Kleine Geschichte Israels - 14. Die Erste und Zweite Intifada

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14. Die Erste und Zweite Intifada

1987 entluden sich die seit 1980 immer stärker werdenden Spannungen zwischen den israelischen Besatzern und der unterdrückten Bevölkerung, indem palästinensische Jugendliche begannen, Steine gegen ihre Peiniger zu werfen. Der daraufhin einsetzende palästinensische Widerstand gegen den Siedlerkolonialismus im Westjordanland ist als erste Intifada, als Krieg der Steine bekannt. In einer leidenschaftlichen Rede vor seinen Parteigenossen, in der er seine Palästinapolitik verteidigte und zu Verhandlungen aufrief, brachte der zurückgetretene österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky die Intifada mit folgenden Worten auf den Punkt: „Gut, sie werfen mit Steinen. Warum sollen sie nicht mit Steinen werfen? Sie haben ja nichts anderes!“

Wie Ghandis gewaltloser Widerstand gegen die englische Kolonialmacht, erwies sich auch der „Krieg der Steine“ als äußerst wirksam. Zunächst glaubte die israelische Regierung, den Aufruhr mit Gewalt unterdrücken zu können. Jitzack Rabin, damals noch Verteidigungsminister, rief die Armee auf, mit Macht, Kraft und Prügel die Ordnung wieder herzustellen. Steine werfenden Jugendlichen, die vielfach noch Kinder waren, wurden von den Soldaten Hände und Beine gebrochen. Trotz der Aufforderung, Schüsse auf Kinder zu vermeiden, erschoss die israelische Armee 106 Kinder ― ein veritables PR-Desaster für das Land. Um weiterschießen zu können, war die israelische Armee daher genötigt, Gummimunition zu verwenden, welche in der Regel keine tödlichen Verletzungen zur Folge hatte.

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1990 ging es im Nahen Osten wieder einmal hoch her. Nachdem der Irak unter Saddam Hussein im Jahrzehnt davor einen blutigen Krieg gegen den Iran geführt hatte ― dieser war durchaus im Interesse der USA gelegen ―, fiel er 1990 in Kuweit ein, besetzte das Land und verletzte damit amerikanische Interessen. Die sogenannte Brutkastenlüge als Vorwand nützend, zogen die Amerikaner unter ihrem damaligen Präsidenten George Bush Senior ein Jahr später in den Krieg und vertrieben die Iraker wieder aus Kuweit. Das fügte der Tragödie der palästinensischen Flüchtlinge ein weiteres schmerzhaftes Kapitel hinzu, denn in Kuweit lebten vor dem Einmarsch des Irak 450.000 Palästinenser, die in der aufgrund der Erdöleinnahmen boomenden Wirtschaft des Landes als eine Art Gastarbeiter beschäftigt waren. Doch da sie sich mit dem Irak solidarisiert, sich zu ihrem Gastland also illoyal verhalten hatten, wurden sie nach dem Sieg der Amerikaner aus Kuweit vertrieben.

1992 wurde Jitzchack Rabin ein zweites Mal israelischer Ministerpräsident, in Amerika wurde Bill Clinton zum Präsidenten der USA gewählt. Der Wechsel an den Spitzen der beiden Staaten hatte einen neuen Versuch zur Folge, das leidige palästinensische Problem zu lösen, das sich durch die Vertreibung so vieler Menschen aus Kuweit weiter verschärft hatte. Beide Staaten erinnerten sich des alten, inzwischen ― nicht zuletzt durch die Bemühungen eines Bruno Kreisky ― ein wenig geläuterten Rottenmeisters Yasser Arafat und seiner PLO. Er und seine engsten Getreuen saßen, von den Ereignissen in Palästina weitgehend isoliert, nach wie vor in ihrem tunesischen Exil, also weit vom Schuss, und hatten auf die Intifada kaum Einfluss.

Clinton, der wie Jimmy Carter der demokratischen Partei angehörte, suchte den außenpolitischen Erfolg. In der Absicht, etwas Ähnliches zustande zu bringen wie es Carter mit dem Camp-David-Abkommen gelungen war, begann er, zwischen Israel und den Palästinensern zu vermitteln.

