11. Die PLO im Libanon und der Krieg von 1982
Die PLO wich also 1970 in den Libanon aus; der Bürgerkrieg, den sie in Jordanien ausgelöst hatte, sollte ihr bald folgen. Die Bevölkerung des Libanon war und ist sehr heterogen zusammengesetzt, denn es gibt in dem Land nicht weniger als 18 anerkannte Religionsgemeinschaften. Noch Mitte des vorigen Jahrhunderts stellten christliche Gruppen die Mehrheit der Bevölkerung des Libanon dar, heute sind bereits zwei Drittel der Bevölkerung islamisch, wobei sich die beiden größten Gruppen, die Sunniten und die Schiiten, die Waage halten.
Diese Zersplitterung des Landes ist die Erklärung dafür, dass sich das Land an den Kriegen der Araber mit Israel nicht beteiligt hat; der einzige Krieg, den ein derartiges Land führen kann, ist der Bürgerkrieg. Und dazu sollte es bald nach dem Eintreffen der PLO kommen. Dass die Präsenz der PLO der Einheit des Landes nicht förderlich war, liegt auf der Hand, denn bald schon lieferten sich die Kämpfer der PLO Gefechte mit diversen libanesischen Milizen, was die ohnehin schon großen Spannungen zwischen den verschiedenen Teilen der libanesischen Bevölkerung unheilvoll verstärkte, die PLO verhasst machte und 1975 einen Bürgerkrieg auslöste, der bis 1990 dauern sollte.
Interventionen der Nachbarn sollten bald folgen. 1976 marschierte Syrien, von der instabilen Lage im Nachbarland beunruhigt, mit 30.000 Mann in den Libanon ein und besetzte das Gebiet nördlich der Linie Beirut-Damaskus, was von Israel und von den USA im Hintergrund zunächst hingenommen wurde. Das Gebiet südlich dieser Linie kontrollierte weiterhin die PLO.
Von ihrer neuen Operationsbasis aus unternahm die PLO immer wieder Anschläge auf israelisches Gebiet, welche Vergeltungsangriffe der israelischen Armee nach sich zogen. Nach dem blutigsten dieser Anschläge Anfang März 1978, bei dem 37 Israelis getötet und über 70 verletzt wurden, drang die israelische Armee mit dem Ziel, die PLO zu zerschlagen, mit großer Macht in den Südlibanon ein und besetzte das Gebiet südlich des Litani-Flusses. Bei den Kämpfen wurden ein- bis zweitausend PLO-Kämpfer getötet und unter der Zivilbevölkerung eine Flüchtlingswelle ausgelöst. Als sich die Israelis auf internationalen Druck hin zurückziehen mussten, überließen sie ihre Stellungen einer christlichen libanesischen Miliz, welche sie bei ihrer Aktion unterstützt hatte. Besonders aus den USA war der diplomatische Druck stark, denn unter dem damaligen Präsidenten Carter war man gerade im Begriff, zwischen Ägypten und Israel das Camp David Abkommen auszuhandeln; Störungen wie die Besetzung des Südlibanon konnte man vor diesem Hintergrund nicht brauchen.
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Es ist nicht die Aufgabe dieser Schrift, die Konvulsionen wiederzugeben, in denen sich der Libanon gewunden hat und die aus ihm, der ehemaligen Schweiz des Nahen Ostens, das gemacht haben, was er heute ist: einen failed state. Erwähnt werden soll nur noch der Libanonkrieg von 1982, weil er zum Ende der Präsenz der PLO im Land geführt hat.
Am Vorabend des Waffenganges von 1982 war die Lage im Nahen Osten verworren wie selten zuvor. In Washington hatte der kalte Krieger Ronald Reagan den menschenfreundlichen Jimmy Carter als Präsidenten der USA abgelöst. In Ägypten hatten die Moslembrüder Präsident Sadat ermordet, und der Irak war in einen mörderischen Krieg gegen den Iran verwickelt. Was Syrien betrifft, so hatte sich das Land unter Präsident Assad an die damals noch existierende Sowjetunion angenähert und war von ihr bewaffnet worden. Seit 1976 standen, wie schon erwähnt, syrische Truppen im Libanon, was von den Israelis hingenommen wurde, weil sich die syrische Militärpräsenz auf den Norden des Landes beschränkte, während sich in dem an Israel grenzenden Süden des Landes die PLO mit einer christlichen Miliz, der mit Israel verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA), um die Kontrolle des Gebietes stritt.
Auch in Syrien selbst war die Lage alles andere als stabil. An der Grenze zu Jordanien knisterte es, im Land waren die Moslembrüder aktiv und stellten die Herrschaft der Baath-Partei des Präsidenten in Frage. Als Syrien zu ihrer Unterdrückung einen Teil seiner im Libanon stationierten Truppen abzog, glaubten die christlich-libanesischen Phalange-Milizen ihre Stunde für gekommen und überfielen die im Land verbliebenen Syrer. Als die Syrer zum Gegenangriff übergingen, riefen die Milizen die Israelis zu Hilfe. Diese ließen sich nicht lange bitten und schossen zwei syrische Hubschrauber ab, was von den Syrern mit der Aufstellung von Flugabwehrraketen sowjetischer Bauart beantwortet wurde. Als nach einer Serie von Attentaten auf israelische Diplomaten auch noch an die hundert Katjuscha-Raketen auf Galiläa abgefeuert wurden, war das Maß voll, der casus belli für Israel gegeben. Im Libanon stationiere Flugabwehrraketen konnten von den Israelis nicht hingenommen werden, denn das hätte die Kernkompetenz ihrer Armee, nämlich Feinde von der Luft aus zu erledigen, in Frage gestellt. Mit 76.000 Mann und weit über tausend Panzern drangen sie, teils von Galiläa aus, teils indem sie Truppen an der libanesischen Küste landeten, am 4. Juni in den Süden des Libanon ein und marschierten nach Norden. Auf ihren Vormarsch wurden sie entlang der Küste von den Kämpfern der PLO erbittert bekämpft. Als die israelische Armee auf die Höhe der Linie Beirut-Damaskus vorgedrungen war, stieß sie auf die Stellungen der Syrer, vermied es aber zunächst, diese anzugreifen, denn nach israelischer Lesart galt der Militärschlag ja der PLO und ihrem Terror, nicht aber Syrien. Mit der israelischen Übermacht konfrontiert, verhielten sich die Syrer zunächst ruhig.
