzt so ausgedrückt: „Die Juden wären dumm, nicht zu akzeptieren, selbst wenn der jüdische Staat die Größe eines Tischtuches hätte.“ Vor allem aber war mit dem Peel-Bericht die Katze aus dem Sack, und das S-Wort, also das Wort Staat, in einem offiziellen englischen Dokument ausgesprochen.

Auch die Reaktion der Araber auf den englischen Teilungsplan war gemischt. Während viele Gemäßigte bereit waren, ihm zuzustimmen, war es vor allem der Großmufti, der ihn vehement ablehnte; und nicht nur das, er lancierte auch eine Einschüchterungs- und Mordkampagne gegen jene, die für die Umsetzung des Planes waren. Der Großmufti war, wie spätere Palästinenserführer auch, ein intransigenter Maximalist, der keine nach 1917 eingewanderten Juden in Palästina dulden wollte. Maximalisten aber waren insgeheim auch viele jüdische Führer. Auch wenn sie dem Teilungsplan zustimmten, so bedeutete es nicht, dass sie ihr großes Ziel, das ganze Land Israel, aufgegeben hätten. Für sie war der kleine Staat, der ihnen von der Peel-Kommission zugestanden wurde, nur eine Etappe auf dem Weg dorthin, freilich eine äußerst wichtige.

Im Sommer 1937 flammte der Aufstand der Araber erneut auf, und zwar so heftig, dass die Engländer glaubten, drakonische Maßnahmen ergreifen zu müssen, um ihn zu beenden. Illegaler Waffenbesitz wurde bei Todesstrafe verboten, an die hundert Araber wurden gehängt, weil sie dagegen verstoßen hatten. Häuser oder ganze Dörfer, wo man Aufständische entdecken konnte, wurden als Kollektivstrafe dem Erdboden gleichgemacht. Rund dreitausend Juden wurden bewaffnet und als Hilfspolizisten in englischen Dienst gestellt. 300 führende Palästinenser wurden verhaftet, doch der Großmufti konnte sich der Verhaftung entziehen, indem er aus dem Machtbereich der Engländer in den Libanon floh. Von dort setzte er seine Annäherung an Hitlerdeutschland fort, das ihm, seiner antisemitischen Politik wegen, als natürlicher Verbündeter aller Araber erschien. Die Engländer verlangten zwar seine Auslieferung, doch die Franzosen lehnten ab. Die Entente cordiale war wohl nicht mehr so cordiale. Schließlich wurde es dem Großmufti auch im Libanon zu heiß, er floh in den Irak, wo er von der antienglisch eingestellten Bevölkerung begeistert begrüßt wurde. Nach einigen weiteren Stationen kam er im November 1941 schließlich in Berlin an, wo er von Hitler in Ehren empfangen wurde. Er wurde in die SS aufgenommen und durfte sich bis Kriegsende als Nazipropagandist betätigen, indem er sich über einen deutschen UKW-Sender an die arabische Welt wandte, allerdings mit bescheidenem Erfolg. Nach dem Krieg wurde er als Kriegsverbrecher verhaftet, aber nicht angeklagt. Er konnte seinen Häschern schon bald entkommen, fand in Ägypten Asyl und wurde zum Mentor für Yasser Arafat, mit dem er weitläufig verwandt war.

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Die arabische Annäherung an Deutschland, als dessen Symbolfigur der Großmufti anzusehen ist, blieb den Engländern selbstverständlich nicht verborgen. Um die weitere Entwicklung zu verstehen, ist es notwendig, sich kurz die politische Lage in Europa zu vergegenwärtigen. Im Herbst 1938 kam es zu zwei fatalen Ereignissen, deren erstes das Münchner Abkommen war. Unter der Federführung des englischen Premiers Chamberlain wurde den Deutschen, auf einem Silbertablett gleichsam, das Sudetenland zugesprochen, ein Gebiet, das seit dem Vertrag von Versailles zur Tschechoslowakei gehörte. Das zweite Ereignis war die Reichspo-gromnacht im November 1938. Nach dieser, besonders aber nach dem im Frühjahr 1939 erfolgten Einmarsch der Deutschen und ihrer Verbündeten in die amputierte Tschechoslowakei, einem eklatanten Bruch des Münchener Abkommens, musste es den Engländern klar geworden sein, dass ihre Appeasement-Politik gescheitert war und dass sie sich auf einen Krieg mit Deutschland vorzubereiten hätten. Ein unbefriedetes Palästina, das über 20.000 englische Berufssoldaten band, und die Feindschaft der Araber konnten sie sich vor diesem Hintergrund nicht mehr leisten. Eine Änderung ihrer Palästinapolitik, die die verprellten Araber besänftigen sollte, war daher mehr als angebracht.

Das Dokument, das diese Kursänderung wiedergibt, wird als McDonald-Weißbuch bezeichnet. Es wurde im Mai 1939 im Unterhaus debattiert und verabschiedet. Darin stellte die englische Regierung unmissverständlich klar, dass es nicht ihr Ziel sei, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten, sondern dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre einen gemeinsamen Staat der Araber und Juden geben solle. Die jüdische Einwanderung wurde stark eingeschränkt. In den kommenden fünf Jahren wollten die Engländer legal nur noch insgesamt 75.000 Juden nach Palästina einwandern lassen, was den jüdischen Anteil an der Gesamtbevölkerung des Landes auf ein Drittel erhöht hätte. In dem von den Engländern intendierten Staat hätten demnach die Araber eine satte Bevölkerungsmehrheit gehabt. Nach dem Ende dieser Übergangsfrist sollte es überhaupt keine Neueinwanderung von Juden mehr geben, es sei denn, die Araber wären damit einverstanden. Die illegale Einwanderung wollte man völlig unterbinden, weiterer jüdischer Bodenerwerb sollte nur mehr mit Billigung der Mandatsmacht möglich sein. Endlich wurde Tacheles geredet und nicht mehr blumig-unverbindlich wie in der Balfour-Deklaration.

Das McDonald-Weißbuch blieb Grundlage der englischen Politik, bis die Engländer im Jahr 1948, also neun Jahre später, aus Palästina abzogen. Selbstverständlich brachte es die Juden Palästinas auf die Palme(n), die darin einen eklatanten Bruch der Balfour-Deklaration erblickten. Doch diese war weich, ja gummiweich formuliert ― wie hätte sie da brechen können?