Die diplomatischen Bemühungen, zu einer friedlichen Lösung des Palästinenserproblems zu gelangen, werden als Friedensprozess bezeichnet. Warum diese Bezeichnung? ― Nun, sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es unmöglich ist, einen Staat ― schon gar nicht den der Palästinenser ― von heute auf morgen zu errichten, sondern dass es dazu vor allem eines braucht: Zeit. Demnach sollte den im Westjordanland und im Gazastreifen lebenden Palästinensern zunächst eine gewisse befristete Autonomie eingeräumt werden. In dieser Zeit sollten sie die elementaren Strukturen, die für einen Staat erforderlich sind, entwickeln und ihre Friedensfähigkeit unter Beweis stellen. Schon dass man Arafat und seine PLO, die gemäß ihrer Charta nach wie vor die Vernichtung Israels als Ziel hatte, als Verhandlungspartner akzeptieren musste, zeigt, wie weit das Westjordanland und Gaza von einer entwickelten Staatlichkeit noch entfernt waren.

Der Beginn des Friedensprozesses waren in Oslo abgehaltene Geheimverhandlungen. Deshalb werden die darauffolgenden Abkommen auch als Oslo 1 und Oslo 2 bezeichnet, obwohl beide in Washington unterzeichnet wurden. Im September 1993, also schon im ersten Jahr der Präsidentschaft von Bill Clinton, wurde vom israelischen Außenminister Shimon Peres und dem designierten Außenminister der PLO, Mahmoud Abbas, im Beisein von Rabin, Arafat und Clinton Die Prinzipienerklärung über die vorrübergehende Selbstverwaltung des Westjordanlandes und Gazas unterzeichnet, später kurz Oslo 1 genannt. Das Bild, auf dem sich Arafat und Rabin die Hände reichen, ging um die Welt. Man atmete auf und schöpfte Hoffnung. Der erste Meilenstein auf dem Weg zum Frieden und zum eigenständigen palästinensischen Staat war erreicht. Zwar gab es noch genügend Stolpersteine, doch war man angesichts des guten Willens beider Seiten zuversichtlich, sie aus dem Weg räumen zu können. Sichtbare Zeichen dieser Hoffnung waren das Verebben der Intifada und die Verleihung des Friedensnobelpreises an Rabin, Peres und Arafat Ende 1994.

Oslo 1 war, wie gesagt, eine Prinzipienerklärung, die einer weiteren Konkretisierung bedurfte. Wichtige Fragen waren zum Beispiel die Modalitäten des Rückzuges der israelischen Armee, vor allem aber, was mit den inzwischen entstandenen Siedlungen im Westjordanland geschehen sollte. Im September 1995 waren die diesbezüglichen Verhandlungen soweit gediehen, dass man sich zur Unterzeichnung von Oslo 2 treffen konnte, und zwar wieder in Washington. Diesmal unterzeichneten nicht die Außenminister, sondern die Chefs persönlich, also Rabin und Arafat, und zwar unter den Auspizien von Bill Clinton und im Beisein des ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak und Jordaniens König Hussein. Wie Ägypten unter Sadat hatte inzwischen auch Jordanien seine Beziehungen zu Israel normalisiert. Ein weiterer Meilenstein im Friedensprozess war zurückgelegt, doch bei der Vertragsunterzeichnung trug Arafat wie immer das nach den Konturen Gesamt-Palästinas drapierte Kopftuch der Palästinenser ― ein unheilvolles Vorzeichen.

Das Unheil nahm bald seinen Lauf, denn keine zwei Monate später war Jitzack Rabin tot, ermordet von einem israelischen Fanatiker. Er wurde in Jerusalem begraben, im Beisein von König Hussein, der eine bewegende Trauerrede hielt. Arafat betrat nach Jahrzehnten wieder israelischen Boden und stattete Rabins Witwe einen Kondolenzbesuch ab.