Am vierten Tag der Operation erhielt die israelische Armee jedoch von ihrer Regierung grünes Licht, griff die Syrer massiv an und fügte ihnen eine schwere Niederlage zu. Auf Druck der beiden Supermächte bot Israel den Syrern zwei Tage später einen Waffenstillstand an, den diese annahmen, wodurch sie ihre militärische Niederlage kaschieren konnten.
Die Kämpfe mit der PLO im Raum Beirut aber gingen weiter, ein zwei Tage später ausgerufener Waffenstillstand erwies sich als brüchig. Beirut wurde von der israelischen Armee eingeschlossen, aber auf amerikanischen Druck hin von ihr nicht betreten. In der Stadt selbst lieferten sich die PLO mit christlichen Milizen erbitterte Kämpfe, in die auch die israelische Luftwaffe eingriff. Die Folge dieser Kämpfe waren starke Zerstörungen. Schließlich kam es am 25. Juni auch im Raum Beirut zu einem Waffenstillstand.
Am selben Tag hatte Präsident Reagan seinen Außenminister ausgewechselt. Ziel seiner Politik war es nun, die PLO aus dem Libanon zu entfernen und damit den Grund für die israelische Präsenz im Land aus der Welt zu schaffen. Doch zunächst wollte kein arabisches Land die PLO-Kämpfer aufnehmen. Da die Kämpfe aber immer wieder aufflammten und da sich schließlich Tunesien bereit erklärte, der PLO Asyl zu gewähren, zwangen die USA Israel, die Entsendung einer multinationalen Streitkraft, bestehend aus amerikanischen, englischen französischen und italienischen Soldaten, zu akzeptieren. Diese sollte den Abzug der PLO überwachen. Bis Anfang September verließen über 10.000 PLO-Kämpfer Beirut in Richtung Tunis, wo die PLO ihr neues Hauptquartier einrichtete. Damit war die Mission der multinationalen Streitkräfte erfüllt, und sie konnten abziehen.
Sie sollten bald wieder kommen, denn sowohl die Israelis als auch die Syrer weigerten sich, dem von den USA geforderten Abzug aus dem Libanon nachzukommen. Als der neugewählte libanesische Präsident einem Bombenattentat zum Opfer fiel, drangen israelische Truppen in Beirut ein und umstellten die Flüchtlingslager der Palästinenser. Unter ihren Augen durfte die christliche Phalange-Miliz ihr Mütchen kühlen, denn der ermordete Präsident war einer der ihren gewesen. Die Kämpfer der Phalange drangen in die Flüchtlingslager ein und verübten an den Palästinensern ein Massaker, dem einige hundert, nach anderen Angaben einige tausend Menschen zum Opfer fielen. Daraufhin wurden die multinationalen Truppen nach Beirut zurückbeordert; diesmal sollten sie eineinhalb Jahre im Land bleiben.
Ihres Sieges wurden die Israelis nicht froh, denn das Libanonabenteuer ihrer Armee war innerisraelisch umstritten. Im Gegensatz zu den Kriegen, die man in der Vergangenheit geführt hatte, stand diesmal nicht die Existenz Israels auf dem Spiel. Ministerpräsident Begin, dem man unklare Führung vorwarf, musste das Jahr darauf zurücktreten, wie zuvor schon sein Verteidigungsminister, der alte Haudegen Sharon, den Begin im Libanonkrieg gewähren hatte lassen. Zu sehr hatte man die Geduld der Amerikaner strapaziert, welche die Israelis zwar unterstützten, aber nicht so bedingungslos und die eigenen Interessen missachtend wie heute. Vor allem sorgte man sich um die Einhaltung des in Camp David ausgehandelten Friedensvertrages, denn Präsident Sadat war tot, und der Krieg im Libanon hätte leicht zu einem Kurswechsel der ägyptischen Politik führen können.
Israel war die PLO zwar los ― aus ihrem tunesischen Exil würde sie in Zukunft keine Raketen mehr auf israelisches Territorium abschießen können. Gewonnen war dadurch aber nicht viel, denn statt der PLO bekam man es bald mit einem anderen, womöglich gefährlicheren Gegner zu tun, der vom Iran unterstützten schiitischen Hisbollah. Bedingt durch das Machtvakuum, das die PLO im Libanon hinterlassen hatte, erstarkte diese und wurde statt jener zur Speerspitze der libanesischen Israelhasser. Zu vermerken ist noch, dass die israelische Armee noch Jahre im Südlibanon blieb.