Mit Rabins Ermordung war der Friedensprozess zwar nicht tot, denn Peres, sein Nachfolger als Ministerpräsident, setzte ihn fort. Doch allzu populär scheint er in Israel nicht gewesen zu sein, denn bei den Wahlen von 1996, also ein Jahr darauf, gewann ein von der rechten Likud-Partei angeführtes Bündnis die Mehrheit in der Knesset, und Benjamin Netanjahu wurde zum ersten Mal in seiner langen Politikerkarriere israelischer Ministerpräsident ― ein unheilvolles Vorzeichen auch das. Von einem israelischen Siedlungsbau in Ostjerusalem und von diversen Attentaten der Palästinenser konterkariert, geriet der Friedensprozess ins Stocken. Wieder ergriff Bill Clinton die Initiative, zitierte Netanjahu und Arafat nach Wye in der Nähe von Washington und ließ die beiden ein Abkommen unterzeichnen, in dem sich diese verpflichteten, in der Umsetzung dessen fortzusetzen, was vor drei Jahren im Oslo 2-Vertrag festgeschrieben wurde. Bei der anschließenden Abstimmung in der Knesset stimmten 75 der insgesamt 120 Abgeordneten für die Annahme des Vertrages. Da die Gegenstimmen und die Stimmenthaltungen hauptsächlich aus Netanjahus Koalition kamen, verlor seine Regierung die Mehrheit und zerbrach.

Hoffnung, dass doch noch alles gut werden könnte, schöpfte die Welt, als 1999 mit Ehud Barak wieder ein Mitglied der Arbeiterpartei Ministerpräsident wurde. Präsident Clinton, dessen Amtszeit sich ihrem Ende näherte, ergriff ein letztes Mal die Initiative und lud (oder zitierte) im Sommer des Jahres 2000 Barak und Arafat nach Camp David, dem symbolträchtigen Ort, wo seinerzeit schon Sadat und Begin Frieden geschlossen hatten. Im Zuge der Verhandlung unterbreitete Barak sein Angebot, gemäß dem etwa 90 Prozent der Fläche des Westjordanlandes Gebiet des ins Auge gefassten palästinensischen Staates werden sollte, ein Angebot, das viele für großzügig hielten, andere jedoch für unzureichend. Strittig war vor allem der künftige Status von Ostjerusalem, aber auch, was mit den vielen, das Land zerschneidenden israelischen Siedlungen geschehen sollte, sowie die Verteilung des knappen Gutes Wasser aus dem Jordanfluss. Außerdem hätte Israel nach wie vor die Außengrenzen des neuen Staates kontrolliert, was es einem Palästinenser unmöglich gemacht hätte, seinen Staat zu verlassen, ohne einen israelischen Checkpoint passieren zu müssen.

Man verhandelte vierzehn Tage lang, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Resigniert warf Clinton am Ende der Verhandlungen Arafat vor, zu allem nein gesagt und keinen einzigen konstruktiven Vorschlag gemacht zu haben. Auf den Punkt brachte es ein arabischer Diplomat, der sinngemäß sagte, die arabische Seite hätte bei jeder Verhandlung zu allem, was die Gegenseite auf den Tisch gelegt hatte, nein gesagt; später, als man sich durchgerungen hatte und bereit war, den Vorschlag der Gegenseite doch zu akzeptieren, lag er nicht mehr auf dem Tisch. Die Weisheit eines Chaim Weizmann, der 1937 zu dem von der Peel-Kommission vorgelegten Teilungsplan gesagt hatte, die Juden wären dumm, ihn nicht zu akzeptieren, selbst wenn das ihnen zugestandene Gebiet die Größe eines Tischtuches hätte: Diese Weisheit hatte Arafat nicht. Freilich ist es sehr leicht, Arafat zu kritisieren. Doch will ich versuchen, auch ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem ich zitiere, was David Ben Gurion einmal gesagt haben soll:

Wenn ich ein arabischer Führer wäre, würde ich nie einen Vertrag mit Israel unterschreiben. Es ist normal; wir haben ihr Land genommen. Es ist wahr, dass es uns von Gott versprochen wurde, aber wie soll sie das interessieren? Unser Gott ist nicht ihr Gott. Es gab Antisemiten, die Nazis, Hitler, Auschwitz, aber war es ihre Schuld? Sie sehen nur eine Sache: Wir kamen und haben ihr Land gestohlen. Warum sollten sie das akzeptieren?

Hat Ben Gurion das tatsächlich so gesagt? Hat er tatsächlich mit diesen wenigen Worten die israelische Geschichte resümiert und auf den Punkt gebracht? Die Größe, derer es bedarf, um eine solche Aussage zu machen, hatte er jedenfalls. Er war kein Fanatiker, sondern jemand, der für seine Vision kämpfte und niemanden über seine Absichten im Unklaren ließ.

Zwei Monate nach dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David ging Ariel Scharon, der sich in jungen Jahren als Stoßtruppkommandant einen Namen gemacht hatte und in der israelischen Armee zum General aufgestiegen war, bevor er in die Politik ging und mehrere Ministerämter bekleidete, auf den Tempelberg in Ostjerusalem spazieren, von einer ansehnlichen Zahl an Sicherheitskräften begleitet. Mit dieser Provokation löste er die zweite Intifada aus. Für den Friedensprozess bedeutete das den Todesstoß, für Scharon aber das Amt des Ministerpräsidenten im darauffolgenden Jahr.

Scharon ist wie kaum ein anderer für die Metastasierung des Westjordanlandes durch israelische Siedlungen verantwortlich. Er, der selbst Großgrundbesitzer war, galt als Hardliner und als wichtigster Exponent der Siedlerbewegung. Unter seiner Ägide wurde mit dem Bau einer 720 Kilometer langen Sperranlage begonnen, die schon seinerzeit Rabin angeregt hatte und mit der das Westjordanland von Israel abgeriegelt wurde. Das Perfide an der Sperranlage ist, dass sie nur selten entlang jener Grenze verläuft, die vor dem Jahr 1967 Israel von dem damals jordanisch besetzten Westjordanland trennte, sondern zum Teil tief im palästinensischen Autonomiegebiet. Dadurch wurde den Palästinensern weiteres Land abgezwackt, wurden weitere palästinensische Bauern enteignet.

Was den Gazastreifen betrifft, so kündigte Scharon im Jahr 2003 an, die israelischen Siedlungen im Gazastreifen zu räumen. Der militärische Aufwand, die Sicherheit der israelischen Siedler in einer ihnen feindlichen Umgebung zu gewährleisten, war zu groß geworden. Wessen Geistes Kinder am Werk waren, illustriert die Tatsache, dass nach dem Abzug der Siedler alles, was sie errichtet hatten, geschleift wurde. Nichts sollte den Palästinensern überlassen werden. Nur die Synagoge ließ man stehen, gleichsam als Salz in die palästinensischen Wunden. Selbstverständlich wurde nach dem Abzug auch der Gazastreifen eingezäunt.

Mit Arafat, dem Bill Clinton und die israelischen Ministerpräsidenten Rabin, Perez und Barak die Hand gereicht hatten, wollte sich Scharon nicht abgeben. Inzwischen war unter dem neuen amerikanischen Präsidenten George Bush der Irak überfallen und zerbombt worden. Scharon lehnte Arafat, der lautstark für Saddam Hussein Partei ergriffen hatte, als Gesprächspartner ab; er sorgte dafür, dass er international isoliert wurde und stellte ihn in seinem teilweise von den Israelis zerbombten Hauptquartier in Rahmallah unter Hausarrest. Erst kurz vor seinem Tod wurde Arafat gestattet, nach Paris zu reisen und dort ärztliche Hilfe zu suchen.

Der Entschluss, aus Gaza abzuziehen, wurde Scharon von seinen extremistischen Anhängern sehr verübelt. Er beendete daher die Koalition mit der extremen Rechten und ging mit der Arbeiterpartei unter Ehud Olmert eine neue Koalition ein. Auch innerhalb der eigenen Partei bekam er starken Gegenwind, vor allem von Israels späterem Langzeitpremier, dem Likudführer Netanjahu, der 2005 als Scharons Finanzminister zurücktrat, als mit dem Rückzug aus Gaza begonnen wurde. Darauf kündigte auch Scharon seinen Rücktritt und Neuwahlen an, trat aus dem Likud aus und gründete seine eigene Partei.

Zuviel Aufregungen für den alten Haudegen. Er erlitt Ende 2005 eine Reihe von Schlaganfällen, musste eine Reihe von Operationen hinnehmen und fiel ins Wachkoma, aus dem er bis zu seinem Tod im Jahr 2014 nicht mehr erwachte. Sein unrühmliches Ende müssten die wahrhaft Religiösen eigentlich als Menetekel, als eine Strafe Gottes ansehen . . .